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Panorama: Schulen können nicht alles richten

Viele Ausländer, lange Grundschulphase: Die Pisa-Studie zeigt auch, wo Lehrer an ihre Grenzen stoßen

Die Pisa-Woche ist vorbei. Aber was hat der Ländervergleich für Berlin gebracht? Haben die Schulen jetzt Fakten in der Hand, die ihnen bei der Qualitätsverbesserung helfen können? Das kommt darauf an, welchen Aspket der Studie man herausgreift.

DIE MIGRANTEN

Dies ist der alarmierendste und für Berlin wohl wichtigste Aspekt der Pisa-Studie. Denn die Wissenschaftler haben sich nicht damit begnügt, den Migrantenanteil zu untersuchen, sondern sie haben innerhalb dieser Gruppe auch noch genau unterschieden. Das Ergebnis ist, dass die Türken die bei weitem schwierigste und gefährdetste Gruppe ausmachen: Obwohl sie zum größten Teil in Deutschland geboren sind, sprechen von ihnen nur 32 Prozent im Alltag deutsch. Zum Vergleich: Unter den Schülern aus der ehemaligen Sowjetunion sprechen 46,5 Prozent im Alltag deutsch, obwohl über die Hälfte nicht hier geboren ist.

Pisa weist eindeutig nach, dass die Leistung der Schüler darunter leidet, wenn im Alltag nicht deutsch gesprochen wird. Anders ausgedrückt: Je höher der Anteil von Kindern türkischer Herkunft ist, desto schlechter die Pisa-Leistungen.

Dieser Befund nun ist besonders dramatisch für Berlin, denn in keinem anderen Bundesland ist der Anteil türkischstämmiger Schüler unter den Migranten so hoch wie in Berlin: Er liegt bei 35 Prozent. Den zweithöchten Anteil hat Bremen mit 26 Prozent, den niedrigsten das Saarland mit 11,4 Prozent.

Insgesamt hatte Berlin im vergangenen Schuljahr knapp 24 000 Schüler mit türkischem Pass. Hinzu kommen noch tausende, die einen deutschen Pass haben, aber türkischer Herkunft sind und deshalb ebenfalls zu der Risikogruppe gehören. Die Pisa-Forscher beschreiben dieses Risiko drastisch: So heißt es in der Studie, dass die hier geborenen Schüler mit türkischen Eltern eine Gruppe bilden, „für deren soziale und wirtschaftliche Zukunft eine unzureichende Grundlage besteht“. Der Befund sei „alarmierend gerade angesichts der Tatsache, dass diese Jugendlichen bereits in Deutschland geboren sind, ihre gesamte Schulzeit in Deutschland verbracht haben und diese Gruppe einen relativ hohen Anteil in der Bevölkerung aufweist“.

Zusammenfassend fügen die Wissenschaftler hinzu, dass die Mathematik- und Lesekompetenzen der türkischstämmigen Schüler in fast allen Bundesländern so niedrig sind, „dass sie für etwa die Hälfte der in Deutschland geborenen Jugendlichen türkischer Herkunft“ nicht über die niedrigste Kompetenzstufe hinausgehen. Und das Problem wird nicht kleiner, sondern größer. Ein Blick in die Statistik der Schulverwaltung zeigt, dass der Ausländeranteil weiterhin steigt. In Mitte sind über 63 Prozent der Grundschüler „nichtdeutscher Herkunft“, in Friedrichshain-Kreuzberg sind es 56, in Neukölln 50 Prozent. Und immer bilden die Türken die bei weitem größte Gruppe. Da sie daran festhalten, Ehepartner aus der Heimat zu heiraten, ist eine Lösung des Problems nicht abzusehen.

Für Heinz-Elmar Tenorth, Erziehungswissenschaftler an der Humboldt-Universität, steht angesichts dieser Zahlen fest, dass die Schulen „nur noch hinterherlaufen können“. Allein seien sie mit der Situation überfordert. Tenorth erinnert daran, dass „Pisa-Papst“ Jürgen Baumert schon vor Jahren Sommercamps und Samstagsunterricht gefordert hatte, um die Migranten zusätzlich zum normalen Schulbetrieb zu fördern.

DER SCHULFORMVERGLEICH

Hier haben sich die Tücken der Statistik gezeigt: Wenn in den einzelnen Bundesländern ein unterschiedlich hoher Prozentsatz der Jugendlichen die jeweilige Schulform besucht, ist die Leistung kaum vergleichbar. Dass Berlins Hauptschüler das bundesweite Schlusslicht sein würden, war klar, weil in keinem anderen Bundesland nur die schwächsten zehn Prozent auf die Hauptschulen konzentriert werden. Es ist also verständlich, wenn die Hauptschullehrer angesichts der neuen Pisa-Ergebnisse mit den Schultern zucken und auf all die Wissenschaftler und Schulfachleute verweisen, die seit Jahren die Abschaffung dieser „Restschule“ fordern.

Ähnliches gilt für die Gymnasien. Auch bei dieser Schulform gehörten die Berliner zu den Schlusslichtern. Und auch dies konnte nicht verwundern, weil kaum ein anderes Bundesland die Türen zu den Gymnasien derart weit aufstößt. Wenn ein Berliner Gymnasium Plätze frei hat, muss es jeden nehmen – sogar Schüler mit Hauptschulempfehlung. In den sozialen Brennpunkten gibt es Gymnasien, deren Siebtklässler nur zur Hälfte eine Empfehlung für das Gymnasium haben. Nicht verwunderlich, wenn sie das Niveau absenken, um nicht 40 oder 50 Prozent der Schüler im Probehalbjahr oder später wegschicken zu müssen.

Die Gymnasien haben aber nicht nur den Nachteil, dass sie alle Schüler aufnehmen müssen. Sie sind auch dadurch im Bundesvergleich benachteiligt, dass sie die Kinder nicht schon nach der vierten, sondern erst nach der sechsten Klasse fördern können. Zwar hatten Bildungssenator Klaus Böger (SPD) und auch Peter Heyer vom Grundschulverband vergangene Woche die Meinung vertreten, dass sich die Gymnasien nicht mit dem Hinweis auf die sechsjährige Grundschule „herausreden“ könnten, sondern selbst die Verantwortung dafür hätten, die Schüler auf das Bundesniveau zu heben.

Dies aber hält Erziehungswissenschaftler Tenorth für völlig abwegig. Es sei doch klar, dass es schwieriger sei, wenn man die Kinder erst zwei Jahre später in seinem eigenen Bildungsgang fördern könne, sagte Tenorth gestern gegenüber dem Tagesspiegel. Dieser Nachteil, den sowohl Berliner als auch Brandenburger Gymnasien aufgrund der sechsjährigen Grundschule hätten, dürfe nicht unterschätzt werden: „Jeder weiß doch, dass die Klassen fünf und sechs die Achillesfersen der Grundschule sind“, so Tenorth weiter. Wie berichtet, gehört auch Brandenburg zu den gymnasialen Schlusslichtern.

AKTIVE UND PASSIVE SCHULEN

Dieser Gesichtspunkt gehört zu den Lichtblicken der Studie. Denn hier wird deutlich, dass eine Schule es jenseits aller Personalengpässe und sozialen Problematiken auch zum Teil selbst in der Hand hat, ihr Schicksal zu beeinflussen. Die Pisa-Wissenschaftler haben ermittelt, dass nur 38 Prozent der Berliner Schulen „aktiv“ sind, das heißt, dass sie ihre Spielräume ausnutzen. Demnach gibt es Schulen, die sich bei gleich schlechten Bedingungen völlig unterschiedlich verhalten: Das eine Kollegium zeigt jammernd auf die schlechte Personalausstattung oder die gleichgültigen Eltern, auf die miserablen Sprachkenntnisse und schwänzende Schüler. Die andere Schule aber nimmt den Kampf auf, forciert die Teamarbeit oder den Förderverein und schafft dadurch freie Kapazitäten für gezielte Förderungen und erschließt Quellen für mehr finanziellen Spielraum.

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