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Samuel Koch ist seit seinem Unfall bei "Wetten, dass...?" querschnittsgelähmt.

© Mike Wolff

Wie Jugendliche das Berufsleben sehen: Supermänner und Superschwestern

Alle waren entsetzt, als Samuel Koch vor zwei Jahren bei "Wetten, dass...?" verunglückte und querschnittsgelähmt war. Die Mutter von Belkis, 14, kümmert sich jeden Tag um Patienten, die rund um die Uhr gepflegt werden müssen.

Der typisch idyllische Wochentag für ein Kind beginnt meist mit einem von Mama zubereiteten Frühstück und endet mit einem Gute-Nacht-Küsschen von ihr. Doch wenn ich morgens aufwache, ist meine Mutter schon längst bei der Arbeit und auch an manchen Abenden. Dann gibt es nur einen Gute-Nacht-Kuss von meinem Papa.

Viele kennen Christopher Reeve, der Superman gespielt hat, und auch sein schweres Schicksal: Nach einem Reitunfall war er vom Hals ab gelähmt. Er konnte nur noch seinen Kopf bewegen und noch nicht einmal mehr selbständig atmen. Solche Menschen können mit künstliche Beatmung und professioneller Pflege weiterleben. Genau diese Arbeit macht meine Mutter.

Sie arbeitet in einer Firma, die beatmete Patienten in ihrer Wohnung in drei Schichten rund um die Uhr pflegt. Dass sie zu Hause leben können, ist sehr wichtig für die Patienten, weil sie so trotz ihrer Behinderung bei ihren Familien bleiben können. Die Schicksale der Patienten meiner Mutter sind verschieden.

Ein junger Mann, bei dem meine Mutter arbeitet, hatte als Kleinkind einen Autounfall. Er kann nur noch seinen Kopf bewegen und nicht selbständig atmen. Mit Mund-Joystick kann er seinen Rollstuhl fahren, mit einem Mundstab an seinem PC arbeiten. Er hat gerade die Schule beendet und fängt jetzt mit seiner Ausbildung zum Bürokaufmann an. Also nicht wie die meisten Leute sich beatmete Patienten vorstellen: halbtot vor sich hin vegetierend.

Er schaut gerne „Scrubs“, ist hochintelligent, fast schon ein Computergenie. Er korrigiert beim EDV-Unterricht seine Lehrer, ist super in Mathe und hat mir auch mal bei einer Powerpointpräsentation geholfen. Nur weil man gelähmt ist, heißt das nicht, dass man kein schönes Leben haben kann. Dass man Fußballer wird, ist eher unwahrscheinlich, dafür kann man aber andere Dinge studieren oder eine Ausbildung machen. Es gibt eben viele Supermänner. Ein gesunder Mensch kann von einer Sekunde zur nächsten durch einen Unfall schwer behindert werden. Das haben im Dezember 2010 Millionen Menschen live bei „Wetten, dass…“ gesehen, als Samuel Koch schwer verunglückte.

Das Zimmer, in dem der Patient meiner Mutter liegt, sieht wie eine Intensivstation aus. Er ist an viele undefinierbare Maschinen und Schläuche angeschlossen. Lifter sind an der Decke angebracht, die wie Eisenbahnschienen aussehen. Damit wird er vom Bett zum Rollstuhl befördert. In so einer „Ein-Mann-Intensivstation“ betreut nur eine Schwester einen Patienten. Die Schwestern, die bei ihm arbeiten, haben entweder lange Erfahrung mit der Beatmung oder wie meine Muter eine Zusatzausbildung. Sie sind mit allem, was passieren könnte, auf sich allein gestellt und können nicht schnell Kollegen oder einen Arzt fragen. Im schlimmsten Fall, wenn die Geräte versagen, müssen die Schwestern den Patienten manuell mit einem handbetriebenen Gerät beatmen, bis Rettungskräfte eintreffen. Das ist jetzt schon ein paar Mal passiert.

Nicht nur Supermann, der allen das Leben rettet, ist ein Held. Es gibt auch Superschwestern, die Heldinnen sind.

Belkis Chaib

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