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Panorama: Wenn die Arbeit krank macht

Lichtenberger Schüler haben sich im Rahmen eines Umweltprojektes in Slowenien auf die Spuren des Asbests begeben Die Entsorgung des gesundheitsschädigenden Stoffes geht nur langsam voran, aber den Opfern wird jetzt geholfen

Im Mai besuchten 17- und 18-jährige Schüler des Kant-Gymnasiums in Lichtenberg Schüler im slowenischen Anhovo. Im Rahmen des Projekts „Umwelt baut Brücken – Jugendliche im europäischen Dialog“ erkundeten sie gemeinsam die Modernisierung der früheren Asbestfabrik ESAL in Anhovo. Im Oktober kommen die slowenischen Schüler nach Berlin, um hier ein ähnliches Thema zu verfolgen. Unterstützt wird der Austausch, an dem 34 deutsche und osteuropäische Schulen teilnehmen, von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und dem Aachener Izop-Institut. Alle Texte auf dieser Seite zu diesem Thema haben die Kant-Schüler J. Klose, M. Glänzel, T. Loll, J. Alkaidy, T. Truong, K. Schauer, C. Schommann, A. Brackertz, S. Kleinschmidt, X. Meiske, M. Sonnenburg, S. Thiere, G. Nymschefsky, S. Schröder, P. Voigt, J. Tröster, F. Sklare geschrieben. Sie haben auch die Fotos gemacht.

Während in Berlin nach jahrelangen Debatten der Palast der Republik nicht zuletzt wegen der Asbestverseuchung des Gebäudes abgerissen wurde, ist in Slowenien das Thema Asbest relativ neu. Erst vor einem Monat wurde ein Gesetz erlassen, das die Entschädigung von Asbestarbeitern vorsieht. Auch viele Arbeiter der Firma ESAL im slowenischen Anhovo werden von dem Gesetz profitieren. Denn die Produktpalette der heutigen ESAL basierte jahrzehntelang auf der Verwendung asbesthaltiger Zusatzstoffe. Allein von 1970 bis 1979 wurden 1,6 Millionen Dach- und Fassadenplatten hergestellt. Obwohl schon zu dieser Zeit Mediziner in aller Welt die gesundheitsschädigenden Folgen des Asbeststaubs anprangerten, lief die Produktion noch weitere 20 Jahre.

Erst nach den politischen Umwälzungen nach 1989 hat der Staat Schutzmaßnahmen für die Geschädigten ergriffen und 1996 ein Gesetz verabschiedet, das die Herstellung sowie den Im- und Export von Asbest verbietet.

Diese Regelungen zwangen auch die Firma in Anhovo zu einer grundlegenden Umstrukturierung ihrer Produktpalette. Mit staatlicher Unterstützung gelang die Umstellung von asbesthaltigen Produkten auf gesundheitsfreundliche Platten.

Als Abfallprodukte bleiben Wasser und Schlick zurück. Das Wasser wird in Filteranlagen vom Schlick befreit und geklärt, dann werden beide Stoffe wieder in den Produktionskreislauf integriert.

Produkte, die dem Qualitätsstandard nicht entsprechen, werden auf der firmeneigenen Deponie umweltfreundlich entsorgt. Der Energiebedarf von ESAL wird teils durch die kontrollierte Verbrennung alter Autoreifen gedeckt. Damit wird auch dieses Material ökologisch entsorgt und optimal genutzt. Unsere Recherchen ergaben, dass die Einsparung von Rohstoffen, Energie und Wasser über einen Zeitraum von fünf Jahren die Produktionskosten jährlich um drei Prozent senkte.

Der jahrelange sorglose Umgang mit Asbest hat bei den Arbeitern in den ehemaligen Asbestbetrieben, aber auch bei den Nutzern der Fabrikate zu schweren gesundheitlichen Schäden geführt. Die Konzerne haben sich bis Anfang der 90er Jahre der Verantwortung entzogen, erst dann kam es zu einem Umdenken in den Chefetagen. War ursprünglich nur der Staat für die Zahlung von Entschädigungen zuständig, beteiligen sich nun auch die Firmen daran.

Die Einstellung der Gesellschaft und der Politik zu den Geschädigten hat sich verändert. Früher wurde die Gefahr durch Asbeststaub zu erkranken, quasi als Kollateralschaden abgetan. Heute wird sie ernster genommen. Doch ein negativer Beigeschmack bleibt trotz des neuen Gesetzes. Denn es sieht Entschädigung lediglich für die Arbeiter vor, die mit dem Rohstoff Asbest gearbeitet haben und erkrankt sind. Menschen, die sich durch die Arbeit mit den Fertigprodukten die Gesundheit ruinierten, gehen leer aus. Auch eine Kindergärtnerin, die in unmittelbarer Nähe einer slowenischen Asbestfabrik arbeitete und erkrankte, erhielt keine Zahlungen und bekam keinerlei Hilfe. Inzwischen ist sie an den Folgen ihrer Krankheit verstorben.

Dass Menschen wie die Kindergärtnerin ebenfalls eine Entschädigung bekommen und das neue Gesetz nachgebessert wird, dafür kämpft der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Samo Bevk.

Für die Interessen Asbestgeschädigter setzt sich auch die Gewerkschaft SABS ein. Sie würde in Deutschland wohl eher einer Betroffenengruppe entsprechen. SABS übernimmt die Kosten für die Behandlung ihrer Mitglieder und erstattet den potenziell Gefährdeten die Untersuchungskosten. Denn in Slowenien erkennen die Krankenkassen die Krankheiten, die durch das Einatmen von Asbestpartikeln hervorgerufen werden, nicht an und verweigern die Zahlungen. Viele Ärzte lehnen deshalb die Behandlung der Betroffenen ab. Auf die Gesetze von 1996 und April 2006 müssen weitere Schritte folgen. Denn noch ist in Slowenien der Stoff Asbest allgegenwärtig: als isolierender Untersetzer für das Bügeleisen, als Dach auf dem Wochenendhaus, als Sichtblende um den Fabrikhof, als Isolierung im Eisenbahnwaggon.

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