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Lebenshelfer. Joshua Lupemba predigt Religion so, dass sie jeder versteht. Die Bibel hat er auf seinem iPhone.

© Paul Zinken

Jugend und Religion: Gottes Werk und Teufels Beitrag

Joshua Lupemba, 25, ist Berlins jüngster Pastor – und vielleicht auch der unkonventionellste. Beinahe wäre aus ihm ein Gangster geworden. Doch dann entdeckte er den Glauben für sich.

Bevor Pastor Joshua Lupemba seinen zwölf Jüngern die Welt erklärt, checkt er erst einmal den Sound. „Mic one, two.“ Dann dreht er die Regler auf und Pop-Musik plätschert aus den schnarrenden Boxen. In dem tristen Raum, dekoriert mit zwei Topfpflanzen und einigen Länderflaggen, strecken 13 Männer und Frauen ihre Hände zur Decke und singen lauthals: „How great is our god.“ Es ist Sonntag 12 Uhr 30 in Schöneberg. Und in der zweiten Etage eines versteckten Hinterhauses in der Bülowstraße – neben dem Hamam Sultan und der Karaoke-Bar „Green Mango“ – ist die Gemeinde der Christ International Church zusammengekommen, um ihren Gott zu preisen.

Pastor Lupemba, schwarzer Anzug, weißes Hemd, sandbraune Sneakers, tritt nach vorne an die Kanzel und klappt seinen Laptop auf. Mit dem Daumen wischt er übers iPhone, bis er die Bibelstelle gefunden hat, die er zitieren möchte. Johannes 14:25-27. Er sagt: „Heute wollen wir lernen, wie wir in Gottes Frieden leben können.“ Im Publikum sitzen Mütter mit Kindern, Schüler, Studenten. Pastor Joshua wiegt das Mikrofon souverän in der Hand, wie es nur geübte Redner tun. Anderthalb Stunden spricht er über Jesus und Lady Gaga, den Heiligen Geist und Beyoncé, das Evangelium und den Film „Hitch – Der Date Doktor“. Religion, so dass sie jeder versteht. Seine Jünger scheinen an seinen Lippen zu hängen, saugen die Worte auf wie ein Schwamm und schreiben fleißig mit. Zwischendrin rufen sie „Amen!“ oder „Halleluja!“. Eine Frau wischt sich eine Träne aus dem Auge.

Er jobbt als Türsteher, ist Laufbursche eines Musikmanagers, versucht seine eigene Künstleragentur aufzubauen.
Er jobbt als Türsteher, ist Laufbursche eines Musikmanagers, versucht seine eigene Künstleragentur aufzubauen.

© Paul Zinken

Das Ganze ist ein großes Schauspiel, das an afrikanische Gottesdienste erinnert und sich bewusst unterscheidet von der backsteinschweren Langeweile der evangelischen Luther-Kirche, die auf der anderen Straßenseite liegt. Es ist mehr Dialog als Kanzelpredigt, weniger theologisch-verquast, dafür alltagstauglich und lebensnah. Der Glaube als Lebenshilfe – typisch für evangelikale Freikirchen, die eine lebendigere Form von Spiritualität verkörpern. Die Christ International Church zählt sich zur Pfingstbewegung, der weltweit am schnellsten wachsenden Glaubensgemeinschaft mit Millionen Mitgliedern in Südamerika und Afrika. In Deutschland wurden die Freikirchen zunächst kritisch beäugt, mittlerweile aber als harmlos eingestuft. Die Zahl ihrer Gemeinden in Berlin steigt rasant, einige füllen regelmäßig ganze Kinosäle wie das Cinemaxx am Potsdamer Platz. Während der evangelischen Landeskirche die Mitglieder wegsterben, ziehen sie immer mehr junge Menschen an, die den Glauben neu für sich entdecken. Von der Bibel versprechen sie sich Lösungen für ihre privaten Probleme.

Junge Christen scheinen in der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden

Seine Botschaft ist: „Was ich geschafft habe, das könnt ihr auch.“
Seine Botschaft ist: „Was ich geschafft habe, das könnt ihr auch.“

© Paul Zinken

Abgesehen von Kirchentagen und Taizé-Treffen scheinen junge Christen in der öffentlichen Wahrnehmung von der Bildfläche verschwunden zu sein, seitdem nur noch über den Islam diskutiert wird. Laut Shell-Studie glauben nur noch 37 Prozent der Jugendlichen von zwölf bis 25 Jahren an Gott. Viele lehnen die Institution Kirche ab. Zu verstaubt und altbacken. Stattdessen flicken sie sich ihre eigene Patchwork-Religion zusammen. Genau diese Leute will Joshua Lupemba in die Kirche locken. Er ist gerade 25 geworden, der jüngste Pastor Berlins. „Mein Gottesdienst ist ein Motivationsevent“, sagt er. Er predigt keine Verbote, sondern den Spaß am Glauben.

Zwei Tage später in der Nürnberger Straße in Charlottenburg. Pastor Lupemba hat seinen Anzug gegen Jogginghose und Kapuzenpullover getauscht. Vorne im Haus befindet sich ein Musikstudio, hinten in seinem Büro fläzt der Pastor sich auf einen weißen Kunstledersessel, lässt die Fingerknöchel knacken und isst Pistazien. Kein Sex vor der Ehe, keine Partys, kein Alkohol – nach diesen Prinzipien versucht er zu leben. Vor Fehlern sei er aber nicht gefeit. „Wie jeder andere auch“, sagt er und grinst. Der Mann ist charismatisch, ein Menschenfänger. Seit fünf Jahren arbeitet Lupemba als Pastor, reist durch Deutschland und hält Vorträge auf Kongressen und in Schulen. Immer geht es bei ihm um Glauben und Integration. Er habe sich diese Themen nicht ausgesucht, sagt er. Sie seien Teil seiner Geschichte.

Dass er einmal Pastor werden würde, hätte Lupemba sich früher nie träumen lassen. Und das obwohl er das Kind zweier Pastoren ist. Vielleicht aber auch gerade deswegen. Seine Mutter stammt aus Ghana, der Vater, der die Familie früh verlässt, aus dem Kongo. Joshua wächst in Schöneberg auf, mit 16 macht er dort seinen Hauptschulabschluss. „Viel Scheiße“ habe er damals gebaut, erinnert er sich. „Schlägereien, Leute abgezogen.“ Ein kleiner Gangster.

Die Boateng-Brüder kannte er gut, P. Diddy war sein Vorbild

Zwei seiner Kumpels sind die Brüder Kevin-Prince und Jérôme Boateng, heute verdienen die beiden Fußballer Millionen. Auch Joshua will mit 20 seine erste Million auf dem Konto haben. Er jobbt als Türsteher, ist Laufbursche eines Musikmanagers, versucht seine eigene Künstleragentur aufzubauen. Sein Vorbild: P. Diddy.

Wenn sich Joshua heute an diese Zeit erinnert, lächelt er nachsichtig. Jugendliche Hirngespinste. Die Geschichte, wie aus dem Jungen von der Straße ein Pastor wurde, erzählt er lieber. Alles beginnt damit, dass er auf dem Alexanderplatz eine erbärmlich schlecht singende Gruppe junger Christen hört und sich denkt: „Das kann ich besser.“ Danach fängt er an, sich in der Gemeinde seiner Mutter zu engagieren und leitet einen Gospelchor. Als seine Mutter einen Schlaganfall erleidet und vier Tage im Koma liegt, beschließt er, sich zum Pastor ausbilden zu lassen und übernimmt die Gemeinde. Früher habe er gestottert und gelispelt, sagt Lupemba. Heute spricht er fehlerfrei. „Es ist, als hätte Gott mir ein Superman-Cape verliehen.“ Pathos und göttliche Fügungen gehören zu seinem Repertoire, darunter macht er’s nicht.

Immer geht es bei ihm um Motivation, positives Denken und Siegermentalität. Seine Botschaft ist: „Was ich geschafft habe, das könnt ihr auch.“ Nina ist 15 und kommt regelmäßig zum Gottesdienst. Sie hat die üblichen Teenagersorgen: Jungs, kiffen, Alkohol. Sie sagt: „Joshua spricht so cool, dass ich es auch verstehe.“ Robert ist erst zum zweiten Mal dort. Der 17-Jährige lebt alleine, sein Vater ist vor kurzem gestorben, zur Mutter hat er keinen Kontakt mehr. „Mein Leben ist ein Scherbenhaufen.“ Jetzt betet er morgens, mittags, abends. Die Gemeinde gibt ihm Halt, ein Gefühl zu wissen, wo man hingehört. Genauso geht es auch Leila. Mit 16 haut sie von zu Hause ab, weil ihre Eltern zurück in den Irak wollen, und zieht zu ihrer großen Schwester nach Berlin. Die nimmt sie mit zum Gottesdienst. Mit ihrer Mutter telefoniert Leila heute, fünf Jahre später, nur selten, mit ihrem Vater nie. Er weiß nicht einmal, dass seine Tochter keine Muslima mehr ist.

Es sind solche Schicksale, die sie vereinen in der Christ International Church in Schöneberg. Nach zwei Stunden kommt der Gottesdienst zum Ende. Alle stellen sich in einen Kreis, fassen sich an den Händen und schließen die Augen. Weil sich kein anderer traut, betet Pastor Lupemba laut. Danach setzen sich alle um einen Tisch und plaudern. Es ist Sonntagnachmittag, 14 Uhr 30. Pastor Lupemba hat seinen zwölf Jüngern die Welt erklärt, jetzt gibt es Kaffee und Brötchen.

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