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Tote Popstars: Schmerz an Schmerz

Unser Star, unsere Epoche: Künstler wie Amy Winehouse sind die Idole einer Generation. Ihr Tod versetzt uns in eine kollektive Melancholie. Warum eigentlich?

Am Tag, als die berühmteste Soulsängerin des 21. Jahrhunderts einschlief und nicht wieder aufwachte, hat sich auf den Seiten des Online-Netzwerkes Facebook vermutlich ein Rekord ereignet. Noch nie in dessen Geschichte dürfte es einen Namen gegeben haben, der innerhalb kürzester Zeit so oft gepostet wurde. „Amy, warum nur?“, „Amy R.I.P.“, „Amy, we’ll miss you“ – Einträge dieser Art las man zuhauf, und es schien, dass viele auf einmal das sehr dringende Bedürfnis verspürten, sich zu einer internationalen Trauergemeinschaft zu vereinen.

Was uns so aufwühlt, wenn ein Popstar früh stirbt, sind, so scheint’s, die tragischen Umstände: so jung, so verloren, so talentiert. Aber es bei diesem Grund zu belassen, wäre verlogen: So empathisch sind wir dann doch nicht, dass wir allen Ernstes um Menschen trauern würden, die uns als leibhaftige Wesen allenfalls auf Konzertbühnen begegnet sind. Es geht natürlich um uns selbst und niemand sonst, wenn der Tod von Musikern uns in Aufruhr versetzt. Schließlich erleben wir einen dieser seltenen Momente, in denen innerhalb einer ganzen Generation ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entsteht, eine Art melancholischer Kollektivrausch: Unser Star! Unser Song! Unsere Epoche!

Als sich der 27-jährige Nirvana-Sänger Kurt Cobain im Frühjahr 1994 mit einer Schrotflinte in den Kopf schoss, war dieses Gefühl womöglich noch tiefgreifender. Cobain war ja weitaus mehr als nur ein genialer Grunge-Musiker. Er war ein Märtyrer, der stellvertretend all die Schmerzen durchlitt, die man selbst erfolgreich verdrängt hatte: die Leere und die Einsamkeit in einer Ära, die nach dem Untergang der kommunistischen Systeme das große Glück der Freiheit versprach und doch nur kalten Konsum zu bieten hatte. Kein Wunder, dass Cobains Tod ganz andere Dimensionen der Trauer auslöste. In den USA und in Europa verfielen Eltern in äußerste Nervosität, weil sie Angst vor einen Werther-Effekt hatten. Die befürchtete Selbstmordwelle blieb dann allerdings aus.

Was alle früh verstorbenen Ikonen gemeinsam haben, sind voyeuristische, mit großer Detailversessenheit geführte Debatten um die Todesursache. Mancher Tod ist bis heute rätselhaft geblieben, wie der von Doors-Sänger Jim Morrison im Alter von 27 in seiner Pariser Wohnung 1971. Sein Leichnam war damals nicht obduziert worden, weshalb viele Fans der offiziellen Diagnose Herzinfarkt nicht glaubten – Umstände, die hippieske Fantasien aufblühen ließen. Sein Bandkollege Ray Manzarek hielt es tatsächlich für möglich, dass Morrison untergetaucht sei und auf den Seychellen ein Leben als Müßiggänger führe. Einige Doors-Fans sind ebenfalls Anhänger diese Theorie. Was den Tod von Amy Winehouse betrifft, sprossen die wildesten Gerüchte aus dem Boden, ehe die Ärzte überhaupt erste medizinische Ergebnisse veröffentlichen konnten. Woran ihr Vater Mitch nicht ganz unschuldig war: Er irritierte mit dem Hinweis, seine Tochter sei in den Wochen vor ihrem Tod clean gewesen.

Wer einen näheren Blick auf die Todesumstände wirft, die als gesichert gelten, entdeckt erstaunliche Zusammenhänge. Der Heroin-Exitus etwa ist eine Spezialität der Rockmusik. Ob die Bluesrockerin Janis Joplin, der Punk Sid Vicious oder Grungerocker wie Alice-In-Chains-Sänger Layne Staley, sie alle gingen in jungen Jahren an der Nadel zugrunde. Opfer von Gewalttaten finden sich dagegen, mit Ausnahme von John Lennon, fast ausschließlich in den Genres der Black Music. Der Reggae-Musiker Peter Tosh wurde von Raubmördern in seinem Haus in Kingston getötet, der Soul-Sänger Marvin Gaye starb, weil sein Vater während eines Streits auf ihn schoss. In den 90er Jahren ließen Rapper wie Tupac Shakur oder Notorious B.I.G. ebenfalls im Kugelhagel ihr Leben – sie waren in Bandenkriege im Gangster-Milieu verwickelt.

Es sind Dramen wie diese, in denen wir unsere persönlichen Erinnerungen als Fan widerspiegeln und die unserer faden Biografie als Musikhörer ein bisschen Bedeutungsschwere verleihen. Wer etwa am 1. März 1994 Zeuge wurde, wie ein heillos depressiver Kurt Cobain mit Nirvana in München sein letztes Konzert gab, hat eine kleine Nebenrolle im großen Rock’n’Roll-Mythos erhascht. Vom Sternenstaub der Legenden fällt etwas auf uns ab.

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