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Zapfenstreich: Der Kampf um den Weihnachtsbaum

Der geschmückte Tannenbaum ist das Symbol der Weihnachtszeit. Fast jeder will einen. Und er soll perfekt sein. Daraus ergab sich ein geradezu unbiblischer Auftrag.

Ihm selbst ist es ja egal. Er nimmt den Baum, der übrig bleibt. Den stellt er auf in seinem Haus, das Wohnung ist und auch Büro. Lichter dran, fertig, schön. Den Aufwand betreibt er für die anderen.

Charly – eigentlich Karl – Moser ist quasi die Frontsau im Kampf um den Weihnachtsbaum. Genauer: im Kampf um die Nordmanntanne, den Baum der Bäume, der heute wieder in zweistelliger Millionenzahl Deutschlands Stuben zieren wird, wacker sich stemmend gegen Kugel- und Kerzenlast, saftig grün, weichnadelig und ebenmäßig.

Gerade läuft Moser, Mitte 50, randlose Brille, graumeliertes Haar, durch sein Lager, eine große, kalte Halle in Rohrdorf, südwestlich von Stuttgart, hält mal hier, mal da, greift in noch offene Säcke, lässt mit zufriedener Miene ovale Samen durch die Finger rieseln. Süßlich-harziger Duft überall. Moser ist gehetzt in den Tagen vor Weihnachten. Es ist Hauptsaison. Während der Samenverkauf seiner Plusbaumsamen GmbH weiterläuft, steht er auch vorm Supermarkt im Ort und verkauft Testbäume, 600 bis 800 Auswüchse seiner Probepflanzungen.

Die Nordmanntannensamen sind Mosers Geschäft. Er ist der Einzige in Deutschland, der mit ihnen im großen Stil handelt. Und sie zu beschaffen ist mehr als ein Abenteuer.

Bis in die hohen Wälder von Georgien schlägt Moser sich durch, und das seit Kalterkriegszeiten, um die schönsten Exemplare jenes immergrünen Baumes zu suchen, den der finnische Botaniker und Zoologe Andreas von Nordmann vor gut 170 Jahren entdeckt und benannt hatte: Abies Nordmanniana. Gattung: Tanne, Familie: Kieferngewächse. Nordöstlich der kaukasusnahen Region Borshomi entdeckte Nordmann die Bäume, Jahrzehnte alt, bis zu 60 Meter hoch. Und ebendort lässt Moser auch heute noch Zapfen aus Kronen schütteln, um daraus mit Maschinenhilfe Millionen Samen zu pulen.

Die Nordmanntanne, man beginnt es zu ahnen, ist Gegenstand eines harten und internationalen Geschäfts. Weg mit der Vorstellung, tapfere Förster liefen in der Adventszeit durch verschneite Wäldchen und schlügen dort ein paar Tännchen, die sie am Wegesrand dem rotwangigen Bürger verkauften. Stattdessen geht es um 29 Millionen Nordmanntannen, die jedes Jahr innerhalb kürzester Zeit an den Kunden gebracht werden, um generalstabsmäßige Logistik, um Konkurrenz und Verdrängung, um Abhängigkeiten und deren Abwehr. Und deshalb seit ein paar Jahren außerdem auch um:

1) Massenvermehrung,

2) Selektion,

3) Perfektion.

Der seelenlos verindustrialisierte Weihnachtsbaum entsteht künftig serienmäßig im Labor. So sieht es aus.

In deutschen Ministerien und Laboratorien hat man sich zusammengefunden und einen Auftrag entwickelt. Man hat ihn mit Nummern versehen und Gelder bereitgestellt. Man will Eliteklone züchten und die dann beliebig vermehren. Aber passt das Symbol des Weihnachtsfests schlechthin dann überhaupt noch – 2010 Jahre nach Christi Geburt und genau 500 Jahre nach der ersten Erwähnung – zur Weihnachtsidee? Zum Glauben an Höheres, an Liebe, Trost und Erlösung, an Wunder auch?

Da lacht Charly Moser. Er liefert Saatgut nahezu perfekter Bäume an die Wissenschaft, es sind Teile seiner Ernte, die weit entfernt von Rohrdorf, in Berlin, geklont werden. Sie haben die richtige Nadelfarbe und -weiche, wachsen gerade nach oben und gleichmäßig in die Breite, die Abstände zwischen den Ästen sind nicht zu weit und nicht zu eng. Moser in seiner Lagerhalle lässt Samen rieseln und sagt: „Wir sind hier sozusagen die Wiege der Weihnachtsbäume.“ Da geht nichts dran vorbei. Und außerdem: Wer nie in Georgien nach Tannensamen suchte, der weiß nicht, was Klone einem ersparen könnten.

Für den Keim des Erfolges muss man in Georgien bis in die Wipfel klettern

Charly Moser war da, hat an vorderster Linie deutsche Weihnachtsinteressen verteidigt. Seit 1988, da war Georgien noch Sowjetunion, und in deutschen Weihnachtswohnzimmern pieksten noch mehrheitlich Blautannen die Finger. Anfangs kämpfte Moser monatelang für Einreiseerlaubnisse und Sondergenehmigungen. Das wurde nach Perestroika und Mauerfall leichter. Allerdings muss Moser seither um Pflücklizenzen für die Zapfen kämpfen, weil die Regierung in Tiflis erkannt hat, dass damit Geld zu machen ist. Und immer kämpft er mit dem Wetter und den Wegen bis rauf auf 1600 Meter ins Gebirge, steile Wege aus knietiefem Matsch, bezwingbar nur mit Jeep und besten Nerven. Dort oben riskieren Jahr um Jahr georgische Zapfenpflücker ihr Leben, indem sie ohne jede Sicherung in die Bäume steigen, äffchengleich von Ast zu Ast, bis sie in der Krone angekommen sind, in schwankender Höhe, von wo aus sie die geschlossenen Zapfen zur Erde werfen.

Vor zwei Jahren wurden die Pflücklizenzen dann erstmals versteigert. Vier Dänen saßen dabei mit am großen Konferenztisch im Tifliser Wirtschaftsministerium, denn Dänemark ist der weltgrößte Weihnachtsbaumproduzent, ein Deutscher, das war Moser, und drei Georgier. Das georgische Fernsehen übertrug live. Tannenzapfen als nationales Ereignis. Aus Deutschland war die Chefredakteurin des Branchenblatts „Nadel-Journal“ dabei. „Die Luft surrte vor Spannung. Die Nerven lagen blank“, beginnt sie später ihren Artikel. Moser bekommt für „einige Millionen Euro“ den Zuschlag für vier Pflückgebiete. Die Lizenzen gelten zehn Jahre. Aber was gilt in zehn Jahren in Georgien?

Die politische Lage ist am Rande auch Thema in Ministerien und Laboratorien. Abhängigkeiten von einem Land, unsicher wie Georgien, sollen vermieden werden. Auch wenn es nur um Weihnachtsbäume geht.

Rote Klinkergebäude säumen die eine Seite der Berlin-Steglitzer Lentzeallee. Darin reihen sich an linoleumbelegten Fluren Büros und Labore, in denen Männer wie Dr. agr. Matthias Zander arbeiten: Hünen in Fleecepullovern. Wissenschaftler der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität. Die Forscher, Massenvermehrer im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Selektierer. Die Kloner. Die ihr doch eher unbiblisches Tun aber versehen mit einer mitmenschlichen Note.

„Es spielen sich Dramen ab in den Familien“, sagt Zander und grinst freundlich. Alle Jahre wieder. Und immer darum, ob der gekaufte Weihnachtsbaum auch der geradeste, grünste, ebenmäßigste sei. Die Streitereien könnte man beenden, wenn man einfach Klone der schönsten Exemplare auf den Markt werfe. Wobei das so einfach nicht ist. Seit das Klonprojekt 2001 anlief, hätte man schon mehrfach gern alles in die Ecke geschmissen. Weil wieder alle Sämlinge eingegangen waren.

Im Moment verdecken Schneemassen jene Winzlinge, die seit 2007 hinter den Gewächshäusern auf dem Universitätsgelände zaghaft echtes Leben probieren. Man hat Zellen der besten Samen durch Hormonlösungszugabe angeregt, manche von denen bildeten – noch im Reagenzglas – Keimblätter aus. Dann überlebten sie auch noch mehrere Wochen unter einer Folie im Gewächshausraum A3, in dem man sie durch Feuchtigkeits- und Temperaturabsenkung aushärten ließ und auf die freie Wildbahn vorbereitete. Und nun sollen sie hier draußen im wirklichen Boden, der nicht rein und sauber ist, ihre Widerstandskraft zeigen.

Das alles dauert seine Zeit, wie überhaupt der Tannenbaum ein langsamer Wachser ist. Die Bäume, die dieser Tage mühselig in Tannenbaumständer gezwängt wurden und werden, sind zehn Jahre und älter. Die ersten Klone aus dem universitären Labor dürften frühestens in fünf Jahren verkauft werden können. Um dann vielleicht zwei Wochen lang verziert und abends leuchtend in Zimmern zu stehen, wonach sie auf die Straße geworfen und von der Müllabfuhr eingesammelt werden.

Es ist ein Verhältnis von atemberaubendem Ungleichgewicht. Oder liegt darin verborgen die Brücke zurück zur Weihnachtsgeschichte? Zum großen Sinn jenseits der kleinen Vernunft. Zu Gott, der seinen Sohn für die Menschen leiden lässt. Auch das kann man unverhältnismäßig finden.

In den Raum A3 des Gewächshauses wird nach einem automatisierten Rhythmus feuchte Luft gepustet. Sie zischt aus dünnen Rohren. Zander lupft die Folie, unter der in Reihen kleine Nährbodenröllchen mit winzigen Pflänzchen stehen. Ausgereifte Embryonen, die ergrünt sind. 1800 Stück. Die jüngste Lieferung vom Partnerinstitut, von den Biologen. Zander guckt, wie die kleinen Grünen sich machen. Unterschiedlich trotz Genomgleiche. „Richtig schick“ findet er den einen. Der andere mit dicken Keimblättern gefällt ihm nicht, „bisschen protzig“, sagt er, und dass die protzigen meistens auf der Strecke blieben.

Es sind also nicht alle Bäume gleich, nur weil sie dieselben Gene haben. Geklonte Bäume sind nicht identische Bäume. Wie der Baum am Ende aussieht, hängt von seinem Standort ab und von seiner Ernährung. Vergleichbar eineiigen Zwillingen. Treibt der eine viel Sport und der andere nie, unterscheiden sich die gengleichen Individuen auch irgendwann optisch.

Die Forscher rund um Zander nehmen ihre Weihnachtsbaumretortenforschung nicht wichtiger als andere Projekte. Doch läuft sie in direkter Konkurrenz. Wieder zu Dänemark. Auch die Dänen haben sich nämlich vor einiger Zeit gedacht, dass sie doch die schönsten Bäume klonen könnten. Und sie haben es in mancher Hinsicht leichter. Weihnachtsbaummonokulturen sind anders als in Deutschland dort nicht genehmigungspflichtig. Das Klima ist milder. Und Fläche vorhanden. Es gibt Baumschulen von 200 Hektar Größe, die Platz haben für 90 Millionen Setzlinge.

Es sei durchaus ein Wettlauf, sagt Zander. Aber man liege derzeit vorn.

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