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Panorama: Guter Kiez, gute Note

Vera-Studie: Die Unterschiede zwischen den Berliner Schulen sind gravierend. Es entscheidet das Milieu

Ob ein Kind in der Schule erfolgreich ist, hängt in Berlin vor allem davon ab, aus welchem sozialen Milieu es kommt und in welchem Stadtteil die Schule liegt. Aber auch innerhalb derselben Schule gibt es zum Teil sehr große Unterschiede zwischen Parallelklassen. Das hat die so genannte Vera-Studie (Vergleichsarbeiten in der Grundschule) ergeben, die Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gestern vorstellte. Landeselternsprecher André Schindler forderte Böger auf, endlich zu handeln. Bildung dürfe nicht länger ein Glücksspiel sein, das davon abhänge, wo man wohne und an welchen Lehrer man gerate.

Im September 2004 waren Viertklässler in den sieben Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein in Mathematik und Deutsch getestet worden. Die Teilnahme an der Studie, die von der Universität Koblenz-Landau, durchgeführt wurde, war freiwillig. Nur SPD-geführte Länder schickten ihre Kinder zum Test. In Berlin wurden 20206 Viertklässler in 421 Grundschulen geprüft. Gefragt waren Arithmetik, Geometrie, Sachrechnen, Lesen, Schreiben, Sprachbetrachtung und Orthographie. In allen Bereichen lagen die Berliner unter dem Durchschnitt.

„Die gravierenden Defizite in der Bildung schädigen den Standort Berlin, weil wir Populationen von Schülern entwickeln, die nicht annähernd den Anforderungen entsprechen, die eine Industriegesellchaft stellt“, sagte Böger. Gleichzeitig wehrte er sich gegen den Vorwurf, sein Land als Ganzes sei schlechter als andere Bundesländer. „Wenn wir von Berlin sprechen, dann von krassen Unterschieden zwischen den Kiezen.“

Vor allem im Westen sind die Unterschiede gravierend, etwa zwischen Grundschulen in Zehlendorf und Neukölln. In einer gut bürgerlichen Schule, in der die Eltern Arbeit und eine gute Bildung haben und nur fünf Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien stammen, erreichten 59 Prozent der Kinder beim Lesen das höchste Niveau. In der Schule, in der 70 Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien stammen, von denen viele Eltern arbeitslos sind und schlecht Deutsch sprechen, erreichten lediglich zwei Prozent das höchste Niveau. 38 Prozent konnten mit den Lese-Aufgaben gar nichts anfangen.

„Wir stehen vor einem absoluten Segregationsprozess“, sagte Böger. Um die Entwicklung aufzuhalten, will er mehr Pädagogen in die Schulen in den sozial besonders schwachen Gegenden schicken. Außerdem sollen die Lehrer besser fortgebildet und die Eltern stärker eingebunden werden, zum Beispiel durch noch mehr Deutschkurse für Mütter. Bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen im Senat will Böger mehr Geld dafür verlangen. Denn mit Umschichten sei es nicht getan. „In Berlin gibt es nichts mehr umzuschichten.“

Überraschend ist, wie unterschiedlich auch innerhalb derselben Schule Parallelklassen abschnitten. In einer Schule zum Beispiel erreichten 31 Prozent der Schüler aus der Klasse 4a beim Lesen das höchste Niveau, aber nur 19 Prozent der Klasse 4c. Wie es dazu kam, ob es an unterschiedlichen pädagogischen Methoden liegt, an der Zusammensetzung der Klassen oder an der Unfähigkeit der Lehrer, das sollen die Schulen nun intern herausfinden. Dazu haben alle beteiligten Schulen ihre Ergebnisse bekommen. Die Schulaufsicht soll laut Böger darauf drängen, dass dieser Diskussionsprozess tatsächlich zustande komme. Der Landeselternsprecher ist skeptisch: Die Schulaufsicht habe ja noch nicht einmal durchsetzen können, dass alle getesteten Schulen ihre Ergebnisse meldeten. Zehn Prozent hätten sich geweigert.

Vielleicht liegt der Grund für die Weigerung darin, dass die Vera-Studie auch gezeigt hat, wie sehr die Berliner Lehrer ihre Schüler gerade beim Rechnen überschätzen. Talente und Schwierigkeiten der Kinder richtig einzuschätzen, sei aber ein Schlüsselmerkmal für einen erfolgreichen Unterricht, schreiben die Vera-Wissenschaftler.

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