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World Wide WEG: Höhenflug

Unsere Autorin findet ihr neues Leben in den USA wunderbar. Und macht sich genau deshalb Sorgen

Von: Wlada Kolosowa

An: werbinich@tagesspiegel de

Betreff: Höhenflug

„Dein Hintern und mein Gesicht werden gute Freunde werden“, sagt Shauna und befördert meinen Allerwertesten mit einem Schubs in zwei Meter Höhe. Da stehe ich also, einbeinig und wackelig. Was ich da mache? Eine „Liberty“, eine Cheerleading-Hebefigur. Ich habe nämlich beschlossen, an der amerikanischen Kultur teilzunehmen. Vier Cheerleader-Mädchen hieven mich deshalb seit einer halben Stunde in die Höhe. Ich mache mich wohl ganz gut, aber das leider nicht lang. Mein Hintern und Shaunas Gesicht kennen sich schon sehr gut, weil ich meistens auf sie plumpse.

In den vergangenen Wochen habe aber auch Face-to-Face kennengelernt. Und für gut befunden. Wie auch den Rest hier. Alles ist gut. Zu gut. Irgendwie stimmt die Dramaturgie meines Auslandsjahres nicht. Richtig wäre: Protagonistin landet in USA, findet alles unendlich doof, hasst das Essen, die Sitten, die Mitstudenten und den Rest der Nation gleich dazu. Nach einem Tiefpunkt auf der Mädchentoilette wird alles erst ein bisschen, dann rasant besser. Sie findet plötzlich amerikanische Freunde, Geschmack an Spareribs und einen Boyfriend. Mein Leben an der amerikanischen Uni läuft bisher überhaupt nicht nach Drehbuch. Wenn nichts Schlimmes passiert, was soll sich dann später ins Positive verkehren?

Momentan bin ich ganz unkritisch euphorisch und fühle mich wie im unverdienten Urlaub. XXL-Möglichkeiten? Großartig! XXL-Essen? Klasse! XXL-Menschen? Jedenfalls super, denn von großartigen Menschen kann es nie genug geben! Draußen sind ganz unherbstliche 25 Grad, mein Praktikum hat noch nicht angefangen, die Uni ist noch ganz enspannt und außerdem muss ich mich um rein gar nichts kümmern. Mit dem Zimmer auf dem Campus habe ich anscheinend ein All-inclusive-Sorglospaket gebucht. Es gibt Menschen, die mir Essen machen, mein Leben organisieren, und auch einen, der mir hilft herauszufinden, wobei mir geholfen werden muss – und von welchem der etwa hundert Zuständigen. Es gibt sogar einen Heimwehbeauftragten. Der hat meine Seligkeit ein wenig getrübt. Mein Zustand, sagte er, ist ein vorübergehender. Er nannte ihn Honeymoon, was frei interpretiert so viel heißt wie: Die rosarote Phase ist in vier bis fünf Wochen vorbei. Oder, konkreter: Wart nur ab, bald hasst du dieses Land.

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