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In diesem Jahr dürfen viele Schiffe nicht anlegen.

© imago images/Jochen Tack

400.000 Seefahrer in der Coronakrise: Weit weg vom Zuhause und seit Monaten kein Landgang

Noch immer sind hunderttausende Seeleute wegen der Pandemie auf ihren Schiffen gefangen. Die Uno fordert jetzt Maßnahmen – und auch Jeff Bezos ist gefragt.

Die Mund-Nase-Maske ist 300 Quadratmeter groß und wiegt 200 Kilogramm. "Velsheda" trägt sie, um auf das Schicksal der Seefahrer in der Coronakrise aufmerksam zu machen. "Velsheda" ist ein Frachtschiff der Hamburger Reederei Orion. Sie sorgte mit dem Masken-Auftritt gerade für Aufmerksamkeit in Südamerika, wo das Schiff einen kolumbianischen Hafen ansteuerte.

"Wegen der Pandemie sind heute weltweit eine Vielzahl von Reiseverboten in Kraft. Dazu gehören Beschränkungen der Rückkehr, des Hafenzugangs und der Ein- und Ausschiffung von Frachtschiffen", so die deutsche Reederei über ihre Protestaktion. "Zehntausende von Seeleuten sind durch diese Vorschriften gefangen, können ihre Schiffe nicht verlassen oder aus weit entfernten Häfen nach Hause reisen."

Auf rund 400.000 wird die Zahl der Seeleute geschätzt, die aktuell wegen Reisebeschränkungen und Quarantänevorschriften auf ihren Schiffen festsitzen - oft viele Monate über ihre ursprüngliche Vertragsdauer hinaus. Wobei es "sitzen" nicht richtig trifft, denn auf den Schiffen arbeiten die Frauen und Männer weiter, weil es sonst ja nicht vorangehen würde. Sie verpassen währenddessen ihre eigenen Hochzeiten, die Geburt eines Kindes oder leiden zunehmend unter psychischen Problemen.

Die Vereinten Nationen diskutieren das Thema

Die Coronakrise hat den normalen Zyklus der Crew-Wechsel nicht nur gestört, sondern zerstört. Der übliche, lange im Voraus geplante Übergang zwischen der harten Arbeit auf hoher See und dem Heimaturlaub ist für viele Seeleute zum Ding der Unmöglichkeit geworden. Flüge fallen aus. Einreisebeschränkungen oder -verbote machten eine Rückkehr oft unmöglich. Viele Häfen ließen monatelang einfach niemanden von Bord gehen. Der Welthandel geht derweil weiter.

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Die Vereinten Nationen in New York haben in dieser Woche das Schicksal der Seeleute ganz oben auf die Agenda der Weltgemeinschaft gesetzt - so zumindest die Hoffnung der UN-Diplomaten. Die Vollversammlung der 193 Mitgliedsstaaten ruft dazu auf, die Seeleute als "systemkritisch" einzustufen, also ähnlich wie Krankenpfleger und Ärztinnen zu behandeln. Der Austausch der Mannschaften der Schiffe soll erleichtert werden, und die Seeleute sollen früh geimpft werden, so die in der Nacht zum Mittwoch (MEZ) verabschiedete UN-Resolution.

Die Bundesregierung, die ähnliche Maßnahmen schon seit Monaten fordert, aber wenig globalen Einfluss darauf hat, signalisierte sofort ihre Unterstützung. "Viele Seefahrer auf der ganzen Welt haben seit Monaten keinen Landgang, keine Ablösung, keine Zeit mit der Familie. Selbst ärztliche Notversorgung muss erkämpft werden", sagte Norbert Brackmann (CDU), Maritimer Koordinator der Regierung. "Weltweit sorgen Seeleute dafür, dass die Lieferketten trotz der Pandemie aufrechterhalten werden", so der Politiker. "Im Interesse der Seefahrer müssen den Worten nun aber auch Taten folgen."

Vor allem Amazon gerät in die Kritik

In Deutschland etwa seien die Häfen auch während der Pandemie offen und würde der komplizierte Crew-Wechsel im Zusammenspiel mit verschiedenen Behörden möglich gemacht. Die UN-Resolution fordert etwa, dass die Mitgliedsstaaten die bereits im Mai erarbeiteten Protokolle für den coronasicheren Crew-Wechsel umgesetzt werden. Zudem sollten Seeleute auch früh gegen Corona geimpft werden.

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"Es ist eine Frage der Menschenrechte. Das Leben der Seeleute wird durch die Schwierigkeiten beim Besatzungswechsel unmöglich gemacht. Dies führt zu immenser Belastung, Müdigkeit und Erschöpfung - und ist untragbar", sagte Kitack Lim, Generalsekretär der UN-Schifffahrtsorganisation IMO. "Das alles kann sich nur nachteilig auf die Schiffssicherheit und die Versorgungskette auswirken." Aktuell stufen 44 UN-Mitgliedsstaaten Seeleute als "systemkritisch" ein, auf Englisch: "key workers". Diese Regierungen sollten jetzt ihren Einfluss nutzen, um andere Länder dazu zu bewegen, es ihnen gleichzutun und ihre Seeleute als "Schlüsselkräfte" einzustufen, forderte Guy Platten, Generalsekretär der International Chamber of Shipping (ICS).

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Während die Reedereien in der Coronakrise mehr verdienen als sonst und der fast vollständig auf dem Seeweg abgewickelte Welthandel also trotz der Pandemie boomt, leiden die Frauen und Männer auf den Weltmeeren, die das alles erst möglich machen. Nach dem "Black Friday" und der tagelangen Rabattschlacht, die für Milliardenumsätze sorgte, richten sich deshalb nun die Blicke auf die Profiteure des Seehandels.

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Die globalen Handelsgiganten Unilever (Ben & Jerry's, Knorr, Dove) und Procter & Gamble (Ariel, Pampers, Gillette) forderten bereits, die Lage der Seeleute zu verbessern. Die milliardenschweren Edelmarken der Konzerne können Schlagzeilen à la "Sklaven der Meere" nicht so gut gebrauchen, weshalb sie auf anständige Arbeitsbedingungen drängen - und zwar frei von Zwangsarbeit. Der weltgrößte Handelsriese Amazon ignoriert diese Konflikte bislang, so scheint es, weshalb nicht nur die ICS den reichsten Menschen der Erde - Jeff Bezos - nun attackiert. "Die Lieferketten sind von zentraler Bedeutung für den Erfolg von Amazon und dem ‚Black Friday", schreibt die ICS. "Ohne diese Seeleute würde der globale Handel, wie wir ihn kennen, schlicht und einfach aufhören zu existieren." Amazon solle die US-Regierung dazu drängen, die Seeleute als "systemkritisch" einzustufen.

Felix Wadewitz

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