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Hui, ist das hoch. Björn bleibt gelassen, wenigstens äußerlich.

© privat

Kolumne: Was machen wir JETZT?: Einfach mal fallen lassen

Bist du ein Feigling? Das fragte Constanze Bilogan. Unser Kolumnist antwortet ihr heute.

An diesem Sommerabend hingen die Sterne so tief über dem Zürichsee, dass wir glaubten, wir könnten Klimmzüge daran machen. Unten auf dem Kai zappelnde Koksnasen; über uns das Stahlgerüst der stillgelegten Werft. „Ey, lass mal hoch da“, sagte ich zu Miss Cloyde und Mister Jones. Und flüsternd hinterher: „Ich springe aber nicht.“ Prahlerei ist eine feige Verlockung.

Feuerleiter, die Mauer hoch, dann die Treppe, ans Geländer gedrückt, bis wir oben standen, 15 Meter hoch. Die Berge als Schattenrisse in der Dämmerung, Licht, das aus den Fenstern der Häuser sickerte, das Wasser wie ein Ölteppich. Springen oder nicht? Mister Jones fragte: Ist der See tief genug? Miss Cloyde sagte: Ich springe auf jeden Fall! Ich dachte: Wenn da unten Felsen sind, dann war’s das. Und sind die Boote nicht zu nah? Bedenken eines bekennenden Schissers.

Mut ist wahrscheinlich die männlichste Eigenschaft überhaupt. Boxer sind mutig, Geheimagenten, Kriegsreporter. Wer hat die dickeren Eier? Die ewige Frage. Ich habe es schon gehasst, als wir im Schwimmunterricht in der elften Klasse vom Startblock springen mussten, Bauchklatscher in Serie. Ich bin nicht mutig, glaube ich, eher tapfer.

Während wir zögerten, tänzelte plötzlich ein Typ auf der äußersten Stahlstrebe an uns vorbei, Siegerlächeln ins Gesicht gemeißelt. Der Hochseiltänzer winkte der Meute unten zu, bis alle jubelten, dann sprang er. Rückwärtssalto, doppelte Schraube, kaum ein Spritzer.

Wenn ich Turmspringer wäre, könnte ich das auch, sagte ich. Da zogen sich Mister Jones und Miss Cloyde schon die Klamotten aus und krochen nach vorne. Scheiße, wollt ihr das wirklich machen?! Die beiden schauten sich an. Eins, zwei, drei! Schrien. Rauschten in die Tiefe. Tauchten wieder auf. Woah! Geil! Spring!

Dann nahm ich Anlauf und sprang hinterher – in meinen Träumen jedenfalls. Tatsächlich klaubte ich die Klamotten zusammen und kraxelte die Treppe hinunter. Mister Jones prellte sich den Fuß, Miss Cloyde das Steißbein.

Ein halbes Jahr später das Wiedersehen. Eine Kneipe in Kreuzberg, Bier und Zigaretten. Wenn ihr ein Superheld wärt, welche Eigenschaft würdet ihr euch wünschen? Mister Jones sagte: Ich wäre gerne unsichtbar. Miss Cloyde sagte: Ich würde gerne alle verkloppen, wie Charlize Theron in „Hancock“. Ich dachte: Ich würde gerne einmal meine Klappe halten können, ich altes Großmaul.

Constanze, wirst du mal Doktor Bilogan?

Nächstes Mal schreibt an dieser Stelle Constanze Bilogan.

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