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Geduld muss mitbringen, wer in Deutschland geimpft werden will, auch wegen mangelhafter Digitalisierung.

© imago images/Eibner

50 Versuche bis zum Impftermin: „Dieses Chaos ist einer Hightech-Nation absolut unwürdig“

Von der App bis zur Impforganisation – der Digitalverband Bitkom zieht eine verheerende Bilanz des Corona-Managements in Deutschland.

„Jede neue Phase der Corona-Pandemie legt neue digitale Defizite in Deutschland frei“, kritisierte Bitkom-Präsident Achim Berg am Dienstag und stellte die Ergebnisse zweier repräsentativer Umfragen des Digitalverbands unter jeweils mehr als 1000 Menschen ab 16 Jahren vor. Eine befasst sich mit der Corona-Warn-App und wurde im Januar durchgeführt; jene von Anfang Februar dreht sich um die Impfung. Die Ergebnisse offenbaren enorme Defizite.

Wie läuft das Impfmanagment?

Fast jeder Zweite der Befragten hat bis Anfang Februar versucht, einen Impftermin für sich oder jemand anders zu organisieren, aber nur sechs Prozent ist das reibungslos gelungen. Viele sind an überlasteten Hotlines oder Buchungsplattformen gescheitert – und haben dabei Dutzende Versuche unternommen. 37 Prozent haben nach 50 Anläufen aufgegeben. Fast jeder Dritte hat es über 50 Mal versucht, fünf Prozent sogar über 100 Mal. „Dieses Chaos bei der Terminvergabe ist einer High-Tech-Nation wie Deutschland absolut unwürdig“, sagte Achim Berg.

Inakzeptabel sei auch die Tatsache, dass nirgendwo zentral Daten vorlägen, welche Impftermine mit den Bürgern für die kommenden Wochen vereinbart wurden. In fünf Bundesländern – Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt – werde ein Dienst der Kassenärztlichen Vereinigung genutzt. „Das hat dort überhaupt nicht gut funktioniert“, sagte Berg.

In Berlin und Schleswig-Holstein seien mit Doctolib und Eventim hingegen private Anbieter beauftragt worden. Frankreich verwende Doctolib landesweit und verfüge damit über einen viel besseren Überblick.

Wollen die Menschen einen Impfpass?

Der Verband Bitkom setzt sich dafür ein, parallel zum klassischen gelben Impfbuch eine App einzuführen, mit der ein Impfnachweis möglich ist. Mit einer digitalen und effizienten Verarbeitung von Patientendaten könnten die Menschen an notwendige Auffrischungen einfach erinnert werden. Es sei möglich, Nebenwirkungen systematisch zu erfassen.

Außerdem könnten so dringend notwendige Informationen zu eventuellen Neuinfektionen und Krankheitsverläufen gesammelt werden. Zwei Drittel der Menschen in Deutschland wollen laut den Umfragen tatsächlich einen digitalen Impfpass nutzen. 33 Prozent lehnen ihn ab.

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Die Befürworter wollen damit schnell nachweisen können, dass sie geimpft sind – etwa bei Veranstaltungen oder Reisen. Ein weiteres Argument ist, den Impfpass auf dem Smartphone immer griffbereit zu haben. Bei Skeptikern steht vor allem die Sorge vor einem mangelnden Datenschutz im Vordergrund (60 Prozent). Fast jeder Dritte mit Vorbehalten besitzt zudem gar kein Smartphone oder Tablet.

Generell plädiert die Mehrheit der Befragten dafür, dass der digitale Impfpass nicht erst 2022, sondern schon jetzt eingeführt wird. Nur ein gutes Drittel spricht sich allerdings dafür aus, dass Geimpfte bestimmte Freiheiten früher zurückerhalten als andere.

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Wird die Corona-App genügend genutzt?
Jeder Dritte ab 16 Jahren hat die Corona-App laut Bitkom bereits installiert, weitere 17 Prozent wollen dies künftig tun. Das entspricht 33 Millionen Menschen in Deutschland. Im Juli 2020 galt dies für 28 Millionen. 46 Prozent nutzen die Corona-Warn-App hingegen nicht. Jeder Fünfte, weil er kein Smartphone besitzt. Die übrigen wollen nicht.

Das könnte sich ändern, wenn die Corona-Warn-App über weitere Zusatzfunktionen verfügt: 63 Prozent der Nicht-Nutzer wünschen sich deutlichere Hinweise, wenn sich Infizierte in ihrer Nähe aufhalten. Mehr als jeder Zweite möchte automatische Push-Mitteilungen über den aktuellen Stand des eigenen Risikos erhalten und 46 Prozent Informationen zum Ort einer Risikobegegnung. Jeder fünfte Smartphone-Nutzer, der die App nicht gebrauchen will, würde es sich anders überlegen, wenn er bei Warnungen kurzfristig einen Corona-Testtermin buchen könnte.

Insgesamt sind 85 Prozent aller Befragten der Meinung, die App sollte in ihrer Funktionalität erweitert werden, um die Gesundheitsämter zu unterstützen. „Die Ausbreitung des Coronavirus können wir nicht mit Fax, Bleistift und überlasteten Telefonhotlines verhindern, sondern mit Datenplattformen, einer bundesweit einheitlichen digitalen Organisation von Impfterminen und einer Corona-Warn- App, deren Potentiale besser ausgeschöpft werden“, sagte Berg.

Entwicklung der Fallzahlen
Entwicklung der Fallzahlen

© Tagesspiegel

Wie soll die App verbessert werden?

Um mehr Informationen zu möglichen Ansteckungsorten zu bekommen, soll es in der nächsten Version eine freiwillige Datenspendefunktion geben. Diese soll möglichst im März integriert werden, heißt es in Regierungskreisen. Zudem wird an einer Möglichkeit zur Eventregistrierung per QR-Code gearbeitet, mit der über die App auch Risikobegegnungen in geschlossenen Räumen besser aufgezeichnet werden können, bei denen der Abstand größer als der jetzt aufgezeichnete ist. Diese Funktion könnte nach Ostern kommen.

Falls dann Restaurants wieder öffnen, wird sie die üblichen Registrierungslisten oder Check-In-Apps wie „Luca“ aber nicht ersetzen können, da in der Corona-Warn-App aus Datenschutzgründen keine persönlichen Kontaktinformationen hinterlegt werden. Zudem sähen die Infektionsschutzverordnungen in manchen Bundesländern ausdrücklich vor, dass diese Listen auf Papier geführt werden müssten.

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Bislang informiert die App ihre Anwender, wenn sie sich zehn Minuten oder länger in der Nähe einer Person aufgehalten haben, bei der später eine Infektion mit dem Virus festgestellt wurde. Dieser Zeitraum wird demnächst auf fünf Minuten verkürzt, hieß es am Montag seitens der Bundesregierung. Ein Grund dafür sind die Mutationen des Virus.

Mit dem letzten Update war dafür gesorgt worden, dass die App auch auf älteren Apple-Geräten läuft. Einen noch größeren Nutzerschub könnte es geben, wenn die App auch Menschen mit alten Mobiltelefonen oder ganz ohne zur Verfügung stünde – etwa durch einen Schlüsselanhänger oder ein Armband.

Wozu rät der Bitkom noch?

Der Verband unterstützt die schnelle Einführung der Software „Sormas“ zur Kontaktverfolgung, die bis Ende Februar in allen 376 Gesundheitsämtern im Einsatz sein sollte. Dieses Ziel wird voraussichtlich verfehlt. „Infizierte und deren Kontaktpersonen mit selbstgestrickten Excel-Listen oder gar Handnotizen zu dokumentieren, bindet unnötige Ressourcen und kostet vor allem Zeit – Zeit, die wir jetzt kurz vor einer womöglich dritten Pandemiewelle nicht haben“, betonte Bitkom-Präsident Berg.

Bund und Länder hätten aus seiner Sicht den verhältnismäßig ruhigen Sommer dazu nutzen sollen, um die Einführung einer gemeinsamen Plattform voranzutreiben.

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