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© Tsp

Wir müssen reden (75): Showdown an der Supermarktkasse

Wann hattest du den letzten Notfall? Das fragte Ric Graf vor zwei Wochen. Elena Senft antwortet ihm heute.

Gestern stand ich ganz hinten in einer sehr langen Supermarktschlange an. Ohne Einkaufswagen. Stattdessen hatte ich etwa zwanzig Kilo Lebensmittel in einer maroden Pappbox gestapelt. Zusätzlich baumelte an jedem einzelnen meiner Finger eine schwere, ins Gewebe einschneidende und mit Lebensmitteln gefüllte Zellophantüte, die in Läden für Obst und Gemüse zur Verfügung gestellt werden. Selbstverständlich war nur eine Kasse geöffnet. Und eine Oma nach der anderen grub lang und umständlich in ihrer kleinen Lederbörse nach Centstücken, um der Kassiererin den exakten Betrag ihres Einkaufs in die ausgestreckte Hand zu legen.

Ich hielt eine Ananas mit dem Kinn fest, schwitzte, sah mich gedanklich bereits ein Schlachtfeld verursachen, zitterte. Ich fühlte mich wie ein Junge im Zeltlager, der bei dem Spiel mitspielt, bei dem derjenige gewinnt, der am längsten einen gefüllten Ein-Liter-Bierkrug am gestreckten Arm von sich weg halten kann. Dann sah ich, wie eine Kassiererin eine weitere Kasse öffnete. Bevor ein Kunde reagieren konnte, scherte ich ganz hinten aus der Schlange aus, galoppierte in ungewöhnlichem Tempo und unter Einsatz von Ellbogen nach vorne und warf meine Lebensmittel auf das neu geöffnete Fließband. Ich war jetzt die Erste in der Schlange.

Die Leute hinter mir fädelten sich sozial und einvernehmlich im Reißverschlusssystem ein, so wie ich es normalerweise auch getan hätte. Mehrere Menschen murmelten gemeine Sachen in meine Richtung. Ein diffuses Raunen, aus dem immer wieder die Satzfetzen wie „unverschämt“, „asozial“ und „Jugend heutzutage“ zu vernehmen waren. Zwei Menschen riefen vom Ende, ich solle gefälligst wieder ganz nach hinten in die Schlange gehen, wo ich hingehöre. Vier oder fünf riefen zustimmend „genau“ oder „richtig“. Einer sagte: „Frollein, wir haben es schließlich alle eilig.“

Ich war der Unsympath, der sich an einer Kasse an allen vorbeidrängelt und auch Omas schubsen würde, nur um ganz vorne zu stehen. Als ich rausging, schüttelten noch zwei Leute den Kopf. Und die Kassiererin fragte zum ersten Mal nicht freundlich, ob ich Herzen sammeln würde.

Ich möchte jetzt nicht mehr in diesen Supermarkt gehen, obwohl ich dort gerne war. Ich fühle mich sehr unverstanden. Wenn jemand zufällig dabei gewesen ist und mich gesehen hat: Es war ein Notfall. Echt.

Ric, wer kann dich nicht leiden?

In zwei Wochen antwortet Ric Graf an dieser Stelle.

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