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Panorama: Vor dem Tribunal

Unsere Leserin Birgit Brundage fälschte eine Unterschrift, ihr Lehrer rüttelte sie auf

Mitte der sechziger Jahre, ich war im vierten Schuljahr, hatte vielleicht eine Strafarbeit weitreichendere Folgen für meinen Lebensweg, als es beabsichtigt war.

Wieder einmal hatte ich vorlaut in den Frontalunterricht hineingeredet und den Unterricht gestört. Als Strafe sollte ich zehn Mal das Gedicht „Die Heinzelmännchen zu Köln am Rhein“ abschreiben. Allein für die Schreibarbeit hätte ich schon die kleinen Helfer aus Köln benötigt. Schlimmer war jedoch, dass meine Eltern diese Strafarbeit unterschreiben sollten. Denn ich war Wiederholungstäterin und stand bei meinen Eltern unter „Bewährung“. Ich wusste, dass mich zu Hause eine weitere Strafe erwartet. Also schrieb ich das Gedicht heimlich nachts im Schein der Taschenlampe zehn Mal ab und unterzeichnete mit dem Namen meiner Mutter.

Am nächsten Tag legte ich meinem Lehrer die Strafarbeit vor. Auf seine Frage, ob das die Unterschrift meiner Mutter sei, nickte ich. Daraufhin ließ er meine Mutter holen, die aufgeregt noch in Kittelschürze zur Schule eilte.

Da standen wir nun vor der Klasse: mein Lehrer als Ankläger und Richter in einer Person, meine Mutter als Zeugin der Anklage und ich, die Angeklagte. Meine Mutter sagte wahrheitsgemäß aus. Mein Herz sank tief und ich schämte mich. Nun war ich als Straftäterin und Lügnerin überführt und auf dem moralischen Tiefpunkt meiner bisherigen Schulzeit.

In diesem Moment holte mein Lehrer einen Zwanzigmarkschein hervor und ließ mich das Kleingedruckte am Rande des Scheins laut vorlesen. Es war der Tatbestand der Geldfälschung, die der damalige Gesetzgeber sogar noch mit Zuchthaus sanktionierte.

Der Schock saß tief – so tief, dass ich von da an ein ausgeprägtes Bewusstsein für Unrecht entwickelte. Im selben Jahr empfahl mich mein Lehrer für das Gymnasium. Ob er ahnte, dass er damit einen weiteren Grundstein für mein Jurastudium legte? Ich denke oft an die Episode zurück, weil ich sehr hart reagiere, wenn jemand offensichtliches Unrecht zu leugnen versucht. Und auch, weil ich weiß, wie schnell man fehlt.

Birgit Brundage ist 48 Jahre alt und Staatsanwältin in Berlin.

Liebe Leser, wir möchten auch Ihre Schulgeschichte aufschreiben.

Erzählen Sie sie uns: schule@tagesspiegel.de

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