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Eine Luftaufnahme von Jätkäsaari im Sommer 2014.

© Suomen Ilmakuva Oy (Helsinki City Museum)

15 Prozent Anzahlung, dann Miete: Helsinki will mit einer ungewöhnlichen Idee nachhaltigere Stadtviertel schaffen

In vielen europäischen Großstädten fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Stadtplaner in Helsinki und Amsterdam experimentieren mit neuen Bauweisen und Wohnformen.

Sozialwohnung neben Luxus-Penthouse? Studentenwohnheim mit Blick aufs Meer? In Helsinki wird das gerade erprobt. Auf einer der größten Baustellen Europas entsteht zur Zeit ein neuer riesiger Stadtteil, Jätkäsaari - mitten in der Stadt, auf dem Gelände des einstigen Containerhafens. In fünf Jahren sollen hier 18.000 Menschen wohnen. Der Bedarf an Wohnungen ist groß. Immer mehr Finnen ziehen in den einzigen großen Ballungsraum des Landes, nach Helsinki.

Jätkäsaari besteht überwiegend aus Hochhäusern. Ein buntes Nebeneinander ganz unterschiedlicher Bauweisen. Jeder Wohnblock hat ein anderes Nutzungskonzept und ein anderes Finanzierungsmodell. Generationenhäuser stehen neben Studentenheimen, Gutverdiener leben direkt neben Geringverdienern.

Es gibt Mietwohnungen, die sich teilweise auf derselben Etage neben Eigentumswohnungen befinden. Manche Gebäude hat die Stadt gebaut, andere gehören privaten Baugruppen. Ein Mix an verschiedenen Baukonzepten. Die Stadt will herausfinden, welche sich für die Bedürfnisse der Menschen am besten eignen. In ein paar Jahren werden die Projekte evaluiert. "Wir haben doch gar keine Wahl", sagt die zuständige Stadtplanerin Elina Eskelä, "wir müssen angesichts unserer stark wachsenden Stadt einfach nach neuen Lösungen suchen".

Familien sollen zurück in die Stadt

Neue Finanzierungsmodelle soll vor allem Familien der Mittelschicht die Möglichkeit eröffnen, sich eine Wohnung in der Stadt leisten zu können. Wie in anderen Großstädten auch haben die teuren Wohnpreise in der Stadt dazu geführt, dass immer mehr Familien mit Kindern ins Umland zogen.

Attraktive Finanzierungsangebote sollen sie zurück in die Stadt locken. 64 Prozent der Grundstücksflächen gehören der Stadt. Sie kann daher mitbestimmen,  was und für wen gebaut wird – nicht die Investoren allein. Die Stadt verpachtet das Bauland an private Bauherrn, an Baugruppen, an Genossenschaften oder sie baut selbst.

Für den neuen Stadtteil Jätkäsaari gilt der sogenannte Helsinki-Mix: 45 Prozent der Wohnungen werden auf dem freien Markt angeboten, 25 Prozent sind Sozialwohnungen und 30 Prozent sind Wohnungen, deren Mieter ein sogenanntes Nutzungsrecht erworben haben.

Stadtplanerin Eskelä erklärt das ungewöhnliche Finanzierungsmodell, das sich vorwiegend an Familien mit mittlerem Einkommen richtet: „Man zahlt 15 Prozent des Kaufpreises an und hat dann das Recht, in eine freie Wohnung einzuziehen. Dann zahlt man eine monatliche Miete, ist aber gleichzeitig abgesichert. Man kann bleiben, solange man will, und wenn man auszieht, bekommt man die Anzahlung wieder zurück.“

Die unterirdische Stadt

Auch Architekten und Bauherren haben in Helsinki große Spielräume. „Ich glaube, die wissen, dass Helsinki offen für neue Ideen ist", sagt Elina Eskäla. „Wenn jemand mit einem tollen Vorschlag zum Bauen oder für ein Finanzierungsmodell kommt – und es kommen jede Woche Vorschläge – dann versuchen wir sie umzusetzen, verhandeln mit den Behörden und versuchen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen.“

Alle aktuellen Bauvorhaben werden jedoch von einem Projekt in den Schatten gestellt, das weltweit als einmalig gelten dürfte: Die unterirdische Stadt, die das beherbergt, was man oberirdisch nicht haben möchte: Heizkraftwerke, LKW-Liefer-Verkehr, Müllsammelsysteme.

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Die positive Folge: Oben bleibt mehr Fläche für den Wohnungsbau. Unscheinbare Tore führen an mehreren Orten der Stadt in die Tiefe. Ein rund 250 Kilometer langes ausgeklügeltes Tunnelsystem erstreckt sich im Untergrund. Einige Bereiche sind nur mit Sondergenehmigung zugänglich.

Schwimmbad, Museum und Kirche im Untergrund

Etwa das Energieversorgungssystem der Stadt. Der städtische Versorger „Helen“ betreibt ein eigenes Tunnelsystem von fast 70 Kilometern Länge. Hier schlängeln sich in 50 Metern Tiefe dicke Pipelines entlang schmaler Straßen, in einem meterhohen Gewölbe lagern gewaltige Pumpen, die zur Wärme- und Kälteerzeugung der Stadt beitragen, auch zwei Kältespeicher mit insgesamt 11.000 Kubikmeter Wasser gehören zu der Anlage.

Tuomas Ojanperä, Angestellter des Energieunternehmens, erklärt: „Wir habenkeine separaten Heizungen in den Häusern. Wir erzeugen die Wärme zentral und  verteilen sie unterirdisch über ein Leitungsnetz. Genauso haben wir hier unten ein Kühlsystem, das im Sommer die Büros und Geschäfte kühlt.“

Und der Untergrund steckt voller weiterer Überraschungen: Ein Busbahnhof, eine Eishockeyhalle, ein in den Fels gebautes Schwimmbad, ein Museum und sogar eine Kirche befinden sich unter der Erde. Technisch ist das anspruchsvoll, weil die ganze Stadt auf Felsen ruht. Genauer, auf Millionen Jahre altem Granitgestein, das extrem fest ist.

Eine unterirdische Schwimmhalle.
Eine unterirdische Schwimmhalle.

© Kobalt

Konsequent hat die Stadt sogar einen erheblichen Teil des Lastverkehrs in die Tiefe verbannt. Schwere LKWs beliefern  Shoppingmalls und Restaurants aus dem Untergrund. So wird der Verkehr oben entlastet, Lärm und  Gestank verschwinden. Das Konzept, Infrastruktur und Energieversorgung unter die Erde zu verlegen, geht offenbar auf: Die unterirdische Stadt wird weiter ausgebaut. Bis 2020 soll sie neun Millionen Kubikmeter groß sein – was in etwa dem oberirdischen Lebensraum der Stadtbevölkerung entspricht. Ambitioniert ist da noch untertrieben.

Schwimmendes Stadtviertel in Amsterdam

Auch die Holländer machen dank technischer Innovationen Unmögliches möglich: Weil es auch hier an Flächen zum Wohnungsbau mangelt, sind die Niederländer auf eine Idee gekommen, die auf den ersten Blick absurd erscheint: Sie bauen schwimmende Häuser. Mitten in Amsterdam ist jetzt ein neuer schwimmender Stadtteil fertig gestellt worden: Schoonschip. Ein innovatives Projekt, das modernes bezahlbares Wohnen mit Nachhaltigkeit verbindet. Der Städtebauer: Sascha Glasl, ein Architekt aus Deutschland. „Wir müssen mit und auf dem Wasser bauen, nicht dagegen", fordert er.

30 moderne schwimmende Häuser, die mit Holzstegen verbunden sind, liegen an einem breiten Kanal. Im Sommer gehen die Kinder baden. Urlaubsfeeling. Das Besondere: Die nachhaltige Lebensweise. 500 Solarpanel liefern den Strom,  das Abwasser der Häuser wird über ein Pumpensystem recycelt. Eine Innovation für Hausboot-Siedlungen. Die 100 Bewohner haben das Projekt als Baugruppe realisiert.

Auch wenn die Kosten ihre Erwartungen am Ende überstiegen, das Investment hat sich in ihren Augen gelohnt. Das nachhaltige Wohnen auf dem Wasser, in einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig hilft - das hätten sie so in der Stadt nie bekommen. Ein 150 Quadratmeter großes Einfamilienhaus kostet im Schnitt rund 600-tausend Euro. Um das Wohnen leistbarer zu machen, wurden daher auch viele doppelstöckige Hausboote gebaut, die zwei Familien gemeinsam bewohnen.

Der schwimmende Stadtteil "Schoonschip".
Der schwimmende Stadtteil "Schoonschip".

© Isabel Nabuurs (isabelnabuurs.nl)

Schoonship ist noch nicht mal ein Jahr alt und schon international ein Vorzeige-Modell. Gerade hat sich der Bürgermeister von Peking das Projekt angesehen. Die Berliner Politik war noch nicht da.

Dabei hält Architekt Glasl es durchaus für eine Option, auch in Berlin schwimmende Häuser zu bauen.

Immerhin hat Berlin mehr Wasserfläche als Amsterdam.  „Das einzige, was man braucht,“ sagt Glasl, „ist die Unterstützung der Stadt. Wenn die Stadt das erlaubt, und man darf auf dem Wasser verdichten, dann geht es. Das Bauen ist nicht das Problem.“

[Über diese und andere Ideen für bezahlbares Wohnen berichtet heute Abend um 21 Uhr die TV-Reportagereihe "besser geht immer" im rbb Fernsehen.]

Architekt Glasl experimentiert jetzt sogar mit einem Baumaterial, das bislang noch nie im Bootsbau verwendet wurde: Hanf. Das nächste Hausboot im neuen Viertel ist gerade in Arbeit. Die Bootswände werden komplett aus Kalkhanf bestehen. Er isoliert gut, ist leicht zu verarbeiten und vor allem preisgünstig.

Würfelhäuser in Bremen

Auf günstige Bauweisen ist man auch im Stadtstaat Bremen angewiesen. Auch hier steigen die Mieten und Wohnraum ist knapp. Vor allem Singles und ältere Menschen suchen kleine bezahlbare Wohnungen. Dafür hat das teilstädtische Wohnungsbauunternehmen GEWOBA ein Nachverdichtungskonzept entwickelt, das überraschend einfach erscheint: Den preisgekrönten Bremer Punkt, der mitten in den Bestand gebaut werden kann.

Die Bauteile des würfelartigen Wohnblocks werden in Serie hergestellt, das senkt die Kosten. Ebenso wie die Verwendung einer günstigen Holzbetonbauweise. In nur einer Woche kann der Rohbau aus den vorgefertigten Einzelteilen aufgestellt werden.  

Zwei der Würfelhäuser befinden sich in der Bremer Neustadt. Eine typische Wohnsiedlung der 50er und 60er Jahre, die damals großzügig angelegt wurde und viel freie Grünflächen bietet. Dort konnten die beiden Würfelhäuser mit Zwei – und Dreizimmerwohnungen in den Bestand gesetzt werden. Sie sind barrierefrei konzipiert und stehen in erster Linie Anwohnern der umliegenden Wohnblocks zur Verfügung.

Auch die 83-jährige Annemarie Hacker lebt hier in einer kommunal geförderten 2-Zimmer-Wohnung. Für die knapp 50 Quadratmeter zahlt sie 400,- Euro Kaltmiete. Sie wohnte früher mit ihrem Mann gleich um die Ecke. Nachdem der verstarb, wurde ihr die Wohnung zu groß. „Woanders wäre ich nicht hingezogen,“ sagt sie. „ich bin froh, dass ich in meinem Viertel bleiben kann. Hier habe ich 59 Jahre lang gelebt.„ Entworfen hat das Bremer Punkt-Modell übrigens ein Architektenbüro aus Berlin.

Ein Kiez auf den Dächern Berlins

Auch bei uns mangelt es keineswegs an kreativen Köpfen und guten Ideen. Aber es hakt an der Umsetzung. Das erlebt, wie viele andere Architekten, auch Sigurd Larsen. Der in Berlin lebende Däne möchte das enorme Potential leerer Dachflächen nutzen. Er hat ein preisgekröntes Baukonzept entwickelt, den “Dachkiez”. Ein Modell für ein ganzes Wohnviertel auf dem Dach eines Plattenbaus in Berlin Mitte – samt Park, der von allen Bewohnern des Wohnblocks genutzt werden soll.

Die Kosten will Larsen senken, indem er die Häuser aus Holz und in Serie herstellen lässt und dann per Kran aufs Dach hebt. Die reinen Baukosten für die Holzhäuser lägen bei 1750 Euro pro Quadratmeter, sagt er. 200 Menschen könnten so ein neues Zuhause finden. „Es ist deutlich günstiger da zu bauen, wo die Infrastruktur schon da ist", meint Larsen. Realisiert hat er das Projekt bisher noch nicht, aber die Stadt, so der Architekt, habe Interesse signalisiert.

Der renommierte niederländische Stadtplaner Martin Aarts, der Berlin seit vielen Jahren beobachtet, kritisiert die Berliner Wohnpolitik. Sie sei zu ängstlich, zu behäbig, zu wenig experimentierfreudig. „Es fehlt vor allem eine langfristige Perspektive für die Entwicklung der Stadt“, sagt Aarts. Und da könne sich Berlin von anderen Städten noch einiges abgucken.

Astrid Frohloff

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