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World Wide WEG: Unsere neue Kolumne

Den Stress vom Abi hat unser Autor gerade erst hinter sich gebracht. Bevor nun der Ernst des Lebens beginnt, gönnt er sich noch ein wenig Spaß

Von: Julius Wolf

An: werbinich@tagesspiegel de

Betreff: Der Ernst kann warten

Zwei Jahre lang habe ich mich auf diesen Moment gefreut, zwei Jahre davon geredet. So oft, dass meine Freunde schon ungläubig die Augen verdrehten, wenn ich wieder damit anfing. Ich kann mich an ein Gefühl erinnern, als ich das Flugticket nach Australien endlich in der Hand hatte: Euphorie. Mein Ticket hier raus. Raus aus Deutschland. Raus aus Berlin. Raus aus dem öden Alltag. Weg vom Familienstress, auch von alten Gewohnheiten, damit umzugehen. Es tut mir zwar leid, meine Freunde so lange nicht zu sehen, aber die haben auch alle damit zu tun, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen.

Das ist, was mich so euphorisch gemacht hat, als das Ticket endlich da war. Dieselbe riesige Freude wie bei der Abiturverleihung. Das ist mein Leben. Und es läuft hervorragend. Die Frage, die mich die letzten Schuljahre unruhig gemacht hat: Und wie geht''s jetzt weiter?. Ich habe sie mir damit beantwortet: Das ist mein Leben! Und es fühlt sich verdammt gut an.

Warum also sofort studieren? Gerade erst habe ich den Abiturstress hinter mich gebracht und kämpfe noch mit dem Kater von den Partys danach. Um mich herum sehe ich, wie Freunde Ausbildungen beginnen, sich in Unis einschreiben oder gleich anfangen zu arbeiten. Irgendeinen Studienplatz könnte ich wohl auch ergattern. Dann ein Job nebenher, um die erste eigene Wohnung zu finanzieren. Vielleicht eine WG, wenn alleine wohnen zu teuer ist. Das klingt alles nicht übel. Aber da tauchte zu schnell wieder die Frage nach dem Danach auf. Was kommt danach? Nach dem Studium und Jobben. Ein richtiger Arbeitsplatz, eine Wohnung, Haus, Frau, Kinder, ein Hund?

Diese Vorstellung hat mir Angst gemacht. Noch mehr Organisation, mehr Routine, mehr Alltag. Ich hatte die Sorge und habe sie noch, dass ich nicht mehr aus dieser Schleife herauskomme, sobald ich einmal drin bin. Es graut mir bei dem Gedanken, in der Wiederholung ein und desselben Tagesablaufs: Schule, Arbeit und kaputt nach Hause gehen, zu ersticken. Ich will nicht vom einen in den anderen Alltag rutschen.

Natürlich male ich mir in meiner Fantasie die Zwanghaftigkeit dieses Ablaufes maßlos übertrieben aus. Aber trotzdem: Warum nicht erst mal Spaß? Der Ernst kommt früh genug. Außerdem freue ich mich darauf zu sehen, was sich alles verändert hat, wenn ich wiederkomme. Wie ich mich verändert habe. Seit ich in Australien bin, habe ich diesen Entschluss nicht eine Sekunde bereut. Im Gegenteil, ich will noch mehr sehen. Asien ist gleich gegenüber. Und Australien ist ein guter Ort, um zu arbeiten und Geld anzusparen. Ich vermisse Eltern und Freunde, vermisse Berlin an sich. Aber die Möglichkeit, einen anderen Teil der Welt zu sehen und aus meinem Alltag auszubrechen, ist mir die lange Trennung wert. Ich werde zurück nach Berlin gehen, das ist sicher.

Aber eilig hab ich es damit bestimmt nicht.

Julius Wolf

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