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Objekt mit Seltenheitswert. Während seines Selbstversuchs kommunizierte unser Autor ausschließlich per Festnetztelefon. Fotos: dpa, Mike Wolff / Montage:Olga Hoffmann

© picture-alliance/ dpa

Selbstversuch: Digitale Nulldiät

Ständig per Handy und Internet erreichbar zu sein, kann nerven. Unser Autor verzichtete – und war überrascht

Vor kurzem hat an dieser Stelle Miriam Mogge über ein ganz normales Partywochenende geschrieben, oder besser: über den Versuch dessen. Und über den Stress, den sie hatte, sich mit Freunden verbindlich zu verabreden. Dank Handy, so ihr Fazit, ist das heutzutage fast unmöglich, es bedarf etlicher Anrufe und dutzender SMS – man will ja flexibel bleiben, falls irgendjemand kurzfristig doch noch eine bessere Party auftut.

Mit dem Handy verbindet die meisten von uns eine Hassliebe. Unser Verhältnis zu den modernen Kommunikationsmitteln ist paradox: Einerseits bereichern sie unser Leben, andererseits fühlen wir uns vom klingelnden Mobiltelefon, vom summenden Blackberry und der endlosen Weite des Internets überfordert. Ein Leben ohne sie kann sich trotzdem keiner mehr vorstellen, und die meisten kennen Wählscheibentelefone und Faxgeräte wohl nur noch aus Erzählungen.

Digital Natives, also digitale Ureinwohner, werden die Menschen im Branchensprech genannt, die mit Handy und Internet groß geworden sind, bei ihnen ist die Onlinebindung immens stark. Laut einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom unter 14- bis 29-Jährigen konnten sich 97 Prozent kein Leben ohne Handy mehr vorstellen, ein Alltag ohne Internet ist für 84 Prozent ausgeschlossen. Für 30 Prozent der männlichen Befragten ist der Internetzugang sogar wichtiger als Sex.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich das Leben ohne moderne Kommunikationsmittel anfühlt, beschließe ich, Mobiltelefon und Internet für eine Weile abzustellen und eine digitale Nulldiät auszuprobieren. Nachdem die Entzugsschmerzen der ersten Tage überstanden sind, stelle ich fest, dass mir das Handy im Alltag zwar als Uhr fehlt, ich zu Verabredungen absurderweise trotzdem überpünktlich bin.

Für mich ist das eine überraschende Erkenntnis. Denn sonst bin ich einer dieser Menschen, die die Kurznachricht „Tut mir leid, bei mir wird es 15 Minuten später“ als wiederverwendbare Vorlage in ihrem Mobiltelefon gespeichert haben. Und ein kurzes Geständnis an alle, die diese Nachricht schon einmal von mir bekommen haben: Nein, die S-, U- und Trambahnen sind jeweils ganz regulär gefahren – ich hatte mich nur nicht vom Internet losreißen können. Der Vorteil, wenn man handylos lebt: Auch andere können sich nicht mit schnell getippten Nachrichten vorab für ihre Verspätung entschuldigen. Würde man denken.

Mein Magen knurrt lauter als jeder Vibrationsalarm, als ich das Restaurant betrete, in dem ich mit meinem Freund Armin zum Abendessen verabredet bin. Das Treffen haben wir ganz altmodisch über das Festnetztelefon vereinbart. Ich sitze noch keine zwei Minuten, da tritt der Kellner mit leicht verwirrtem Blick an meinen Tisch: „Scusi, Sie müsse sein Christoph?“ Schnell wird klar, woher er das weiß: „Ihr Freund gerade angerufe. Verspätet sich um fumfe oder zehn Minute.“ Und tatsächlich: Zehn Minuten später sehe ich Armin über die Straße eilen. „Scheiß Straßenbahn!“, schimpft er.

Ich habe Armin schon eine Weile nicht mehr gesehen – als ich noch online war, haben wir es monatelang nicht geschafft, über ein „vielleicht nächste Woche, mailen wir einfach noch mal“ hinauszukommen. Es wird ein nettes Wiedersehen. Am Ende lädt er mich zu seiner Lesung ein, die ein paar Tage später stattfindet, und wie verabredet finde ich mich am besagten Tag vor der Backsteinvilla ein, die sein Verlag offenbar angemietet hat. Die Eingangstür steht offen, aber niemand ist zu sehen. Sind alle Gäste noch unterwegs und die Veranstalter selbst so spät dran? Ich bin irritiert. Warum kommt Armin nicht und liest aus seinem Buch? Warum kommt nicht wenigstens ein Hausmeister und fragt, was ich hier will? Unter normalen Umständen würde ich einfach Armin anrufen, um herauszufinden, wo das Problem liegt.

Dies ist der Moment meines Selbstversuchs, in dem ich bereit wäre, selbigen abzubrechen und in ein Internetcafé zu gehen, um a) nachzusehen, ob ich eine Absage der Lesung per Mail bekommen habe. Um b) zu googeln, ob der Termin beziehungsweise seine Verschiebung irgendwo angekündigt ist. Und um c) Armin eine Reihe unflätiger Beschimpfungen zu mailen, für deren Grobheit ich mich am nächsten Tag entschuldigen müsste. Doch in einem Villenwohnviertel wie diesem hier gibt es natürlich keine Internetcafés oder Callshops, die mit billigen Tarifen nach Angola werben. Hier gibt es nur Hecken und Hermès. Ich will gerade aufbrechen, als ich auf einem Tisch ein Blatt Papier entdecke. Auf ihm ist die Bestuhlung aufgemalt sowie eine Einkaufsliste für Getränke und Catering. Die interessanteste Information steht jedoch groß darüber: Armins Name – und das morgige Datum.

Eine Antwort, die natürlich sofort mehrere neue Fragen aufwirft: Warum bin ich nicht nur ein paar Minuten zu früh, sondern gleich einen ganzen Tag? Hat mir Armin den falschen Termin gesagt? Habe ich ihn mir falsch gemerkt? Wie soll man das bei einer Einladung, die nur mündlich über einer Panna cotta ausgesprochen wurde, jemals herausfinden?

Schlecht gelaunt mache ich mich auf den Heimweg. Plötzlich kommt mir ein Mann entgegen, der laut mit sich selbst spricht. Früher ging man in einem solchen Fall von einem Verrückten aus und hielt sicherheitshalber ein wenig Abstand, um nicht als Außerirdischer beschimpft zu werden, der dem Schreihals seine Gedanken rauben will. Irgendwann kamen jedoch Freisprecheinrichtungen für Handys in Mode, und wenn einem jemand die Straße entgegenkam, der lautstark mit sich selbst zu sprechen schien, konnte man fast immer einen kleinen Ohrstöpsel mit einem Kabel entdecken. Statt „Uh, der Arme ist auf einem LSD-Trip hängen geblieben“ dachte man also: „Uh, der Arme muss hier auf der Straße seine Freundin anmaulen.“

Der Mann, der mir jedoch heute entgegenkommt, hat kein Handy in der Hand, und in seinem Ohr steckt kein Knopf einer Freisprecheinrichtung. Trotzdem zetert er wild vor sich hin. „Kann man doch nicht machen so was … Hosenanzug, dreimal hab ich’s gesagt … Ah, ja in der Mongolei, natürlich, natürlich! Der feine Herr … Halt! Stop! Alles zurück!“ Es gibt sie also noch, die guten alten Verrückten. Ich hoffe, ich werde durch meinen kalten Entzug nicht auch einer von ihnen.

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