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Rund 15 Jahre ging es aufwärts, doch seitdem stockt der Aufbau Ost. In den letzten Jahren ist die Wirtschaft im Westen sogar wieder stärker gewachsen.

© dpa

25 Jahre Einheit: Der Osten kommt nicht ran

Der Angleichungsprozess stagniert seit zehn Jahren. Und noch immer liegen die Einkommen in Ostdeutschland ein Fünftel unter dem Niveau im Westen.

Die Arbeitnehmer in Ostdeutschland brauchen Geduld. „Wenn die Lohnentwicklung so weitergeht wie bisher, wird die Lohnangleichung zwischen Ost und West etwa im Jahr 2081 erreicht“, heißt es in einer Studie des Berliner IMU-Instituts für die IG Metall. Anlässlich des 25. Jahrestages der deutschen Vereinigung zog die größte deutsche Gewerkschaft am Donnerstag in Berlin eine Art Einheitsbilanz. „Wir haben viel erreicht“, meinte IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, vor allem die Tariflöhne liegen inzwischen auf einem Niveau, das 97 Prozent der Lohnhöhe im Westen entspricht. Allerdings müssen die Beschäftigten dafür im Osten länger arbeiten: Ende 2014 belief sich hier die tarifliche Wochenarbeitszeit auf 38,7 Stunden, im Westen waren es 37,5 Stunden.

2003 verlor die IG Metall den Streik im Osten

Seit 15 Jahren stagnieren diese Arbeitszeiten, was auch an der IG Metall liegt: Im Jahr 2003 verlor die Gewerkschaft einen Arbeitskampf um die Verkürzung der Wochenarbeitzeit im Osten. Deshalb arbeiten die Metaller zum Beispiel in den neuen Fabriken von BMW oder Porsche in Leipzig 38 Stunden, die Metaller im Westen aber nur 35 Stunden. „25 Jahre nach der Wende ist keiner Kollegin und keinem Kollegen mehr zu erklären, weshalb er/sie drei Stunden länger arbeiten soll als die westdeutschen Kollegen, zumal im gleichen Konzern“, schreibt das IMU. Gerade die Angleichung der Arbeitszeit sei eine „erstrangige Herausforderung gewerkschaftlicher Gestaltungspolitik in Ostdeutschland“.

Die oben genannten Unterschiede bei Einkommen und Arbeitszeit betreffen, wohlgemerkt, nur die tariflichen Regelungen. Da jedoch in Ostdeutschland nur noch rund ein Fünftel der Arbeitnehmer überhaupt unter einen Tarif fällt, sind die wirklichen Unterschiede noch größer. Die tatsächlichen Einkommen im Osten liegen um rund ein Fünftel unter Westniveau. Es gab zwar, vor allem bei den Stundenlöhnen, einen Aufholprozess. „Diese Annäherung fand jedoch im Wesentlichen vor 1995 statt und hat sich seither deutlich verlangsamt“, heißt es in der IMU–Studie.

Früher gab es kaum Teilzeit und Minijobs

Der Annäherungsprozess wurde zudem dadurch abgebremst, „dass in Ostdeutschland früher unübliche Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit und Minijobs stärker zugenommen haben“. Der Osten ist ein riesiges Niedriglohngebiet. Deshalb wird die Einführung des Mindestlohns in diesem Jahr rein statistisch gesehen einen „lohnangleichenden Einfluss haben“, weil die 8,50 Euro bei rund elf Prozent der Arbeitnehmer in Ostdeutschland eine Lohnerhöhung bedeuten; im Westen sind es nur drei Prozent.

Und dennoch: „Eine Annäherung an gleichwertige Lebensverhältnisse findet derzeit nicht statt“, resümiert die Studie und reklamiert „langfristige und solidarische Anstrengungen der Arbeits-, Sozial-, Industrie- und Strukturpolitik“. Weil insbesondere in strukturschwachen Regionen Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsen-Anhalts eine Abwärtsspirale in Gang kommen könnte: Niedrige Löhne führen zu niedrigen Renten, was zu Altersarmut führen kann. Die geringe regionale Kaufkraft bedeutet für die örtliche Wirtschaft (Handel, Handwerk, Kleinindustrie, alle möglichen personenbezogenen Dienstleistungen), „dass in der Region nur unterdurchschnittliche Preise erzielt werden können, was wiederum als Grund für das geringe Lohnniveau“ gilt. Und das wird vermutlich nicht besser, weil sich Ostdeutschland in einer geografischen Sandwich-Position befinde zwischen traditionell starken Industrieregionen in Westdeutschland und osteuropäischen Ländern, „in denen die angestrebte Re-Industrialisierung zum Teil mit Mitteln des Steuerdumpings befördert wird“. Die Politik komme nicht umhin, über „gezielte Programme zur Überwindung der strukturellen wirtschaftlichen Nachteile in Ostdeutschland zu diskutieren“. Investitionsförderung und Infrastrukturausbau hätten zumindest in den ersten 15 Jahren nach der Wende „zum erfolgreichen Aufbau Ost entscheidend beigetragen“.

1,6 Billionen Euro sind von West nach Ost geflossen

Insgesamt wurden seit 1990 rund 1,6 Billionen Euro aus West- nach Ostdeutschland transferiert, davon entfielen rund 70 Prozent auf sozialpolitische Ausgaben (Renten, Arbeitslosengeld, Familienleistungen et cetera) die auch im Westen gezahlt werden. Nur rund ein Fünftel der 1,6 Billionen „wird als rein ostspezifischer Transferanteil geschätzt“. Trotzdem ist die Binnennachfrage, die sich aus privaten und staatlichen Ausgaben zusammensetzt, um rund 20 Prozent höher als die im Osten erwirtschaftete Leistung (Bruttoinlandsprodukt). Die Lücke zwischen Kaufkraft und Wirtschaftskraft belegt, „dass die ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung noch nicht als selbsttragend charakterisiert werden kann“. Das zeigen auch aktuelle Zahlen des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Bundesländer. Im ersten Halbjahr wuchs die Wirtschaft in den alten Ländern um 1,5 Prozent und in den neuen Ländern (ohne Berlin) nur um 1,1 Prozent. „Bereits 2013 und 2014 war die Schere zwischen Ost und West beim Wirtschaftswachstum wieder auseinander gegangen.“

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