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© David Heerde

Workshop: Riesen-WG der digitalen Bohème

In einer alten Fabrik denken 30 Hipster aus 13 Ländern über neue Arbeitskonzepte nach. „Palomar 5“ heißt das Projekt

Seit einer Woche wohnt Brad Morris 25, in einer Art Ponystall – einer sechs Quadratmeter großen Holzbox, in die nur ein schmales Bett, ein Schränkchen und eine Grünpflanze passen. 30 solcher Boxen stehen derzeit in der Malzfabrik. Darin leben seit letztem Freitag junge Menschen aus 13 Ländern und unterschiedlichen Berufen: Computerfreaks, Filmemacher, Ingenieure, Musiker, Designer. Es sind Menschen, die man vermutlich meint, wenn man von High-Potentials spricht. Sie alle sind Mitte 20, haben Abschlüsse von Spitzenuniversitäten und lieben es, zu arbeiten. Was sie jedoch nicht mögen: was in den Büros von heute passiert. Die 30 Teilnehmer sind deshalb nach Berlin gekommen, um sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Arbeit von morgen menschlicher macht und besser an die Bedürfnisse der digitalen Generation anpasst.

„Palomar5“ heißt das Projekt, finanziert wird es von Sponsoren und organisiert von sechs Freunden aus Berlin, alle in ihren Zwanzigern. Sie haben das „Kreativcamp“ nach einem Sternhaufen benannt. Wenn sie davon erzählen, sprechen sie von Konzepten, Visionen, Innovationen. Befreit man die Beschreibung von Palomar 5 von den aufgedunsenen PR-Phrasen, bleibt eine Riesen-WG, ein Art Labor, in dem die Bewohner an Erfindungen basteln und darüber diskutieren, wie sie später arbeiten wollen.

Am Ende sollen nicht nur Flip-Charts entstehen, sondern Dinge zum Anfassen und Computeranwendungen. Genaue Vorgaben für Ergebnisse gibt es jedoch nicht: „Palomar 5 ist vor allen Dingen ein Ideeninkubator“, sagt einer der Organisatoren Hans Raffauf, 25. „Wir haben vielversprechende Leute aus ganz verschiedenen Hintergründen unter ein Dach gepackt, streuen Input und Feedback von Experten ein und warten ab, was passiert. Es ist ein Experiment.“

Über 600 Bewerber aus 50 Ländern wollten an diesem Versuch teilnehmen, obwohl sie keinen Cent dafür bekommen, nur Essen und ein Dach über dem Kopf. Brad, einer der Auserwählten, hat trotzdem keine Sekunde gezögert, nach Berlin zu kommen: „Wenn du etwas richtig gern tust, zahlt es sich immer aus“, sagt er. „Mein Rezept für Erfolg: Fühlt sich ein Projekt richtig an, so springe mit dem Kopf voran.“ Getreu diesem Motto hat er sich bei Palomar 5 beworben, noch bevor er die Homepage zu Ende gelesen hatte. Als die Zusage kam, hat er ein Festival aus dem Boden gestampft, um das sechswöchige Einkommensloch zu stopfen. Brad wohnt in Victoria British Columbia in Kanada, wo er Filme dreht und als Motivationstrainer arbeitet. Nach dem College hat er zusammen mit einem Freund gratitudes.com ins Leben gerufen, eine Seite für Gute-Laune-Kurzfilme und Meditationsanleitungen.

„Wenn jeder seinen Job so lieben würde wie ich, gäbe es viel weniger Übel auf der Welt“, sagt Brad. „Unsere Arbeit macht einen immer größeren Teil unseres Lebens und unserer Persönlichkeit aus. Und jetzt stell dir vor, du bist für den Rest des Lebens in einem roboterhaften Nine-to-Five-Job gefangen!“ Man müsse Menschen für ihre Arbeit begeistern, sagt Brad. Und der erste Schritt sei es, die Büros menschlicher zu gestalten.

Hans glaubt nicht daran, dass es später noch viele Büros geben wird. Er geht davon aus, dass immer mehr Berufstätige künftig nicht mehr als einen Laptop zum Arbeiten brauchen. Und dass dieser digitale Nachwuchs andere Arbeitsumgebungen braucht als die heutige Generationen. „Es ist nicht gerade inspirierend, den ganzen Tag in eine Maschine zu starren“, sagt Hans. Die schweizerische Produktdesignerin Jessica Altenburger, 26, stimmt ihm zu. Sie hat sich beworben, weil sie nicht länger nur am Bildschirm kleben will: „Wir sind bereit, Überstunden zu leisten und das Büro zu unserem zweiten Zuhause zu machen. Aber dafür müssen wir uns dort auch wohl fühlen.“

Genau daran basteln die Teilnehmer in den nächsten Wochen. Am 24. November ist Tag der offenen Tür im Kreativlabor, dann werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Bereits einen Tag zuvor findet ein Gipfeltreffen mit Experten statt, die die Ideen und Konzepte auf ihre Praxistauglichkeit hin beurteilen. Summit, sagt Hans dazu, und auch die jetzigen Einführungswochen nennt er nicht Einführungswochen sondern „Onboarding“. Dabei sollen sich die Teilnehmer gegenseitig inspirieren, denn jeder ist Experte auf seinem Gebiet. Brad ist der Meinung, dass so am meisten rumkommt: „Es ist, als würde man 30 Einzelgehirne mit verschiedenen Zielen zu einem einzigen zusammenschließen. Einem leistungsstarken Riesengehirn mit einem gemeinsamen Ziel.“

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