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Deutscher Durchschnittsverzehr im Laufe eines Lebens

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1094 Tiere: Fleischeslust mit Nebenwirkungen

Im Schnitt werden für jeden Deutschen fast 1100 Tiere geschlachtet – zu viel, finden Umweltschützer. Der "Fleischatlas" soll die Verbraucher aufklären.

Pünktlich zur Grünen Woche liegt mit dem „Fleischatlas“ ein echter Appetitzügler auf dem Tisch. Während sich bei der weltgrößten Landwirtschaftsmesse vom 18. bis 27. Januar in Berlin Bauernverbände und Nahrungsmittelindustrie feiern wollen, treten der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die Zeitschrift „Le Monde diplomatique“ als Spielverderber auf. Auf 50 Seiten werden die Folgen des weltweit steigenden Fleischkonsums diskutiert. Demnach verspeist der Durchschnittsdeutsche in seinem knapp 80-jährigen Leben 1094 Tiere.

„Das billige Fleisch ist das teuerste Fleisch“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger am Montag in Berlin. Damit meint er beispielsweise die 70 bis 320 Milliarden Euro Schäden, die je nach Rechnung der Kritiker allein in Europa durch die Überdüngung der Äcker für die Futtermittelproduktion entstehen. Der Flächenbedarf für die vor allem in Europa oder den USA gemästeten Schweine, das Geflügel oder die Rinder liegt weltweit je nach Schätzung zwischen 30 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche – das ist die Zahl der Weltagrarorganisation FAO – und 70 Prozent der gesamten Ackerflächen – diese Zahl stammt vom Weltagrarrat, einem Expertengremium der Vereinten Nationen. In Deutschland landet etwa die Hälfte der gesamten Ernte in den Futtertrögen. Doch das reicht noch lange nicht, um die Hochleistungskühe, -schweine oder -hähnchen satt zu bekommen. Ein Drittel der Futtermittel importiert Deutschland, vor allem Soja aus Brasilien und Argentinien.

Die Folgen vor Ort sind nach Einschätzung von Barbara Unmüßig, Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung, dramatisch. Die ehemaligen Weideflächen in der brasilianischen Savanne werden umgewidmet, um immer mehr gentechnisch veränderten Soja herzustellen. Und Zucht der 212,8 Millionen brasilianischen Rinder ist gleichzeitig einer der größten Treiber für den Waldverlust. Der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) war bis zum Redaktionsschluss nicht zu einer Stellungnahme zu der Studie zu bewegen.

Unmüßig wies zudem darauf hin, dass durch „die Soja-Monokulturen Millionen Kleinbauern von ihrem Land verdrängt werden“. Auf der anderen Seite haben die billigen Exporte von Hühnerteilen aus Europa die Geflügelwirtschaft in Westafrika ruiniert. In Europa hat nur die Hühnerbrust wirtschaftlichen Wert. In Ghana oder Benin gibt es inzwischen gar keine einheimische Geflügelwirtschaft mehr. Unmüßig bedauerte das vor allem deshalb, weil dieses Geschäft „in der Hand von Frauen“ gelegen habe.

Beide Phänomene sind Folge der europäischen BSE-Krise. Weil seit den 90er Jahren immer mehr Kühe am Rinderwahn erkrankten, wurde die Verfütterung von Tiermehl, der wahrscheinliche Grund für die Erkrankung der Tiere, verboten. Die ökonomisch wertlosen Hühnerteile waren zuvor als Tiermehl im Futtertrog gelandet. Auch der dramatische Anstieg der Sojaanbauflächen in Lateinamerika hat seinen Ursprung im Tiermehlverbot. Denn nun musste ein pflanzliches Kraftfutter für die Tierproduktion in Europa gefunden werden.

Abgesehen von den globalen und ökologischen Folgen weisen die Autoren des „Fleischatlas’“ auf ein gesundheitliches Problem hin. Zwischen 200 und 250 Milligramm Antibiotika werden pro Kilogramm Fleisch in Deutschland eingesetzt, um Tiere gesund zu halten. 2011 haben die Pharmakonzerne nach Informationen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 1734 Tonnen Antibiotika an Tierärzte geliefert. Wenn 2000 Schweine oder 40 000 Hühner in einem Stall leben, ist eine Haltung ohne Antibiotika „nicht möglich“, sagt Hubert Weiger. Das Ergebnis ist, dass mehr und mehr Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln und damit eines der wichtigsten Medikamente für die menschliche Medizin immer öfter zu einer stumpfen Waffe wird. In Europa sterben jedes Jahr rund 25 000 Menschen wegen Antibiotikaresistenzen.

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