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Wie geht das? Früher mussten junge Menschen selbst rausfinden, wie Sex funktioniert. Heute liefert das Internet detaillierte Anleitungen.

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Jugendliche und Internetpornos: „Youporn erschwert eine sichere Identität“

Jugendliche und Sexualität: das scheint heute problematischer als je zuvor zu sein. Stimmt das? Ein Gespräch mit dem Sexualmediziner Klaus Michael Beier über die Auswirkungen von Internetpornografie und den Gruppenzwang unter jungen Menschen.

Herr Beier, wenn über die Sexualität von Jugendlichen gesprochen wird, gibt es zwei Klischees: Sie sind entweder verwahrlost oder massiv verunsichert. Was stimmt denn nun?

So pauschal stimmt beides nicht. Zweifelsohne sind aber die Eltern heutiger Jugendlicher ganz anders aufgewachsen. Pornografie war für sie in dem Umfang nicht verfügbar. Heutzutage sind Angebote im Internet so präsent und selbstverständlich, dass sie als Rollenvorgaben dienen können. Bilder sind wirkmächtiger als Worte. Sex war bisher ein Lebensbereich, der nicht durch Zuschauen erlernt wurde. Heute sehen Jugendliche sexuelle Handlungen im Internet, bevor sie selbst eigene Erfahrungen machen. Kulturgeschichtlich ist das völlig neu.

Was bedeutet das konkret?

Die Pubertät beginnt im Schnitt mit elf Jahren. Geschlechtshormone schieben die körperliche und psychische Sexualentwicklung an. Untersuchungen zeigen, dass Kinder in diesem Alter beginnen, sich im Internet pornografische Bilder anzusehen, sie aufs Handy zu laden und gegenseitig zuzuschicken. Schon mit 12, 13 Jahren haben die meisten täglichen Zugang zu einschlägigen Seiten. Einige sehen auch sexuell abweichende, manche strafbare Inhalte – etwa Sex mit Tieren oder Kindesmissbrauch. Es gibt Zwölfjährige, die haben Vergewaltigungsdarstellungen gesehen.

Der Sex-Experte. Professor Klaus Michael Beier ist Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité.
Der Sex-Experte. Professor Klaus Michael Beier ist Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité.

© Charité

Haben die drastischen Bilder denn schon spürbare Auswirkungen?

Dazu fehlen Untersuchungen. Aber es ist vorstellbar, dass dadurch sexuelle Störungen entstehen können. Neurobiologisch werden beim Betrachten dieser Bilder die Spiegelneurone aktiviert. Sie bewirken, dass das Betrachten eines Vorgangs im Gehirn die gleichen Neurone aktiviert, als hätte der Betrachter die Handlung selbst durchgeführt. Diejenigen Kinder, die sich entsprechende Pornos anschauen, lernen an diesen wie an Modellen.

Welche Folgen hat das?

Das wissen wir noch nicht. Aber Fakt ist, dass die Fantasien von Erwachsenen durch das Internet ungefiltert auf die Kinder und Jugendlichen treffen. In einer Phase, wo sich unveränderliche Weichenstellungen ergeben – denn die sexuelle Präferenzstruktur manifestiert sich im Jugendalter und bleibt dann bis zum Lebensende unverändert bestehen. Aus meiner Sicht ist es ein großes Experiment an unserer Jugend – mit derzeit eben nicht einschätzbaren Auswirkungen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ein 14 Jahre alter Junge kam kürzlich in Begleitung seiner Mutter. Er hatte wochenlang ein Computerspiel im Netz gespielt, mehrmals auch im Beisein eines sechsjährigen Jungen aus der Nachbarschaft. In dem Spiel geht es um eine Frau, die Männer oral stimuliert. Je öfter sie das macht, desto mehr Punkte gibt es. Irgendwann hat der Jugendliche den Sechsjährigen dann aufgefordert, das bei ihm auch zu machen, also ihn oral zu befriedigen. Die Mutter war schockiert. Sie wusste nicht mal, dass es derartige Spiele gibt. Der Jugendliche wiederum sagte, das Spiel sei im Netz frei zugänglich und war nur begrenzt einsichtig.

Wonach suchen Jugendliche im Netz? Was können Eltern tun?

Wonach suchen Jugendliche im Netz noch?

Nach Bindungen – auch wenn es absurd klingen mag. Bindung bedeutet, dass ich in einem sozialen Bezugsraum das Gefühl habe, richtig zu sein, geschützt und geborgen zu sein, Sicherheit zu bekommen, eine Vertrauensperson zu haben. Wenn das nicht der Fall ist, bleibt das Bedürfnis danach bestehen – und das Internet bietet dafür so etwas wie Ersatz.

Funktioniert das so einfach? 

Wenn man dazugehören möchte, kann man schlecht gegen den Strom schwimmen. Und wenn es eben in der Gleichaltrigengruppe angesagt ist, Rap-Texte „cool“ zu finden, dann identifiziert man sich auch mit deren frauenfeindlichen und gewalttätigen Inhalten, die ja in einem hohen Maße in entwertender Weise sexuelle Beziehungen behandeln. Das ist alles meilenweit entfernt von dem, was man jungen Menschen wünschen würde in intimen Beziehungen tatsächlich zu erleben: nämlich gewollt zu sein, so wie man ist.

Was können Eltern tun?

Bindungen kultivieren, Liebe entgegenbringen. Zwischenmenschliche Beziehungen müssen eine höhere Priorität bekommen als Konsumgüter. Ein Kind muss merken, dass es mit allem zu seiner Mutter oder seinem Vater kommen kann. Eltern müssen eine Haltung dazu aufbauen, eine eigene Sicht auf die Dinge, die klar macht: Das sind Darstellungen, die mit der Wirklichkeit so gut wie nichts zu tun haben. Derzeit ist es aber oft so, dass sie gar nicht wissen, dass es die Bilder überhaupt gibt, die ihre Kinder längst gesehen haben. Um mit ihren Kindern zu sprechen und Fehlvorstellungen zu korrigieren, brauchen Eltern ein glaubwürdiges Konzept von Sexualität.

Haben Erwachsene ein solches Konzept?

In der Regel jedenfalls nicht so, dass sie es vermitteln könnten. Dazu muss man es reflektiert haben und es muss authentisch sein, also der achtsame und gleichberechtigte Umgang der Geschlechter muss der eigenen Überzeugung entsprechen.

Sollte Sex nur innerhalb einer festen Partnerschaft stattfinden?

Nein, überhaupt nicht. Und viele entscheiden sich ja bewusst dagegen. Das steht ja nicht im Widerspruch dazu, dass jeder ein Interesse daran hat, als Mensch akzeptiert zu werden und nicht als austauschbar behandelt zu werden.

Zugang zu Pornos haben Jungs und Mädchen gleichermaßen. Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung?

Ja. Jungs glauben, etwas lernen zu können und nutzen die Bilder auch zum sexuellen Erregungsaufbau. Mädchen sind eher abgestoßen. Aber unter dem Druck, dazugehören zu wollen, steigt die Gefahr, dass viele doch mitmachen, sich in die aufgezeigte Rolle hineinbegeben und es als übliche Sexualpraxis auffassen. Es ist ja auch erstaunlich genug, dass sie frauenverachtende Rap-Texte mitsingen und bei Konzerten in der ersten Reihe stehen.

Gerade wird viel über sogenannte Schmerzensmänner gesprochen: über Mittzwanziger, die Frauen wunderbar zuhören, sich aber nicht trauen, sie zu küssen. Hat Pornografie damit zu tun, dass sie Angst davor haben, als aggressive Macker zu gelten?

Schwer zu sagen, aber genau diese Altersgruppe ist ja mit „Youporn“ aufgewachsen und das macht es schwerer, eine sichere Identität aufzubauen. Das gilt für Männer wie für Frauen. Was sich aber nicht verändert und mutmaßlich auch nie ändern wird, ist die Sehnsucht nach funktionierenden Bindungen. Nur wird deren Verwirklichung eben immer schwieriger. Unsere Gesellschaft bietet diesem Zusammenspiel kaum mehr Raum. Der Fokus liegt eindeutig auf der individuellen Lust und nicht der gemeinsamen Beziehung.

Professor Klaus Michael Beier (50) leitet das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Universitätsklinik Charité. Seit über 20 Jahren arbeitet er als Sexualmediziner und Psychotherapeut – oft auch mit Jugendlichen. Zudem erstellt er Gerichtsgutachten zu Sexualstraftätern. Er ist Vater einer 27-jährigen Tochter und eines 22-jährigen Sohnes.

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