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World Wide WEG: ich@vancouver

Irgendwann müsste es sich doch einstellen, dieses verdammte Heimweh. Aber unsere Kolumnistin spürt - nix

Von:

Jacqueline Möller

An: werbinich@tagesspiegel.de

Betreff: Heimweh - was ist das?

Es ist unsichtbar, heimtückisch und rücksichtslos: Heimweh. Das unbeliebte Gefühl der plötzlichen Leere und Verlassenheit. Die Freunde, die gewohnte Umgebung und Familie – plötzlich ist das alles nicht mehr da. Doch was ist, wenn sich die Grenzen zwischen alter und neuer Heimat mit einem Mal auflösen? Wenn das einst fremde Kanada zur Heimat wird und das Geburtsland nur noch als Formalität im Pass steht?

Die große Schule, in der ich mich am Anfang nur mit einem Übersichtwsplan zurechtgefunden habe; die Cafeteria, die ihre ganz eigenen Regeln hat; die Menschenmassen, die sich in den Pausen durch die Gänge drängen: Das alles ist mir ans Herz gewachsen. Die zu Beginn so ungewohnten Fächer gehören mittlerweile zum Alltag. Ebenso meine Gastfamilie und Freunde. Alles fügt sich in mein neues kanadisches Leben. Die Aufregung der Anfangszeit ist einer unaufgeregten Normalität gewichen.

Als ich neulich mit einer Freundin aus Berlin telefonierte, war ich über mich selbst erschrocken. Ganz selbstverständlich sprach ich von meiner zweiten Heimat. „Zweite Heimat?“, kam es vom anderen Ende der Leitung ungläubig zurück. Vielleicht hätte ich mich an dieser Stelle korrigieren sollen. Kanada, genauer: Vancouver, ist meine ganz persönliche Heimat geworden. Ein Ort, an dem ich glücklich bin wie nie zuvor. Wegen der vielen netten Menschen. Wegen der Atmosphäre. Wegen der allgemeinen Fröhlichkeit.

Heimweh liegt also so gesehen keineswegs vor. Doch weh tut es, an den Abschied zu denken. In das Land zurückzukehren, dass ich einst voller Spannung und Abenteuerlust verlassen habe; in die Stadt zurückzukehren, die ich einst so gut kannte. Allmählich befällt mich ein flaues Panikgefühl, wenn ich an die Rückkehr denke. Ich glaube, es wird sich viel verändert haben dort, auch wenn ich mich stets bemüht habe, den Kontakt zu alten Freunden und Bekannten über die üblichen sozialen Networks oder aber Telefonate zu halten. Ob sich die vielen E-Mails gelohnt haben, die vielen schlaflosen Nächte, um mit Freunden trotz Zeitverschiebung telefonieren zu können, werde ich wohl erst sehen, wenn ich wieder in Berlin bin. Offen ist auch, wie lange es dauert, bis ich vom Heimweh nach Vancouver erfasst werde. Ich bin gespannt.

Jacqueline Möller

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