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Wir müssen REDEN (12): Wie man wohnt, so ist man

Was findest du spießig? Das fragte Ric Graf letzte Woche. Elena Senft antwortet ihm heute.

Neulich war ich in der Wohnung einer Bekannten, mit der ich eine Freundschaft ernsthaft in Erwägung zog. Ich fand sie amüsant, geistreich und hilfsbereit.

Aber dann kamen die gerahmten Schwarz-Weiß-Poster in ihrem Flur: Auf dem einen eine braune, große, gut manikürte Männerhand, in der ein winziges, weißes Baby schläft und auf dem anderen die Bauarbeiter, die auf einem Gerüst hoch über New York auf einer Metallstrebe Mittagspause machen. Doppelhaushälften und Bausparverträge sind völlig nichtssagend! Diese beiden Poster sind für mich der Inbegriff von Spießigkeit. Schlimmer noch als eine beleuchtete Vitrinen-Schrankwand aus Birkenfurnier, in der Teller mit Deko-Rosenblättern aufbewahrt werden. In ihrer Küche hing eine Lichterkette und wir tranken Tee. Auf meiner Tasse stand „Lieblingstasse“ und auf ihrer „Guten Durst!“. Plötzlich fand ich alles an ihr spießig: der Gürtel, der farblich auf die Schuhe abgestimmt war, ihren Rock, der mir in seiner Form auf einmal gekünstelt „frech“ erschien und ihre Single-Spülmaschine, in der kleine Duftspender hingen und die auch wirklich besser roch als mein Küchenabfluss. Und da war es auch plötzlich egal, dass ich den gleichen Gürtel besitze und eigentlich auch gerne eine Spülmaschine hätte. Ich fühlte mich oberflächlich, weil ich sie auf Poster und Tassenmotive reduzierte.

Zwei Tage später war sie zufällig bei mir in der Nähe und kam spontan auf einen Kaffee vorbei. In meinem Flur hängt eine Postkarte mit einem FKK-Motiv von der Ostsee. Ich trug einen Jogginganzug und musste meine zwei einzigen akzeptablen Tassen vor der Benutzung erst noch aus einem Berg dreckigem Geschirr bergen und abspülen. Als ich zu ihr schaute, hatte sie den gleichen Blick, den ich zwei Tage vorher bei ihr hatte.

Ric, was versteckst du bei Besuch?

Nächste Woche antwortet Ric Graf an dieser Stelle.

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