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Gut drauf. Unser Kolumnist scheut sich nicht vor dem extravaganten Auftritt.

© privat

Was machen wir JETZT?: Staunen können

Bist du ein Original? Das fragte Constanze Bilogan. Unser Kolumnist antwortet ihr heute.

Doumbi kniete am Heck des Fischerbootes und ruckte den Dieselmotor an; es war ein türkisblauer Morgen, das Boot glitt raus aufs Meer – und Doumbi erklärte uns die Welt. Sein Englisch holperte wie ein Jeep über eine Schlaglochpiste: „Germany, no good, only Boateng and Cacau! Italy, no good, only Balotelli! France, very good, many black player.“ Doumbis Welt ist einfach: Afrika ist gut, einfach, weil es Afrika ist; jedes nicht afrikanische Land ist gut, wenn in der Fußballnationalmannschaft möglichst viele Schwarze spielen. Doumbi ist Tauchlehrer, Sansibar hat er noch nie verlassen, seit 21 Jahren, aber das braucht er auch nicht, die Welt kommt zu ihm. „Zahnarztpraxis Griesenbrock aus Lüdenscheid“ steht auf seinem Basecap.

Je näher wir dem Korallenriff kamen, desto mehr löcherte Doumbi uns mit Fragen. Gibt es Zebrafische bei euch? Nein. Löwen? Nein. Wenigstens Mangobäume? Nein. Was für ein komisches Land! Und als wir ihm dann noch erzählten, dass bei uns eine Frau regiert, schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. Selbst der Fischer mit den maiskolbengelben Zähnen, der am anderen Ende des Bootes döste – 40 Jahre alt, drei Frauen, 40 Kinder – erwachte und schüttelte ungläubig den Kopf. Bei uns würde es das nicht geben.

Wer Doumbi trifft, vergisst ihn so schnell nicht wieder. Er ist, was man ein Orignal nennt. Aber was heißt das schon? Eigentlich ist niemand originell genug, um ein Original zu sein. Wir alle halten uns für einzigartig, für was Besonderes. Letztlich sind wir alle Fälschungen, Mash-ups aus anderen Menschen. Wir kopieren Gesten, Eigenarten und Redewendungen, bis sie zu unseren eigenen werden. Wer wir sind? Viele. Räuber Hotzenplotz und Prinzessin Lillifee, Superheld und Feigling, größenwahnsinnig und selbstzweiflerisch – alles zugleich.

Was ich mir von anderen abgeguckt habe: Von meinem Lieblingsonkel – ein lapidares „oder so“ an Sätze anzuhängen, die vor Pathos überschäumen. Von Mr. Jones – die hintersinnigen Gedankenspiele, mit denen er jeden einspinnt, in einen Kokon aus Charme. Oder so. Von Opa Kuno – die schmutzigen Sprüche.

Acht Stunden später schipperten wir zurück zur Lagune, der Strand puderzuckerweiß, das Wasser kristallklar. Doumbi kniete am Heck und ließ das Knattern des Dieselmotors langsam ersterben.

Was ich von ihm gelernt habe? Vielleicht nur eines, dass man nie verlernen sollte zu staunen.

Constanze, bist du anspruchsvoll?

Nächstes Mal schreibt an dieser Stelle Constanze Bilogan.

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