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© David Heerde

Junge Vietnamesen: Sehnsucht nach Hanoi

Sie sind in Berlin geboren, sprechen perfekt Deutsch und gehören in der Schule zu den Leistungsträgern Eigentlich sind Nam und Trang vorbildlich integriert – ihre wahre Heimat aber, sagen sie, ist Vietnam

„Für Deutsche sind vietnamesische Namen immer ziemliche Zungenbrecher“, sagt der Junge mit dem schwarzen Strubbelkopf. Um seinen vollständigen Vornamen, Hoai Nam, richtig auszusprechen, braucht es schon einige Übung. Oder eine Vereinfachung: „Du kannst mich Nam nennen.“

Nam und seine Klassenkameradin Trang, die eigentlich Huyen Trang heißt, sitzen in einem Lichtenberger Kulturzentrum, gerade haben sie zwei Stunden Unterricht hinter sich. Es ist Sonntagnachmittag, die beiden 17-Jährigen kommen, zusammen mit vielen anderen vietnamesischen Jugendlichen, jedes Wochenende in die Schule nahe dem S-Bahnhof Nöldnerplatz – um Vietnamesisch zu lernen.

Lernen ist ein gutes Stichwort. Über die Hälfte der 1300 vietnamesischen Oberschüler in Berlin geht aufs Gymnasium – bei den türkischen Schülern ist es jeder fünfte. An den Berliner Unis gab es letztes Semester fast doppelt so viele vietnamesische Studienanfänger wie Inder oder Briten. Woher kommt dieser Fleiß, diese Motivation? Warum setzen sich Nam und Trang, die beide auf ihren Gymnasien zu den Leistungsträgern zählen, auch am Sonntag noch in einen Klassenraum?

Bei Nam zu Hause in Prenzlauer Berg wird zwar ausschließlich Vietnamesisch gesprochen, darum spricht er die Sprache fast so gut wie Deutsch. Nur mit dem Schreiben und dem Lesen hakt es noch. „Aber Vietnamesisch ist meine eigentliche, echte Muttersprache,“ sagt Nam. „Es ist ein innerer Drang für mich, sie zu beherrschen.“

Die Friedrichshainerin Trang ist da pragmatischer. „Ich fliege alle zwei Jahre nach Vietnam. Und wenn ich da bin, möchte ich mich auch unterhalten können. Außerdem ist es immer gut, viele Sprachen zu können.“ In der Schule lernt Trang noch Englisch und Französisch. Bei ihr zu Hause wird viel Deutsch gesprochen: „Dadurch, dass mein Vater bei der Arbeit immer mit Deutschen zu tun hat, rutscht er immer ins Deutsche.“

Trangs Eltern sind, wie die von Nam, als Vertragsarbeiter aus dem sozialistischen Nordvietnam Mitte der 80er Jahre ins damalige Ost-Berlin gekommen. Seit Ende der 70er Jahre kamen auch viele Südvietnamesen, sie flohen vor der nach Ende des Vietnamkriegs eingerichteten neuen Regierung. Sie fanden in Westdeutschland und im Westteil Berlins Asyl. Bis heute haben beide Gruppen, insgesamt rund 10 000 Leute, wenig Kontakt zueinander. Ein bisschen ist es wie früher in Deutschland mit den Ossis und den Wessis. „Die aus dem Süden sprechen einen ganz anderen Dialekt,“ sagt Trang. Gerade bei den Jüngeren gibt es aber Berührungspunkte, auch in Nams und Trangs Sprachkurs sitzen zwei Schüler aus dem Süden.

Eines haben beide Gruppen gemeinsam: den hohen Bildungsanspruch. „Das ist in jeder Familie so,“ sagt Nam. „Vietnam war früher ein sehr armes Land. Meine Eltern sagen, dass ich es besser habe als sie früher, und dass ich das schätzen sollte, was ich habe.“ Nams Eltern wurden in der DDR als Arbeiter in einer Wäscherei eingesetzt, sie sind auch heute noch in der Branche. Trangs Eltern haben einen Obstladen. „Sie sagen, dass ich mich anstrengen soll, damit ich eine bessere Zukunft habe,“ sagt sie. Zwar hat die Zwölftklässlerin noch keine genauen Berufsvorstellungen. Aber: „Wenn ich gut in der Schule bin, kriege ich auch einen guten Job.“ Der ist wichtig, denn sie will ihren Eltern später zurückgeben, was diese ihr gegeben haben. „Wenn ich auf der Straße lande, war die Arbeit meiner Eltern ja umsonst.“ Das sei auch eine Frage des Ansehens.

Nam sieht das genauso. „Man muss die Sicht seiner Eltern nachempfinden.“ Er ist ein sehr ernsthafter Typ, nicht humorlos, aber mit klaren Vorstellungen. Und mit Pflichtbewusstsein. „Ich bin meinen Eltern dankbar für die strenge Erziehung. Man sollte sich nicht mit dem zufriedengeben, was man hat. Man sollte immer noch mehr erreichen wollen.“ Später will er was mit „Umwelt oder Ökologie“ studieren. Darum verbringt er im Durchschnitt zwei bis zweieinhalb Stunden pro Tag mit Hausaufgaben. Klar, es gibt auch Tage, an denen er keinen Bock hat. „Aber bis jetzt habe ich es immer geschafft, meinen inneren Schweinehund zu besiegen.“

Und was ist mit Freizeit? „Ich habe viel Freizeit!“ sagt Nam und lacht. Nachmittags und am Wochenende spielt er Fußball, bei Fortuna Pankow, linkes Mittelfeld. „Aber ich denke daran aufzuhören, weil ich das mit der Schule nicht in Einklang bekomme.“ Am Wochenende wird er auch oft zu „Homepartys“ eingeladen. „Aber ich lehne meistens ab. Da geht es immer um Alkohol. Warum soll ich mich sinnlos besaufen?“ Nam singt lieber Karaoke. Es gibt regelmäßig Partys, etwa im „Dong-Xuan-Zentrum“ in Lichtenberg oder im „Vietnam-Center“ in Marzahn. Nam aber geht nicht gerne in Bars, er feiert lieber privat, das kostet nichts und macht genauso viel Spaß. Er packt dann seine Playstation und Mikros ein und spielt mit Freunden „SingStar“.

Auch Trang liebt Karaoke. „Vietnamesen singen sehr gerne,“ sagt Trang und lacht: „Selbst wenn sie nicht gut singen können.“ Auf Familienfesten wird oft die Karaokemaschine angeworfen. Trangs Verwandtschaft trifft sich bestimmt jedes zweite Wochenende. „Man will sich ja auch mal von der Arbeit entlasten.“ Die Frauen kochen, die Männer sitzen im Wohnzimmer und quatschen. Nach dem Essen gibt es Obst. Und Gesang.

Nams Familie feiert nicht so häufig. Seine Eltern arbeiten die meiste Zeit, die Arbeitslosenzahlen sind hoch, es gibt viel Konkurrenz. Nam würde gerne jedes Jahr nach Vietnam fahren, letztes Jahr aber hat er verzichtet, um seinen Eltern die Kosten zu ersparen. Diesen Sommer aber will er wieder hin, in den Osterferien sucht er sich einen Job, um etwas zum Ticket beizusteuern.

Wenn er in Vietnam ist, in der Hauptstadt Hanoi, hat der Besuch bei seinen Großeltern höchste Priorität. Mit ihnen fährt er raus aufs Land, „in die Dörfer, aus denen meine Großeltern ursprünglich kommen. Da stehen wir dann am Grab unserer Vorfahren und beten.“ Für Nam ist das eine wertvolle Tradition. „Wir Buddhisten glauben ja an ein Leben nach dem Tod. Wir beten dafür, dass die Verstorbenen über uns wachen.“ Wenn Nam einmal, wie er sagt, „die andere Welt betritt“, will auch er „in meiner eigentlichen Heimat begraben werden“.

Und wie steht er zu der Stadt, zu dem Land seiner Geburt? „Berlin ist meine zweite Heimat,“ sagt Nam. „Ich wohne in Berlin und ich liebe Berlin. Und wegen Berlin auch Deutschland.“ Trotzdem, Nam sieht sich als Vietnamesen. Auf seinem grünen Reisepass steht „Socialist Republic of Vietnam“, darin klebt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Deutschland. Zuerst war Nams Name falsch geschrieben, die Erlaubnis wurde ausgetauscht. Hoai Nam, auf Deutsch bedeutet das „Sehnsucht nach dem Süden“. Nam lächelt. „Das hat sich mein Vater sehr fein überlegt.“ Der Süden – damit ist Vietnam gemeint.

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