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Panorama: Genug Lehrer stehen nur auf dem Papier

Zum Schulbeginn gab es angeblich zu viele Pädagogen – Eine neue Statistik zeigt, dass das nicht stimmt

Viele Berliner Schulen müssen das Jahr der großen Reformen mit wenig Personal bewältigen. Bereits drei Monate nach den Ferien haben Pensionierungen und Dauererkrankungen dazu geführt, dass pro Schule im Schnitt nur noch eine Vertretungskraft vorhanden ist. Knapp 1700 Lehrer pendeln zwischen mehreren Schulen hin und her, um zu verhindern, dass Stunden ausfallen. Demnach lag Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) falsch, als er kürzlich kritisierte, dass im Sommer zu viele neue Lehrer eingestellt wurden.

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) präsentierte gestern Zahlen zur Lehrerausstattung, die zum Stichtag 1. November erhoben worden waren. Demnach waren zu diesem Zeitpunkt 1627 Lehrer mehr da, als rein rechnerisch gebraucht würden. 840 von ihnen waren allerdings dauerkrank oder im Mutterschutz, sodass nur 787 übrig waren, um kranke Lehrer zu vertreten. Da Berlin rund 800 Schulen hat, ist dies pro Schule rund eine Vertretungskraft.

Inzwischen sieht die Lage noch schlechter aus, da Ende November die Referendare entlassen wurden. Der Unterricht, den sie erteilt hatten, muss jetzt von den Lehrern übernommen werden. Außerdem gehen pro Monat im Schnitt 80 Pädagogen in Pension. Dies bedeutet, dass Ende Dezember rund 260 Lehrer weniger verfügbar sind als am 1. November.

Nach wie vor ist es schwierig, die Reservelehrer gleichmäßig über alle Schulformen und Bezirke zu verteilen. Laut Bögers Statistik gibt es die größten Probleme an den Sonderschulen : In Neukölln, Tempelhof-Schöneberg, Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf gibt es überhaupt keine Vertretungsreserve mehr. Selbst der reguläre Unterricht ist nicht ganz abgedeckt. Knapp sind auch die Grundschulen dran. In Tempelhof-Schöneberg etwa müssen auch 13 Grundschulen ganz ohne Vetretungsreserve auskommen. Zum Teil liegen sie sogar um sechs Prozent unter der Minimalausstattung. Ähnlich sieht es in Reinickendorf aus. Besser stehen wegen des Schülerrückgangs die östlichen Bezirke da: Pankow etwa hatte – zumindest am 1. November – 40 Vertretungskräfte in den Grundschulen.

Relativ entspannt ist die Lage in den Haupt- und Realschulen . In einigen Bezirken gibt es üppige Personalbestände. Jetzt ist es die Aufgabe der Schulräte vor Ort, diese Überhänge gerecht zwischen den Schulen und Bezirken zu verteilen. Dies gilt auch für die Gymnasien und Gesamtschulen: Sie haben insgesamt etliche Vertretungskräfte. Aber auch hier ist die Verteilung nicht optimal.

Bildungssenator Böger betonte gestern, dass es berechtigt war, im Sommer 170 Lehrer einzustellen. Es hatte damals Kritik gegeben, weil die Lehrer in einem Schnellverfahren eingestellt worden waren und der Senat nicht einbezogen war. Angesichts der vielen Reformen habe man die Lehrer gebraucht: „Dazu stehe ich“, sagte Böger. Wenn Lehrer in bestimmten Fächern fehlten, dann müsse man sie eben einstellen, auch wenn es in anderen Fächern Überhänge gebe. Anders ausgedrückt: Wenn Englisch- oder Musiklehrer fehlen, helfen Russischlehrer nicht weiter.

GEW-Sprecher Peter Sinram forderte gestern zusätzliche Einstellungstermine im Jahr, um den Bedarf an neuen Lehrern, der durch Pensionierungen oder Dauererkrankungen entsteht, schneller zu decken. Landeselternsprecher André Schindler meinte, dass man den Unterrichtsausfall nur vermindern könne, wenn es eine „schnelle Eingreiftruppe“ gebe. Bislang sei die Schulaufsicht nicht in der Lage, rasch für Ersatz zu sorgen. Er kritisierte aber auch Schulleiter, die sich „auf Fortbildungen begeben, obwohl an ihrer Schule Unterricht ausfällt.“

Der bündnisgrüne Bildungsexperte Özcan Mutlu konstatierte, dass Unterrichtsausfall in Berlin „zur traurigen Realität“ gehöre. Der Senat müsse „endlich tätig werden“ und genügend neue Lehrer einstellen. Mieke Senftleben von der FDP forderte, dass die Schulen ein eigenes Budget bekommen müssten, um flexibel auf Engpässe reagieren zu können. Der Bildungssenator wandte sich dagegen, die Zahlen zu dramatisieren. Tatsächlich stehe Berlin besser da als viele andere Bundesländer.

Die Eltern reagieren dieses Jahr auch deshalb besonders alarmiert auf Unterrichtsausfall, weil erstmals der mittlere Schulabschluss vergeben wird: Alle Zehntklässler schreiben in den Hauptfächern identische Arbeiten. Wer eine bestimmte Leistung nicht erbringt, kann dies auch nicht durch bessere Zensuren in den übrigen Klassenarbeiten oder durch mündliche Mitarbeit wettmachen.

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