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Historisch gesehen gehört die Trillerpfeife zu den wichtigsten Utensilien eines erfolgreichen Metallers. Ohne Warnstreiks und richtige Arbeitskämpfe wären Arbeitszeiten und Löhne heute auf einem anderen Niveau.

© dpa

125 Jahre IG Metall: Eine Gewerkschaft zwischen Klassenkampf und Kooperation

Die IG Metall feiert an diesem Sonnabend in der Paulskirche ihren 125. Geburtstag. Der langjährige Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser würdigt den früheren Gegner und Partner.

Auf der Liste der von der IG Metall aufgezählten wichtigsten Ereignisse seit 1891 fehlen zwei Daten: 1954 und 2003. Warum das so ist, wird aus den Worten des Vorsitzenden Klaus Zwickel im Sommer 2003 klar: Der gerade verlorene Arbeitskampf um die stufenweise Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland „ist tarifpolitisch die größte Niederlage, die die IG Metall jemals einstecken musste. In ihrer Wirkung ist sie viel dramatischer als 1954 in Bayern.“

Dort hatte die Gewerkschaft auch verloren, doch in den folgenden Wirtschaftswunderjahren verkraftete das die IG Metall ziemlich schnell. Anders als in Ostdeutschland, wo die größte und mächtigste Gewerkschaft der Welt bis heute kaum ein Bein auf die Erde kriegt. Dafür ist sie im Westen stärker denn je, wie die gerade durchgesetzte Tariferhöhung um 4,8 Prozent belegt. Keine andere Gewerkschaft holt so viel raus für ihre Leute wie die IG Metall.

Der Erfolg kam mit dem Wirtschaftswunder

Bundestagspräsident Norbert Lammert wird an diesem Sonnabend beim Festakt in der Paulskirche würdigen, was die Gewerkschaft, die Mitbestimmung und die Tarifautonomie zum Wohlstand in diesem Lande beigetragen haben. Der Erfolg der IG Metall ist ein Spiegelbild des Erfolgs der westdeutschen Nachkriegswirtschaft, für den in früheren Jahrzehnten der Begriff des „Modell Deutschland“ geprägt wurde: Gewerkschaften, Arbeitgeber und Politik schließen einen Pakt zum Wohle der Wirtschaft, konkret der Exportwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist das oberstes Ziel und gleichzeitig Motor der gesellschaftlichen Entwicklung zu mehr Wohlstand, den die IG Metall durchzusetzen vermag, wenn die Zeit dafür reif ist.

Immer weniger Firmen zahlen Tarif

Ein paar Meilensteine: 1957 wird die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erstreikt. Mitte der 1960er Jahre erreicht die IG Metall eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden; 20 Jahre später geht es weiter runter, bis dann 1995 in Westdeutschland die 35-Stunden-Woche gilt. Die Zahl der tariflichen Urlaubstage steigert die IG Metall von zwölf (1949) auf 20 (1967) und 30 (1982). „Gemeinsam für ein gutes Leben“ – diesen Slogan hat die Gewerkschaft da umgesetzt, wo sie genügend Mitglieder hatte und wo die Arbeitnehmer auch unter tariflichen Bedingungen arbeiten. Das sind indes in den vergangenen 20 Jahren immer weniger geworden.

Ursächlich für die Tarifflucht sei vor allem die starre Arbeitszeit, meint Martin Kannegiesser mit Blick auf die 35- Stunden-Woche. Als Präsident von Gesamtmetall war er über ein Dutzend Jahre wichtigster Partner und Gegner der IG Metall. 2004 vereinbarten die Tarifparteien im berühmten Pforzheimer Abkommen die Möglichkeit einer Abweichung vom Flächentarifvertrag, wenn es einer Firma schlecht geht. Mehr Spielräume für die Betriebe, mehr Rücksicht auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Unternehmen, weniger Gängelung durch die Tarifparteien – so wünschen sich das die Arbeitgeber seit Jahren. Dabei sollen die Betriebsräte aber auf keinen Fall Tarifverträge abschließen, das ist Kannegiesser wichtig, weil das den Betriebsfrieden gefährden könnte. Tarifverträge machen nur die Verbände und Gewerkschaften.

Mitgestalter statt Mitläufer gesucht

„Über die Jahre ist die IG Metall zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Dreiklangs aus Marktwirtschaft, sozialer Marktwirtschaft und Tarifautonomie geworden“, würdigt Kannegiesser die Rolle der Gewerkschaft. Er sieht sie als „Bindeglied zwischen Gesellschaft und Betrieben“ und als Gestaltungskraft, in Zukunft mehr denn je. Durch die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft seien ganz neue Qualifikationen erforderlich, „wir brauchen weniger Mitläufer und mehr Mitgestalter“, sagt Kannegiesser, und plädiert so implizit für mehr Mitbestimmung. Das hören die meisten Arbeitgeber nicht gerne. Doch „ohne die institutionelle Einbeziehung von Arbeitnehmervertretern hätte sich unser Land schlechter entwickelt“, glaubt Kannegiesser. Und ohne die IG Metall auch. Weil sie verstanden habe, „dass das Wohl des Unternehmens im Mittelpunkt steht“. Das Unternehmen als Interessengemeinschaft von Arbeitgeber und Arbeitnehmern.

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