zum Hauptinhalt
Mit einem Joint beginnt für viele Jugendliche die Drogenkarriere.

© dpa

Jugend und Drogen: Leben auf Entzug

Schluss mit Schuss: Jenny ist 16. Sie ist weg von den Drogen. Normal ist ihr Alltag aber längst noch nicht - und sie hat Sehnsucht nach Reinickendorf.

Der Tag läuft bisher ziemlich gut. Jenny war schon einkaufen und hat beim Kochen geholfen: Nudeln mit Cocktailtomaten gab es. Nachher muss sie noch ihr Zimmer aufräumen. Das ist gerade ziemlich unordentlich. Jenny ist 16 und heißt eigentlich anders. Sie hat viele Sommersprossen, einen braunen Pferdeschwanz, ist groß, dünn und ziemlich hübsch. Sie lacht viel, nur manchmal guckt sie ein bisschen trotzig. Ein ganz normaler Teenager, denkt man. Doch dann sagt sie plötzlich: „Ich bin suizidgefährdet, wenn ich keine Drogen nehme. Und ich ritze mich.“

In Wirklichkeit ist Jenny ziemlich traurig. Ihre Fröhlichkeit ist eine Schutzmaske. Drogen nimmt sie zurzeit nicht. Aber das war bis vor kurzem anders. Was sie genommen hat? „Alles!“ Jetzt lebt sie in einer betreuten Einrichtung für Jugendliche, die gerade einen Drogenentzug in einer psychiatrischen Klinik hinter sich haben. Clearing nennt man das. Hier, in Neukölln, sollen Jenny und ihre Mitbewohner zurück in ein Leben ohne Drogen finden – mit Psychotherapie, Akupunktur, Shiatsu und einem normalen Alltag, der aus Putzen, Kochen, Einkaufen besteht. Die Einrichtung dürfen sie nur in Begleitung von Betreuern verlassen.

„Hier gefällt’s mir“, sagt Jenny. „Hier haben wir eine Struktur und man ist geschützt.“ In der Morgengruppe nach dem Frühstück legen die Jugendlichen ein Tagesziel fest. Für Jenny war das heute der Einkauf mit einer Betreuerin. Trotz allem hat sie aber Sehnsucht nach ihrem Zuhause in Reinickendorf.

Jenny sitzt gerade an einem Tisch im Garten der Clearing-Einrichtung. Der Blick fällt auf ihre Unterarme: Zwei ovale, flache Wunden sind dort zu sehen. Sie kratze sich nachts die Haut auf, sagt ihre Betreuerin, Nadine Hommel. „Der körperliche Entzug ist schnell vorbei. Danach fängt erst der geistige an.“ Und Jenny ist mittendrin. „Wenn man keine Drogen mehr nimmt, wird man erst mal aggressiver und lauter“, sagt sie. Außerdem leidet sie am Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom ADHS. Stillsitzen liegt ihr auch ohne Drogenentzug nicht: Jennys Körper und vor allem ihre Hände mit den kunstvoll lackierten Nägeln sind keine Sekunde ruhig. Ständig bewegen sie sich zwischen Bechern und Wasserflaschen auf dem Gartentisch hin und her. „Sitz mal still. Du machst mich ganz nervös“, sagt einer ihrer Mitbewohner auf einmal. Jenny kichert. „Du sitzt doch auch nicht still“, kontert sie lachend.

Jugendliche mit psychischen Problemen sind besonders gefährdet, abhängig zu werden, sagen Psychologen. Und die meisten, die süchtig werden, haben auch größere Schwierigkeiten in der Schule und mit den Eltern. Bei Jenny kam all das zusammen: Schon in der Grundschule hatte sie Probleme mit Aggressionen. „Da habe ich immer den Kopf gegen die Wand gehauen, wenn mir etwas nicht gepasst hat.“ Zum ersten Mal gekifft hat sie mit zwölf. „Da haben sich gerade meine Eltern getrennt und mir ging’s dreckig.“ Bei einer Freundin fand sie Joints und darin Trost. Das Gefühl, in eine andere Welt abzutauchen, in der alles verschwamm, gefiel ihr. „Mit 13 war ich abhängig.“ Von allen möglichen Drogen. Polytox nenne man das, erklärt die Betreuerin. Mit 15 ging Jenny nicht mehr zur Schule. „Da hat man ja nix gelernt. Plus, minus und geteilt und so’n Kack.“ Das war ihr zu langweilig. Jenny ging zur Hauptschule, „dabei hätte ich auf Real gehen können“, sagt sie. „Ich hatte aber Schiss davor, es nicht zu schaffen.“

Dieser Satz zieht sich wie ein Motto durch ihr Leben. Schon nach einem kurzen Gespräch merkt man, wie unsicher Jenny ist. Wenn man sie fragt, ob sie es schaffen wird, auch dann keine Drogen mehr zu nehmen, wenn sie nicht mehr in der Einrichtung wohnt, sagt sie vage und gar nicht so fröhlich: „Wenn ich die Unterstützung von meinen Eltern und Freunden kriege. Ich bin nicht so stark, ich kann nicht gut Nein sagen.“ Jenny würde gern später eine Ausbildung zur Tischlerin machen. Dafür braucht sie einen Schulabschluss. Beides traut sie sich nicht zu. Drei Monate bleibt sie in der Einrichtung. Aber auch danach braucht sie weiter Behandlung. Sie muss lernen, sich selbst wertzuschätzen und sich etwas zuzutrauen.

Die Sucht hat sie über „Mama, Papa, Freunde“ finanziert. Als ihre Eltern von den Drogen erfuhren, gaben sie Jenny Geld, „damit ich nicht kriminell werde“. Dabei haben die Eltern selbst nicht viel: Die Mutter ist Hartz-IV-Empfängerin, der Vater hat auch keine Arbeit.

Immerhin war Jenny vor nicht allzu langer Zeit an einem Punkt angelangt, an dem sie erkannte, dass ihr Leben so nicht weitergehen kann: Sie wollte unbedingt einen Entzug machen. „Weil ich eine Droge genommen habe, die wirklich zu krass war: Heroin. Da wusste ich, dass ich zu tief gesunken war.“

Der körperliche Entzug in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie war hart: Acht Wochen war sie in der Klinik. Dort hat man sie auf Medikamente für ihr ADHS eingestellt. Die Pfleger seien streng gewesen, aber das war nötig. Wegen der Rückfallgefahr. In den ersten zwei Wochen durfte sie die Klinik nicht verlassen. „In der geschlossenen Abteilung war das Allerschlimmste die Mittagsruhe. Das ist krass für einen Drogenpatienten – der Horror.“ Eine Zeit ohne iPod, Gespräche, Fernsehen, Bewegung: „Ich dachte, ich explodiere.“ Die 30 Minuten kamen ihr vor wie fünf Stunden.

Die Zeit in der Klinik war schwer für Jenny. „Zum Schluss habe ich nur noch Scheiße gebaut: im Flur geschlafen, das Waschbecken kaputt gemacht und Butter gegen die Wand geschmissen.“ Besonders quälend: Sie durfte nur sieben Zigaretten pro Tag rauchen. „Der Drogenentzug war schon schlimm genug. Da muss man doch nicht gleichzeitig auch noch gezwungen werden, weniger zu rauchen.“

In der Clearing-Einrichtung sind mehr Zigaretten erlaubt. Wer jedoch mit Drogen erwischt wird, fliegt sofort raus. Und das will Jenny auf keinen Fall. Sie ist schon ziemlich weit gekommen. „Ich hab doch eine ganze Tüte Drogen dabei“, sagt sie trotzdem grinsend zu ihrer Betreuerin. Die guckt eine halbe Sekunde irritiert. Dann merkt sie, dass das ein Witz war und lächelt. Jenny lacht auch. Aber fröhlich klingt das Lachen nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false