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Panorama: Wo die Musik spielt

Nach Bloombergs Rauchverbot muss die New Yorker Gastronomie- und Bar-Szene nun ein neues Gesetz fürchten, das das Tanzen verbieten soll

Von Matthias B. Krause,

New York

Die lange Reihe der Barhocker steht unangetastet an ihrem Platz, ein einziger Gast verliert sich in dem Ledersofa in der Ecke, das Licht vom Riesenbildschirm an der Wand wirft ein gespenstisch grünes Licht über die Szenerie. Hinter dem Tresen der "Rain Bar" im Brooklyner In-Stadtteil Fort Greene steht Sam Sullivan, 29, und gerät gerade richtig in Rage. Das Gespräch mit seinem einzigen Gast dreht sich wieder einmal um New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und wie der, zumindest in den Augen vieler Gastronomen, die Stadt zu Grunde richtet. „Bislang ist es bei uns ganz gut gelaufen“, sagt Sullivan, „aber seit dem Rauchverbot können wir froh sein, wenn es für die Rechnungen reicht. “ Um rund 30 Prozent sei der Umsatz zurückgegangen, seit Bloomberg vor knapp einem Jahr sein Anti-Raucher-Gesetz erließ, rechnet der Barmann vor: „Zum Beispiel Silvester: Da haben die Leute einfach zu Hause gefeiert, weil das der einzige Ort ist, wo sie sich noch ungestört eine Zigarette anstecken dürfen.“

Was der Bar-Besitzer in Brooklyn durchmacht, deckt sich durchaus mit den Erfahrungen seiner Kollegen in Manhattan, Queens, der Bronx oder auf Staten Island. „Wenn das so weitergeht, werden bald eine ganze Reihe von Läden zumachen“, prophezeit der Chef der New York Nightlife Association, David Rabin. Und schon droht der nächste Ärger. Die Bloomberg-Administration will die so genannte „Cabaret License“ abschaffen und durch eine neue Regelung für das Nachtleben ersetzen. Was für viele zunächst nach der willkommenen Bereinigung einer verstaubten Verordnung aussah, verstehen die Vertreter der Branche mittlerweile als eine ernsthafte Bedrohung der berühmt-berüchtigten Vergnügungsszene. „Die vorgeschlagene neue Lizenz ist das Ende des New Yorker Nachtlebens, wie wir es bisher kennen“, sagt Rabin. Die „New York Times“ hat derweil einen neuen Spitznamen für Bloomberg erfunden: Mr. Killjoy – der Vergnügungskiller.

Dabei ist die Idee an und für sich gar nicht so schlecht. Die Kabarett-Lizenz stammt aus einer Zeit, als die Prohibition in Amerika ihrem Höhepunkt zustrebte und viele Vergnügen im Schutze der Dunkelheit vonstatten gingen. Der damalige New Yorker Bürgermeister Jimmy Walker erließ 1926 das Gesetz, weil er befürchtete, dass die Menschen in den Harlemer Jazz-Clubs außer Rand und Band gerieten. Doch das war nur die offizielle Begründung, inoffiziell wollte er vermeiden, dass sich Schwarze und Weiße beim nächtlichen Amüsement zu sehr vermischen. Fortan mussten die Klubs eine Lizenz beantragen, wenn es ihre Kundschaft danach trachtete, das Tanzbein zu schwingen. Auch Musikvorstellungen von Bands mit drei oder mehr Mitgliedern waren lizensierungspflichtig. Eine Passage verlangte von den Musikern gar, einen „guten moralischen Charakter“ zu besitzen.

Diese Passage wurde 1967 gestrichen, andere flogen später raus und im Großen und Ganzen geriet das Gesetz in Vergessenheit. Dann kam Bloombergs Vorgänger Rudolph Giuliani. Der entdeckte die betagte Kabarett-Lizenz als willkommenes juristisches Instrument, um unliebsame Orte wie zum Beispiel das berüchtigte Sündenviertel rund um den Times Square aufzuräumen. 1997 führte das streitbare Stadtoberhaupt dazu die „Nightclub Enforcement Task Force“ ein, im Volksmund Tanz-Polizei genannt. Das ist zwar ein lustiger Name, doch die Gesetzeshüter verstehen keinen Spaß, bis zum heutigen Tage. Das musste etwa Dominique Keegan erfahren, Mitbesitzer der „Plant Bar“ in Manhattans East Village. In dem kleinen Klub pflegte er gelegentlich Platten aufzulegen, doch im Frühjahr 2002 ging er einem Inspektor in die Falle. Der setzte sich an die Bar, bestellte eine Cola, sah sich kurz um und sagte: „Ich habe beobachtet, was ich tanzen nennen würde. Ich muss Ihnen einen Strafzettel schreiben.“ 1200 Dollar waren fällig, zusätzlich müssen die Bar-Besitzer 25 000 Dollar auf einem Anderkonto einzahlen - für den Fall, dass ihre Gäste sich noch einmal zu offensichtlich im Rhythmus wiegen.

Mittlerweile schmücken drei große „No Dancing“-Schilder den Ort, aber die Gefahr ist noch nicht gebannt. „Das Geschäft geht okay, doch es ist viel schlechter als zuvor“, sagt Keegan. Wenn sich das Gesetz nicht ändert, müssen wir bald schließen.“ Bloombergs Lizenz fürs Nachtleben soll grundsätzlich erst einmal jeder bekommen. Der Haken bei der Geschichte: Wenn sich Nachbarn beschweren, muss der Laden spätestens um ein Uhr nachts schließen. Das wäre der sichere Tod vieler Clubs, die oft gerade ihren Charme daraus beziehen, dass sie nicht in irgendwelchen abgelegenen Industrievierteln hausen, sondern mitten im Kiez. Da, wo der Bär steppt eben. Weil der Protest-Schrei der Bar- und Club-Besitzer laut ausfiel und Bloomberg außerdem anfängt, über seine Wiederwahl nachzudenken, die Ende des Jahres ansteht, hat er seinen Vorschlag vorerst zurückgezogen.

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