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Panorama: Vom Spielen zum Lesen

Beim Theater- und Sprachcamp des Jugendkulturzentrums Pumpe bringen Kinder in den Ferien einen ganzen Roman auf die Bühne. Manche von ihnen sind erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Sie kommen aus dem Iran, Syrien oder Afghanistan.

„Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen!“ karikieren die Schüler lahmen Politikersprech und mimen lautlos die Sprechblasen dazu; sie flüstern dramatisch im Chor die innere Stimme ihrer Hauptfigur und schreien bühnenreif im Solo ihren Text.

Wer denkt, dass einen Roman mit 280 Seiten zu lesen, eine stille und einsame Beschäftigung ist, der wird bei dem Theater- und Sprachcamp des Jugendkulturzentrums Pumpe in Tiergarten überrascht. Innerhalb von zehn Tagen erschließen sich dort 27 Berliner Schüler in zwei Gruppen den Jugendroman „Beschützer der Diebe“ von Andreas Steinhöfel. Jeden Tag lesen sie zwei Kapitel, immer auf eine andere Weise: mal wird ihnen vorgelesen, mal tragen sie selbst reihum im Kreis vor, mal lesen sie zu zweit und zeichnen, was sie gelesen haben. Im Anschluss wird immer eines der beiden Kapitel szenisch umgesetzt und der jeweils anderen Gruppe vorgeführt. Am Ende des Camps bringen die Schüler den ganzen Roman auf die Bühne.

Eine „Verführung zum Lesen“ soll das Theater- und Sprachcamp für die zehn- bis zwölfjährigen Teilnehmer sein, sagt die pädagogisch-künstlerische Leiterin Birgit Oelschläger. Das Camp, das nun den dritten Sommer in Folge stattfindet, richtet sich an Schüler, die Förderbedarf in Lesen und Sprechen haben. Sie kommen aus unterschiedlichen Grundschulen – teils aus der Nachbarschaft, teils aus anderen Grundschulen, etwa in Schöneberg. Auch sonst ist die Gruppe sehr gemischt: Manche sprechen als Muttersprachler problemlos, tun sich aber mit dem Lesen schwer und sind deshalb beim Camp dabei. Andere leben erst seit wenigen Monaten in Berlin und lernen derzeit intensiv Deutsch. Und manche Kinder wollten einfach mitspielen, weil sie den Roman toll finden.

Man arbeite zwar mit Flipcharts, aber ansonsten sei außerhalb der Schule, ohne Tische und Stühle eine „andere Lesehaltung“ möglich, sagt Oelschläger. Das meint sie auch wörtlich: die Jugendlichen können sich wie zu Hause beim Lesen zwischendurch gemütlich ausstrecken. Durch den theaterpädagogischen Ansatz verschiebt sich der Fokus des Lesens: denn die Schüler sollen die Geschichte über drei Jugendliche, die an fünf Sommertagen in Berlin eine Entführung aufklären, spannend weitererzählen.

„Laut und deutlich“, wiederholt die zwölfjährige Jafer, worauf man beim Sprechen vor Publikum achten muss. Die Kinder lernen auf Blickkontakt und Sprechgeschwindigkeit zu achten und zu präsentieren. Theater kennt und liebt Jafer schon aus dem Iran, sagt sie. Seit neun Monaten leben sie und ihr jüngerer Bruder Barman, der auch an dem Camp teilnimmt, in Berlin. Im Schulunterricht sei sie schüchtern, sagt Jafer. Es komme auf die Klasse an, aber ihr Bruder und ihre Mitschülerin Fatima aus Afghanistan wurden schon öfters ausgelacht, wenn sie in Deutsch einen Fehler gemacht haben.

Auch der zwölfjährige Laith, der vor sieben Monaten aus Syrien nach Berlin kam, wurde ausgelacht, als er in der Schule einmal in der Aufregung beim Vorlesen am rechten Ende der Zeile begann. Im Arabischen liest man von rechts nach links, erklärt Laith, in Syrien würde er in die siebte Klasse kommen, in Berlin in die sechste. Nach dem Theatercamp nimmt er jeden Tag noch extra Deutschunterricht.

Jede Schülergruppe wird von einem Theaterpädagogen und einer Sprachförderkraft betreut. Sie erklären die direkte Rede, wann die Stimme nach oben geht und verwirrende Worte wie „resolut“, „Irreführung“, „forsch“ oder „Witwe“. Warum das heißt, dass jemand gestorben ist, obwohl das im Text gar nicht erwähnt wird. Korrigieren sollen sich die Schüler eher untereinander. Die Pädagogen halten sich dabei zurück und wollen vor allem ermuntern. Mit diesem Ansatz entsteht bei den Proben nur ein neues Problem: viele der jungen Schauspieler hätten gerne mehr Text. kal

„Beschützer der Diebe“ – Die Abschlusspräsentation des Theater- und Sprachcamps kann man am kommenden Freitag, den 5. Juli um 14 Uhr erleben. Das KulturZentrum PUMPE, befindet sich in der Lützowstraße 42 in Tiergarten, 10785 Berlin. Der Eintritt ist frei.

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