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"For the disconnected Child" an der Schaubühne findet Ida,15, absolut großartig. Ihre Mutter übrigens auch.

© rFoto:Ano de Clair

Jugend testet klassische Kultur: Tolles Theater, cooles Konzert

Mittwoch vor der Deutschen Oper. Ich warte auf meine Cousine und ihren Freund, damit wir gemeinsam rein können, zur Opera Lounge. Ich bin gespannt. Im Internet habe ich bloß gelesen, dass das Motto des Abends „von der Scala bis San Remo und von Luciano Pavarotti bis zu Eros Ramazotti“ ist. Ida, 15, hat sich ihre Classic Card geschnappt und das Berliner Kulturleben getestet.

An der Abendkasse steht niemand, ein Glück. Und ausverkauft ist es anscheinend auch noch nicht, denn wir kriegen noch Karten, nachdem wir unsere ClassicCard vorgezeigt haben. Eigentlich hätte die Opera Lounge sowieso nur neun Euro gekostet, aber so bekommen wir zumindest einen erlassen. Trotzdem sind meine Cousine und ihr Freund etwas verwirrt. Klar, auf der Internetseite steht zwar, dass man immer seine Classic Card und einen Personalausweis oder Reisepass dabei haben soll, aber sie erzählen, dass sie beim „Zauberer von Oz“ nicht mal die Classic Card hatten vorzeigen müssen.

Kurz nach neun geht es los. Mit dem Auftakt zu „Largo al factotum“ aus der Oper „Der Barbier von Sevilla“ kommt Davide Luciano, italienischer Bariton, auf die Bühne spaziert. Wow, der kann aber gut singen! Ich will auch! Der Abend verläuft wirklich gut. Ich hatte mir zwar ein bisschen mehr Ramazotti vorgestellt – der wurde nicht einmal erwähnt – aber die Stücke, die gesungen wurden, haben mich begeistert, genauso wie die Sänger und Sängerinnen. Auch, wenn sich das Programm in nur drei Blöcke à 20 Minuten aufteilt, ist es ziemlich spät, als die letzten Töne von „O sole mio“ verklingen. Fast halb zwölf.

Wenn mir auch die Pausen etwas zu lang vorkamen und ich mir gewünscht hätte, dass mein Liebling des Abends, Davide Luciano, den letzten Kracher gesungen hätte, fand ich den Abend sehr empfehlenswert. Der Abend war, genau wie das Publikum, lässig elegant. DJ Johann Fanger hat das Ganze noch zusätzlich aufgelockert und ihm eine jugendliche Note gegeben, was mich sehr begeistert hat.

Am Sonntag darauf stehe ich mit meiner Mutter vor der Abendkasse der Schaubühne am Lehniner Platz. Wir sind eine halbe Stunde zu früh, aber es ist ziemlich voll hier drin, das Theaterstück ist fast ausverkauft. „Zwei Karten für „For the disconnected child“, bitte, eine mit Classic Card“, sage ich. Die Verkäuferin meint: „Ist nur noch eine da. Aber sie können da drüben warten, da kommen vielleicht noch mal welche.“ Also stellen meine Mutter und ich uns an die Seite und warten. Ein junger Mann ist jetzt dran und schnappt uns die letzte Karte vor der Nase weg. Na toll. „Warten sie mal trotzdem noch ’nen kleinen Augenblick“, sagt die Verkäuferin, und wir nicken folgsam.

Und tatsächlich, eine Karte wird fünf Minuten später doch noch frei, die ich mir mit meiner Classic Card sofort kralle. Eine 35-Euro-Karte für neun Euro, das hat schon was für sich! Meine Mutter kauft einer freundlichen Dame eine Karte ab, die sie noch übrig hatte. So sitzen wir zwar nicht zusammen, aber wenigstes sind wir beide drinnen! Es ist wirklich extrem voll. Das – wie meine Mutter meint, ich kann das nicht so recht beurteilen – typische Schaubühnen-Publikum steht, sitzt und vor allem: schwatzt munter in dem kleinen Vorraum. Die Leute sind normal angezogen, ich bin auf jeden Fall nicht die Jüngste. Auch, wenn der Altersdurchschnitt zwischen 30 und 50 liegt, sehe ich einen Jungen, den ich auf etwa zwölf schätze und ein oder zwei Leute in meinem Alter. Nachdem die Türen geöffnet werden, füllen sich die Reihen in Sekundenschnelle. Keiner will zu spät kommen. Nicht, dass ohne sie angefangen wird!

Auch hier habe ich mir nur kurz im Internet durchgelesen, worum es geht, auch wenn mir das nicht unbedingt weiter geholfen hat. Auf der Bühne stehen Schauspieler der Schaubühne; Tänzer, Sänger und Musiker der Staatsoper. Gemeinsam kommen sie zu einem Ganzen, das ausdrücken soll, wie einsam man sich in der heutigen Zeit fühlen kann. Eine erfolgreiche Assessment-Center-Managerin, die mittels der Internetseite „E-Darling“ den perfekten Mann finden will, eine Mutter, die ihr Kind verließ, weil sie Angst hatte, verrückt zu werden, ein Mann, der bindungsunfähig ist, weil er Angst hat, etwas zu verpassen oder seiner Freiheit beraubt zu werden …

Sie alle kennen die Oper „Eugen Onegin“ von Tschaikowski, in der ein Mann die Liebe einer Frau zurückweist, weil er sein Leben als Jüngling nicht missen will. Man betrachtet dieses Stück von allen Seiten, aber doch versteht man es nicht. Man ist ratlos. Und genau diese Ratlosigkeit, die Bindungsangst, genauso aber auch der Wunsch nach Nähe, der bei einigen aufkommt, wird umgesetzt in scheinbar wirren Choreografien, in Mono- und Dialogen der Schauspieler, in Bildprojektionen, mal lauter, schriller Musik und mal herzzerreißenden Arien aus „Eugen Onegin“.

Das Stück ist wirklich grandios! Ich bin begeistert von der Umsetzung von Alltagsthemen wie Beziehungen und Bindungsangst mit den vielen verschiedenen Stilmitteln. Nicht nur die Schauspieler haben mich umgehauen, sondern auch die Tänzer und die Sänger und die Musiker, die den Abend begleiten. Auch meine Mutter ist von den Socken. Sie meint, dass wir das unbedingt öfter machen müssten. Der Meinung bin ich aber auch!

Ida Lieback

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