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Abzocke

© Imago

Jugendgewalt: Ich Opfer

Knarre im Nacken? Überfall in der Nacht? Irgendwie Alltag in Berlin. Fünf Geschichten vom Abziehen von André Görke und Ric Graf.

Überfall? Nee, das passiert immer den anderen, mir nicht. So viel stand schon mal fest, oder etwa nicht? Es war Herbst, nachmittags, draußen schien die Sonne. Wir alberten im Bus herum, kamen aus der Schule. Plötzlich spürte ich einen kalten Gegenstand in meinem Nacken, der mir auf den Knochen gesetzt wurde. Jemand sagte: „Halt’s Maul und gib’ mir deine Jacke.“ Die Stimme war männlich, und wie der Typ das sagte – so unaufgeregt, leise, fast routiniert – merkte ich: Der macht diese Scheiße hier gerade nicht zum ersten Mal. Ich mein’, wie dreist muss jemand sein, mir am helllichten Tag die Jacke abzuziehen? Im Bus? Neben mir saß mein Kumpel, der sagte auch nichts, starrte nur mit aufgerissenen Augen in meinen Nacken. Ich war wie in Trance, zog die Jacke aus, hielt sie ihm hin. Als der Bus stoppte, riss der Typ sie an sich, sprang die Treppe runter und war weg. Dann fuhr der Bus wieder los, als wäre nichts passiert. „Der hatte ’ne Knarre“, sagte mein Kumpel, dann schwiegen wir, total irritiert. Zu Hause rief meine Mutter die Polizei. Den Typ haben sie ein halbes Jahr später erwischt. Ich identifizierte ihn in einem Lichtbildordner auf dem Polizeirevier. Mark, 16

Ich kam gerade mit meiner besten Freundin Susann von einer kleinen Privatparty von einem Schulfreund. Auf dem Weg zum U-Bahnhof Yorckstraße kam uns eine Gruppe von Mädchen entgegen. Wir waren in bester Feierlaune, alberten herum und tanzten zu Musik von Susanns MP3-Player. Die sechs Mädchen, etwa in unserem Alter, liefen an uns vorbei, beäugten uns schon recht merkwürdig und machten irgendwelche Sprüche. Wir beachteten die Mädels nicht wirklich und tanzten weiter in Richtung U-Bahnhof. Doch nur wenige Meter weiter packte mich jemand an der Schulter und noch bevor ich mich umdrehen konnte, standen alle sechs Mädchen um uns herum. Ich wusste sofort, dass es Stress gibt. „Geld und den MP3-Player" sagte eine und schnalzte so ghettomäßig mit der Zunge. Wir gaben ihnen, was sie wollten. Wegen der Überzahlsituation und wegen des Pfeffersprays, das uns ein dickliches Mädchen unter die Nase hielt. Eine ältere Passantin, die alles im Vorbeigehen beobachtete, lief ganz schnell an uns vorbei. Wir fuhren nach Hause und erzählten keinem etwas. Mira, 18

Ich hatte im Bahnhof Zoo die Orientierung verloren und wurde am Ende abgezogen. Okay, lag vielleicht auch an mir, dachte ich später. Ich war unsicher, als ich abends über den unteren U-Bahnsteig lief und die fünf Jungs anguckte, die da herumstanden. Ich dachte später daran, wie mir mein Vater erklärt hatte, warum Hunde kläffen oder Leute attackieren. „Die machen das, wenn du Angst zeigst“, sagte er, „das riechen die.“ Die Jungs am Bahnhof Zoo müssen meine Angst auch irgendwie gerochen haben, ich war wohl leichte Beute. „Hey, du, bleib mal stehen“, rief einer von ihnen. Und ich – oh Mann! – blieb wirklich stehen. „Hast du Geld?“, fragte einer, die anderen umkreisten mich, allen war klar, was jetzt kommt. Ich hatte Schiss, wollte nichts auf die Fresse kriegen und ließ die Sekunden über mich ergehen. Am Ende hatten sie 20 Euro und zwei alte Telefonkarten. Als ich an die frische Luft kam – hinten, am U-Bahneingang vorm Zoo – habe ich erst mal geheult. Anton, 14

Ich stand an der Bushaltestelle in Kladow und wollte zu einer Faschingsparty. Klar, ich sah dementsprechend dämlich aus, das Motto war: Proll. Ich trug eine getönte Sonnenbrille, ein knallbuntes und aufgeknöpftes Hemd, meine Haare waren schmierig nach hinten gegelt, da sprachen mich zwei Jungs an – oder besser: Der eine zeigte mir erst seinen Schlagring, dann sprach er mich an: „Ey, zeig’ Portemonnaie.“ – Ich: „Nee.“ – Er: „Gib’ Geld, wir haben nicht nur den Schlagring.“ Dann hob der andere seinen Pullover hoch, ich sah eine Knarre, die er sich wie im Gangsterfilm hinter den Gürtel geklemmt hatte. Ich finde solche Typen voll daneben. Die bedrohen Leute doch nur, weil sie den Kick suchen. Finanziell haben die das nicht nötig. Mich packte die Wut: „Toll! Find ich echt scheiße. Ihr seid zu zweit, droht hier mit euren Waffen, was soll ich allein machen, mmh? Hier nimm meine verfickten fünf Euro, die Monatskarte kannste auch ziehen, und dann? Verprügelt ihr mich? Ich hab echt keinen Bock mehr auf immer dieselbe Scheiße und … “ Es sah bestimmt super aus, wie ich die in meinem Faschingskostüm zuquatschte. Jedenfalls sagte der mit der Knarre irgendwann zu seinem Kumpel: „Lass ihn, der ist korrekt.“ Ich war froh, klar. Auf den Bus habe ich aber doch lieber auf der anderen Straßenseite gewartet. Ben, 18

Es war im letzten Sommer: Meine Freundin und ich saßen nachts auf dem Schöneberger Viktoria-Luise-Platz und tranken, redeten und knutschten. Irgendwann kamen drei Jungs um die 20 zu uns. Erst setzten sie sich neben uns und ließen Sprüche über mich los. Als ich sie anguckte, kam einer rüber und zückte sein Messer. „Gib dein Handy, Alter.“ Ich sagte: „Nein!“ Meine Freundin bekam Angst. Ich auch. Als die beiden anderen Typen dazukamen, gab ich ihnen das Handy. Meine Freundin ließen sie in Ruhe. Die Jungs hauten ab. Ich sagte: „Oh, das ist mir irgendwie peinlich, dass ich mich nicht wehren konnte und dass die mich einfach abgezogen haben.“ Sie sagte: „Nein, du hast das Richtige gemacht, das war Raub.“ Ja, stimmt. Das Wort Raub trifft es besser. Abziehen, das klingt so harmlos. Chris, 16

Aufgezeichnet von André Görke und Ric Graf.

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