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Panorama: Hochtourig laufen, ohne vorwärts zu kommen Kleine Delfine

Eine Lehrerin „brennt aus“. In einer Spezialklinik im Südosten Brandenburgs lernt sie jetzt, wie sie mit den Belastungen ihres Berufs umgehen muss

Vor drei Monaten brach Sybille Riemer bei ihrer Hausärztin zusammen. Sie wollte ein Medikament gegen die häufiger und heftiger auftretende Migräne. Ob sie sich die Schmerzen erklären könne? Na ja, ein wenig Stress in der Schule... Weiter kam sie nicht, ein Weinkrampf.

Seit sieben Wochen ist die Grundschullehrerin jetzt in einer Spezialklinik im brandenburgischen Wendisch Rietz, in der man sich mit Lehrern auskennt, die an Erschöpfungssyndromen leiden. Jeder fünfte Patient dort ist Lehrer, viele kommen in den Ferien. Man könnte die Klinik anderthalb Autostunden südöstlich von Berlin für ein Hotel halten. Drei niedrige Gebäude kauern im Wald außerhalb des Ortes, mit 68 Einzelzimmern. Die Rückseite der Oberberg-Klinik besteht fast vollständig aus Glas, damit die Patienten von ihren Zimmern aus auf den Glubigsee blicken können. „Glasglocke“ nennt Chefarzt Bernd Sprenger das Haus.

„Die Lehrer lernen, dass sie ihr Leben verändern müssen“, sagt Sprenger. Der Lehrplan sieht täglich ein Einzelgespräch mit einem Therapeuten vor, dazu Gruppensitzungen mit anderen Patienten und Körpertherapie. Vier bis acht Wochen lang, das ist für ausgebrannte Pädagogen hier die Regel.

Sprenger, 50, gebräuntes Gesicht, Vollbart, kurze silbrige Haare, hat eine sonore Stimme, die Vertrauen weckt. In Sybille Riemers Fall (Name geändert) hat die Stimme der Wahrheit nicht den Stachel genommen. Die Wahrheit ist, dass sie zuletzt weder die Super-Lehrerin war, die sie sein wollte, noch sie selbst. Sie schlief kaum noch und konnte keine fünf Minuten mehr lesen oder fernsehen, ohne sich zu fragen: Wo habe ich heute wieder versagt? Sind die Kinder gut aufs Gymnasium vorbereitet? Bestimmt nicht, aber warum? Dabei ist ihre Brandenburger Schule mit 150 Schülern doch beherrschbar. Was sollen die Kollegen in Berlin sagen? Andererseits, auch bei ihren Erstklässern sitzt die Faust locker.

Oft sind es andere, die zuerst merken, wenn jemand ausbrennt, sagen Mediziner. Sybille Riemers Mann riet, sie solle sich eine Abwechslung gönnen, ihren Hobbys nachgehen. Sie zog sich weiter zurück, Freunde und Hobbys interessierten sie immer weniger. „Ich mache den Beruf ja gerne. Da sagt man nicht einfach: Ich kann’s nicht mehr.“ Sie wälzte Bücher und grübelte weiter. Oberarzt Sprenger sagt: „Man kann die Situation mit einem Auto vergleichen, bei dem man das Gaspedal durchtritt, aber keinen Gang einlegt. Er läuft immer hochtourig, kommt aber nicht vorwärts.“ Irgendwann nehme man die immense Drehzahl nicht mehr wahr. Nur noch die verschwendete Energie. „Die Leute werden immer empfindlicher.“

Sybille Riemer ist 49 Jahre alt und wirkt zehn Jahre älter. Es tröstet sie ein wenig, wenn sie von den Therapeuten hört, es seien meist die Engagierten, die ausbrennen, häufig auch junge Lehrer, die noch Ziele hätten. Jedenfalls nicht jene, die wenig tun und dann schnell überfordert seien, wie man es Lehrern gerne nachsagt. In der Oberberg-Klinik hat Sybille Riemer das gelernt, was Sprenger „bremsen“ nennt: sich ausruhen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Ob das so bleibt, wenn das neue Schuljahr beginnt? Ihr Therapeut hat gesagt, sie habe ein Messinstrument, das ihr anzeigt, ob die Drehzahl stimmt: die Migränekopfschmerzen. Nur: Welche Ansprüche die richtigen für sie sind, das muss sie selbst rausfinden. Fürs Erste sei sie nicht mehr depressiv, sagt Sprenger. Aber noch nicht leistungsstark. Die Bremsen sind gewartet. Aber der Motor ist noch überhitzt.

Marc Neller

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