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Panorama: Zu klug, um zu leben?

Ein Gericht in Virginia entscheidet, ob ein Mörder so intelligent wurde, dass er hingerichtet werden muss

Nach Gesetzen des Staates Virginia in den USA darf niemand hingerichtet werden, der einen Intelligenzquotienten (IQ) von unter 70 hat. Als Daryl Atkins 2002 getestet wurde, lag sein IQ bei 59. In den nächsten Tagen wird der wegen Mordes verurteilte Häftling erfahren, ob er dennoch sterben muss. Sein Problem ist, dass er im Gefängnis intelligenter geworden ist: Die jüngsten Tests zeigen einen IQ von 74.

„Dieser Fall wird als einmalig in die Justizgeschichte eingehen”, erklärte Richter Prentis Smiley der „New York Times“.

Mit 18 Jahren entführte der Afroamerikaner 1996 in Virginia mit einem Komplizen einen Mann, zwang ihn dazu, Geld von einem Bankkonto abzuheben, und erschoss ihn – sie wollten Geld, um Bier zu kaufen. Seinem Komplizen wurde damals ein Deal angeboten: Um selbst dem Todesurteil zu entkommen, sagte er gegen Atkins aus. Der schrieb schon 2002 Justizgeschichte: Anhand seines Prozesses entschied das höchste Gericht der USA, dass die Hinrichtung geistig Behinderter verfassungswidrig sei. Jetzt könnte der Mann, dem andere Gefangene ihr Leben zu verdanken haben, selbst getötet werden. Der Staat Virginia muss entscheiden, ob Daryl Atkins als geistig behindert gilt – oder ob er hingerichtet wird.

Seit 1998 sitzt Atkins in den Todeszellen. Das Gerichtsverfahren scheint ihn klüger gemacht zu haben. Das häufige Verhandeln mit seinen Anwälten, das dazu erforderliche Lesen und Schreiben haben den Schulabbrecher intellektuell stimuliert, meint der Psychologe Evan Nelson.

Zwei Wochen lang werden die Geschworenen über 100 Zeugen hören, Atkins Schulzeugnisse und IQ-Tests begutachten. Vor Gericht wird auch sein Verbrechen wieder beschrieben. Richard Dieter vom Todesstrafen-Informationszentrum in Washington findet das unfair: „Das Obergericht entschied, dass geistig Behinderte nicht hingerichtet werden sollen. Darüber soll objektiv entschieden werden. Aber die Geschworenen werden von ihren Kenntnissen über Atkins’ Verbrechen beeinflusst.“ Die Verteidigung verlässt sich jetzt hauptsächlich auf die Aussage von Evan Nelson, der Atkins 1998 und 2004 testete und der die neuesten Tests für unmaßgeblich hält.

Die Anklage agumentiert, dass Atkins nicht als geistig behindert gelten dürfe, weil eine solche Diagnose vor dem 18. Geburtstag gestellt werden müsse. Atkins wurde erst mit 18 getestet. Außerdem fragt sie: Wenn Atkins über geistige Fähigkeiten verfügte, die ihm erlaubten, einen Mann zu entführen, eine Waffe zu laden und einen abgelegenen Tatort zu suchen, könne man ihn dann tatsächlich als geistig behindert betrachten?

Der Fall ist tragisch, meint Richard Dieter: „Am Ende könnte Atkins’ Beitrag zu einem Ende der Hinrichtungen geistig Behinderter sein eigenes Ende bewirken.“

Duncan Heath

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