zum Hauptinhalt

Panorama: Oh, mein Papa

Filip Geier-Busch ist 22 Jahre alt und Zirkusdirektor – obwohl er nur mit drei Bällen jonglieren kann

Die Wirklichkeit macht ein hässliches Geräusch. Metall auf Metall, pling, pling, pling, die Münzen tanzen im Blecheimer. Der Clown kann Geld herbeizaubern. Ein Junge stolpert zu ihm in die Manege, der Clown lacht, zieht an seiner Nase, wieder fällt ein Geldstück in seinen Eimer.

„Vergessen Sie die Sorgen des Alltags, ein Traum beginnt“, hatte die Ansagerin zu Beginn der Vorstellung in Leipzig versprochen. Dann kamen die Peitschenschwinger, die Akrobaten am Reck, die Kamele. Am Ende aber geht es doch wieder ums Geld, und nun muss sogar der Clown seine Späße damit machen. Dem Jungen schießen Münzen aus den Ohren, das Publikum lacht, Tusch, der Clown winkt, Abgang.

Der Zirkusdirektor sitzt auf einem Plastikstuhl im Vorzelt, scharrt mit dem Fuß ein paar Kiesel von dem ausgefransten Bodenläufer und sagt: „Wer heute noch mit einem Ansager arbeitet, hat schon verloren.“ Filip Geier-Busch trägt halblange Haare, Jeans und Lederjacke. Er spricht mit tschechischem Akzent, um seinen Hals baumeln Goldkette und Handy. Vor drei Monaten hat Filip den Zirkus übernommen, jetzt trägt er die Verantwortung für 60 Menschen, 20 Tiere und eine Show namens „Sinfonie der Sinne“.

Filip Geier-Busch ist 22 Jahre alt und eigentlich Computerfachmann. Als kleiner Junge jonglierte er in der Manege mit bunten Bällen, gerade mal drei Stück konnte er in der Luft halten. Mit 14 Jahren beschloss er, nicht mehr mit dem Zirkus auf Tournee zu gehen, sondern lieber zur Schule. „Da war ich dann verantwortlich für 60 Computer, das war toll“, sagt er. Doch dann wurde Filips Vater krank, und der Zirkus brauchte ganz plötzlich einen Direktor. Einen, der sich darum kümmert, dass die Fahrzeuge in Ordnung sind, die Lichtorgel funktioniert und die Tiere genug zu fressen haben. Außer Filip kam aus der Familie dafür niemand in Frage, seine Schwester ist erst 14 und wenn er nicht eingesprungen wäre, hätte es keinen Zirkus Busch-Roland mehr gegeben. Also wurde Filip Zirkusdirektor – es ist auch nach drei Monaten noch nicht sein Traumjob, wenig Freizeit, viel „Verwaltungskram und Organisationsscheiß“. Er würde gerne in einer Fußballmannschaft spielen, aber wenn man in einer Woche in Leipzig ist und in der nächsten in Landshut, dann ist es schwer, einen Verein zu finden. Ganz kurz hatte Filip überlegt, ob er Nein sagen soll. Doch in diesem Jahr feiert der Zirkus Jubiläum, 120 Jahre Busch-Roland, und „eine Jubiläumstournee sagt man schließlich nicht ab, oder?“

Filip lehnt sich zurück, zieht einmal tief Luft ein, es riecht nach Popcorn und Zuckerwatte. Aus dem Café-Wagen winkt eine Frau herüber, Filip lächelt. „Die Blonde da ist meine Mutter“, sagt er. Nathalie Geier-Busch ist sorgfältig geschminkt, der dunkelrote Lippenstift ist farblich auf den Wollpulli abgestimmt. Früher ist sie im Glitzerdress in der Manege aufgetreten, heute verkauft sie in der Pause Gummibärchen für zwei Euro die Tüte. Als ihr Sohn den Zirkus übernahm, hat er als erste Amtshandlung die hinteren drei Reihen abbauen lassen, damit das Zelt nicht so leer aussieht. 1400 Plätze hat er jetzt noch, wenn 350 Zuschauer in die Vorstellung kommen, ist das schon ein guter Tag.

Es gibt in Deutschland fast 400 Betriebe, die sich Zirkus nennen und „nur Schund verkaufen“, sagt Filip „Die machen alles kaputt.“ Die großen deutschen Zirkusse, Roncalli, Krone, Simoneit-Barum, Flic-Flac und Busch-Roland sprechen untereinander ihre Tourdaten ab, um sich nicht in die Quere zu kommen. Doch bei den Kleinen weiß man nie, wo sie gerade herumfahren, und wenn sie einem in einer Stadt zuvorkommen, kann ein viel versprechender Tourort zum Flop werden – wie jetzt Leipzig.

In der Manege ist Pause, es gibt Kamelreiten für Kinder, zwei Runden kosten drei Euro. Der Kartenverkäufer versucht, die zahlungswilligen Menschen in geordnete Bahnen zu lenken, Kinder drängeln sich um den 53-jährigen Eugen Stipka. Er war mal Akrobat, ein echtes Zirkustier. Heute ist er Show-Regisseur und Kamelkarten-Verkäufer. Für ihn war immer klar, dass er im Zirkus alt wird: „Wo soll ich sonst hin?“ Er hat drei Generationen der Geier-Buschs erlebt. Der Alte habe Zirkusblut in seinen Adern gehabt, da lief das Geschäft von selbst, Filips Vater aber fehlte die große Liebe zum Zirkus, sagt er. Und Filip? „Er ist der aggressivste von allen. Er will den Zirkus verändern, immer Neues ausprobieren.“

Da ist zum Beispiel dieses Lied „Oh, mein Papa“, das seit Jahrzehnten jede Aufführung eröffnet. Der neue Direktor findet es langweilig. „Phil Collins würde mehr Stimmung machen“, erklärt er. Den anderen hat Filip Geier-Busch noch nichts davon erzählt.

Stéphanie Souron

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false