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Panorama: „Ich steh’ auf Frauen“

Dany war 14, da ahnte sie: Ich bin lesbisch. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Coming-out? Hier erzählt sie ihre Geschichte

Es war auf der Konfirmandenfahrt. Anne, die im Konfirmandenkurs zwei Plätze neben mir saß, hatte ich bis dahin total bescheuert gefunden. Jetzt schlief sie auf dem Zimmer einer Freundin. Immer, wenn ich in das Zimmer kam, war Anne auch da. Wir waren praktisch gezwungen, uns zu unterhalten. Irgendwann war sie nicht mehr bescheuert. Sie wurde für mich die faszinierendste Person, die ich jemals getroffen hatte. Ich habe mich so richtig in sie verliebt, Hals über Kopf.

Ich war 14. Davor war ich schon mit zwei Jungs zusammen. Wir haben uns unter der Schulbank Briefchen zugesteckt, auf dem Schulhof Händchen gehalten und uns ab und zu geküsst. Sie wollten ein bisschen mehr, ich nicht.

Bei Anne war es noch weniger, wir gingen wie gute Freundinnen miteinander um. Ich hätte mich nie getraut, ihr zu sagen, dass ich sie liebe. Aber ich wusste sofort: Das ist anders, viel größer als das Verliebtsein, das ich vorher bei den Jungs erlebt hatte.

Als Lesbe habe ich mich nicht gefühlt. Ich habe das Wort „lesbisch“ einfach nicht mit meinen Gefühlen verbunden. In meiner Familie wurde Homosexualität kaum erwähnt. Spandau, wo wir wohnten, ist nicht der Berliner Bezirk, wo man Lesben und Schwule alle naselang auf der Straße sieht. Im Unterricht wurde das Thema nie von den Lehrern angesprochen – auch später nicht, als ich mich geoutet hatte, meine Freundin in dieselbe Klasse ging und das für viele ein Riesenskandal war.

Erzählt habe ich von Anne monatelang keinem. Meine beste Freundin wurde langsam misstrauisch. Mit ihr stellte ich regelmäßig Ranglisten auf, welche Jungs in der Klasse am tollsten sind. Das war schon länger nicht mehr passiert, und das war für sie ein bisschen komisch.

Ich habe ihr schließlich gesagt, dass ich mich verliebt habe – und verschwiegen, dass es ein Mädchen ist. Ich konnte überhaupt nicht abschätzen, wie sie reagieren würde. Sie bestürmte mich, ich solle doch mehr erzä hlen. Wochenlang bohrte sie nach, und ich sagte mir jedes Mal: Jetzt erzähl’ es schon. Und habe mich nicht getraut.

Dass ich mich dann doch überwunden habe, kam spontan. Wir haben bei ihr übernachtet, lagen im Bett und starrten an die Decke. Ich war froh, dass ich ihr nicht ins Gesicht gucken musste. Das war die Gelegenheit! Wort für Wort kam es ü ber meine Lippen. Sie hat gar nichts gesagt. Irgendwann habe ich aufgehört zu erzählen. Es wurde sehr still. Sie hat nie richtig nachgefragt, unsere Freundschaft kühlte sehr schnell ab. Sie machte mit mir nicht mehr das, was beste Freundinnen machen: Gemeinsam tuscheln, oder beim Shoppen gemeinsam in die Umkleide gehen. Ich glaube, sie dachte, ich sei in sie verliebt und wolle sofort über sie herfallen. Dabei hatte ich ihr genau gesagt, dass sie nicht diejenige sei.

Auch zu Anne brach der Kontakt irgendwann ab. Ich war ziemlich fertig. Meine Mutter hat das gemerkt. Ich war mit ihr allein verreist – meine Eltern hatten sich getrennt – , wir lagen am Strand. Ganz plötzlich fragte sie, was mit mir los sei. Aus mir brach alles heraus. Meine Mutter war total verständnisvoll. Sie hat mich in den Arm genommen und mich getröstet. Was am wichtigsten war: Sie hat meine Gefühle ernst genommen. Später hat sie mir erzählt, dass sie sich schon länger Sorgen um mich machte, weil ich so traurig wirkte. Und ich dachte, ich hätte mir nichts anmerken lassen.

Über das Lesbischsein hatte ich mich inzwischen informiert. Ich las mehr und mehr Bücher, die sich mit Homosexualität beschäftigen. Festzustellen, dass ich lesbisch bin, war nicht so dramatisch. Ich hatte mich mit Anne eigentlich schon vor mir selbst geoutet. Nur die Begrifflichkeiten fehlten. Eigentlich war ich erleichtert: Endlich wusste ich, was los war.

Inzwischen war ich fast 16. In unser Nachbarhaus zog ein lesbisches Paar ein. Fast schon eine Sensation für Spandau. Meine Mutter freundete sich mit den beiden an und lud sie zu Silvester ein. Sie brachten Janine mit, genauso alt wie ich. Ich dachte, so wie sie aussieht, könnte sie auch lesbisch zu sein. Sie dachte das von mir auch, wie sich herausstellte, als wir uns unterhielten. Wir waren beide geschockt, dass wir es voneinander gemerkt hatten. Ich hätte nie gedacht, dass man es mir ansehen kann.

Janine und ich kamen blitzschnell zusammen. Ich war so glücklich, dass ich es in der ganzen Welt rausposaunen wollte. Ich traute mich aber immer noch nicht, vor allen zuzugeben, dass ich mit einem Mädchen zusammen bin. Janine wurde in der Schule zu Max, wenn ich von ihr erzählte. Immerhin zeigte ich kühn Fotos von ihr rum. Janine hatte ganz kurze Haare und weite T-Shirts und Hosen an. Die meisten Mädchen waren völlig entzückt: „Oh, ist der süß !“, quietschten sie, wenn sie die Bilder sahen. Die kamen gar nicht auf die Idee, dass Janine kein Junge sein könnte. Ich fand es sehr komisch.

Vor meinen engsten Freundinnen wollte ich mich nicht mehr verstecken. Diesmal plante ich die Outing-Gespräche generalstabsmäßig. Ich verabredete mich mit jeder einzeln, zu einem festen Termin, in einem festgelegten Café. Und kü ndigte vorher an, dass ich etwas sehr Wichtiges erzählen müsste – damit ich mich nicht im letzten Moment drückte.

Vor dem ersten Gespräch war ich sehr nervös. Ich hatte noch mehr Angst als damals. Es durfte einfach nicht schief gehen. Ich fing extra an mit: „Ich bin immer noch die Gleiche, wenn ich dir das jetzt erzähle. Egal, was du denkst. “ Meine damalige beste Freundin, die auch in meine Klasse ging, reagierte super. „Das ist ja interessant“, rief sie, „erzähl mal mehr!“ Wir haben uns stundenlang unterhalten. Sie wollte unheimlich viel wissen. Wie ich es gemerkt hätte, über Janine und unsere Beziehung. Die anderen fanden es genauso spannend. Was war ich erleichtert.

Ich war wie in einem Rausch. Ich traute mich sogar, mich bei meinem Vater zu outen. Er wusste bisher von nichts. Ich dachte, er würde es mehr akzeptieren, wenn ich schon eine Freundin hatte. Die konnte ich jetzt vorweisen. Wir saßen in einem Restaurant, zwischen dem Salat und dem Fleisch habe ich es ihm erzählt. Er war der Meinung, dass es ein ganz unpassender Zeitpunkt ist, mitten beim Essen, und hat sich geweigert, darüber zu sprechen. Ich schob ihm noch ein Buch für Eltern von lesbischen und schwulen Jugendlichen rüber. Immerhin musste ich es vier Mal in der Bücherei für ihn verlängern, er scheint es also gelesen zu haben. Das Thema habe ich bei ihm erstmal vermieden.

Meine Freundinnen verpflichtete ich zum Schweigen, und sie hielten dicht. Bis zu Hannah, meiner nächsten Freundin – die in meine Klasse ging. Bei ihr hätte ich nie gedacht, dass auch sie auf Frauen steht. Bis sie zu mir meinte: „Komm, wir müssen mal reden.“ Sie gestand mir, dass sie in mich verliebt sei. Ich gestand ihr, dass ich in sie verliebt sei. Wir beschlossen, wir probieren es einfach mal zusammen aus.

Eine Woche haben wir es geheim gehalten. Dann waren wir das Versteckspiel leid. Ich glaube, wir waren das erste lesbische Paar an der Schule, das auf dem Schulhof geknutscht hat. Die Jungs kamen überhaupt nicht klar und haben ständig rumgepöbelt. Wenn sie mir „Scheißlesbe“ hinterher riefen, war das freundlich. Sehr beliebt war: „Ich muss dich nur richtig ficken, dann weißt du, dass es mit ’nem Mann viel besser ist.“ Die Mädchen schrien nicht ganz so schlimm rum. Sie lästerten dafür hinter meinem Rücken. Nach dem Sport konnte man beim Umziehen ganz genau merken, dass sie tierische Angst hatten, ich könnte ihnen was abgucken.

Interessanterweise war ich diejenige, die den Ärger abbekommen hat. Hannah mit ihren dunklen Locken, Röcken und engen Oberteilen wirkte sehr weiblich. Bei ihr fanden es viele Jungs sexy und antörnend, dass wir zusammen sind. Ich stand noch nie auf übertriebenes Schminken und sah damals sehr jungenhaft aus. Ich glaube, die meisten sahen in mir die böse lesbische Verführerin der armen verirrten Hannah.

Auch mein Klassenlehrer nahm mich zur Seite. Kollegen hatten sich bei ihm über uns beschwert. Er riet uns, zurückhaltend zu sein und nicht zu zeigen, dass wir zusammen sind. Es haben nie Lehrer offen für uns Partei ergriffen, selbst wenn sie die Pöbeleien gar nicht überhören konnten. Das hat mich echt schockiert. Ich dachte, dass die doch ein bisschen intelligenter als die Schüler seien.

Durch diese Erfahrungen lernt man, sich einzuschränken. Das bedeutet nicht, dass ich lieber ungeoutet gewesen wäre. Ich habe es schnell satt gehabt, mir immer neue Lügen auszudenken und ständig in einer Scheinwelt zu leben. Man weiß irgendwann gar nicht mehr, wem man was erzählt hat. Und es gibt die, die zu einem stehen. Meine Freunde haben mich immer verteidigt, sobald sie merkten, dass über mich gelästert wurde.

Bis zum Schluss waren Hannah und ich das Hauptgesprächsthema am Gymnasium. Echt nervig. Jetzt ändert sich gerade viel. Ich fange bald mein soziales Jahr an und will danach studieren. Ich bin gespannt, wie es an der Uni und im Beruf mit dem Outen ist. Früher habe ich viel mit meinen heterosexuellen Freunden unternommen, in den letzten Monaten kommen mehr und mehr lesbische Freundinnen dazu. Mit meinem Vater ist es sehr viel lockerer. Er fragt ständig, ob ich schon eine neue Freundin habe. Und ich habe noch einmal mit Anne telefoniert, meiner ersten großen Liebe. Sie hat mir tatsächlich erzählt, dass sie später mal was mit einer Frau hatte.

Am Anfang habe ich oft überlegt, woher Homosexualität eigentlich kommt. Ich habe Freud gelesen, Simone de Beauvoir, und da ist die Theorie mit dem Homo-Gen. Irgendwann habe ich beschlossen, dass mir die Antwort egal ist. Es ist halt so, und ich würde es nicht ändern wollen. Heteros fragen sich auch nicht jeden Tag, warum sie heterosexuell geworden sind.

Aufgezeichnet von Tilmann Warnecke

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