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Kochsendungen wecken zu hohe Erwartungen, sagen Arbeitgeber. Der DGB erwidert: Die Azubis werden mies bezahlt.

© imago/blickwinkel

Abbruch der Ausbildung: In Berlin wirft jeder dritte Auszubildende hin

In Deutschland löst jeder vierte Lehrling seinen Vertrag vorzeitig auf. In Berlin ist die Quote noch höher. Die Gründe: zu wenig Geld – und falsche Vorstellungen.

Alle paar Tage fragt sich Anna W., warum sie überhaupt noch duscht. Bis sie die Farbe aus ihren langen, schwarzen Haaren ganz raus gewaschen hat, vergeht eine halbe Stunde. Legt sie sich um 19 Uhr hin, tut der Rücken der 22-Jährigen so weh, dass sie manchmal Schmerztabletten nimmt. Seit zwei Jahren macht sie eine Ausbildung zur Malerin in Berlin. „Ich maloche richtig gern“, sagt sie. „Aber ich bin abends so fix und fertig, mache deswegen nichts mit Freunden, habe kein Hobby, dass es mich nicht wundert, dass viele ihre Lehre abbrechen.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat unter Berufung auf einen Entwurf des Berufsbildungsberichts 2018 berichtet, dass in Deutschland mehr als jeder vierte Lehrling seinen Ausbildungsvertrag frühzeitig auflöst. In Berlin tut das sogar jeder dritte, wobei es je nach Branche erhebliche Unterschiede gibt: Im öffentlichen Dienst gehen acht von hundert vor Ende. In der Industrie und im Handel sind es fast so viele wie im Durchschnitt. Im Handwerk bricht fast die Hälfte ab.

Bundesweit liegt der Anteil mit 25,8 Prozent erstmals über den seit Anfang der 90er Jahre üblichen Quoten von 20 bis 25 Prozent, heißt es. Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund ist das Risiko besonders hoch, wenn die Vergütung besonders niedrig ist – wie etwa in Restaurantküchen und Friseursalons. „Wir haben schon Lehrer sagen hören, dass sie ganze Klassen schließen mussten, weil so viele angehende Friseurinnen recht bald wieder gekündigt haben“, sagt Marcel Voges, der Jugendbildungsreferent für Berufsschularbeit beim DGB Berlin-Brandenburg ist.

DGB fordert Mindestlohn für Azubis

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack fordert die Bundesregierung deswegen auf, den geplanten Mindestlohn für Azubis zügig durchzusetzen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht geschrieben, dass dieser zum 1. Januar 2020 in Kraft treten soll. Der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger wies darauf hin, dass sich viele Lehrlinge mit einem Monatsgehalt zwischen 250 und 600 Euro in Städten wie Stuttgart oder München kaum noch adäquaten Wohnraum leisten könnten.

In dem Entwurf des Berufsbildungsberichts werden verschiedene Gründe für die hohe Auflösungsquote genannt: Konflikte mit Vorgesetzten, eine mangelnde Ausbildungsqualität, falsche Berufsvorstellungen. Anna W. kann die ersten beiden Punkte bestätigen. Sie ist bei einem anderen Malerbetrieb nach anderthalb Jahren gegangen, weil ihr Chef ein Choleriker war, der sie so verängstigte, dass sie vor dem Einschlafen Herzklopfen hatte, wenn sie an den nächsten Tag dachte.

Mit dem Wechsel ist das Rumschreien verschwunden, aber die Überstunden sind geblieben. Ebenso die Blicke, die sexistischen Kommentare mancher Männer auf Baustellen. „Ich ziehe mir immer mehrere T-Shirts übereinander an, damit sie bloß nichts anstarren können, wenn ich mich mal bücke“, erzählt Anna W. Ihr Freund studiert. „Ich weiß, dass er in seinem Leben viel größere Sprünge machen wird als ich“, sagt sie noch. „Wenn ich sage, dass ich eine Ausbildung mache, werde ich gefragt, ob ich lesen kann.“

Unternehmen benennen andere Gründe

Die Unternehmen sind sich keiner Schuld bewusst. Über die Hälfte der Vertragslösungen seien zunächst einmal keine endgültigen Abbrüche, sondern würden mit einem Wechsel des Betriebes oder des Berufs einhergehen. Der tatsächliche Anteil an Abbrüchen liegt laut dem Arbeitgeberverband bei rund zwölf Prozent und damit unter den 29 Prozent im Hochschulbereich. „Der vom DGB suggerierte Zusammenhang von Ausbildungsvergütung und Vertragslösungsquote besteht keineswegs“, sagt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Eine Art Mindestlohn für Lehrlinge lehnen die Wirtschaftsverbände als Eingriff in die Tarifautonomie ab.

Als weitere Ursachen nennen Betriebe die vielen Alternativen auf Grund der derzeit guten wirtschaftlichen Situation, die mangelnden Leistungen der Auszubildenden und ihre fehlende Motivation. Dazu kämen noch die falschen Berufsvorstellungen. „Mit dem, was ein Koch in einer Fernsehshow macht, hat die Realität herzlich wenig zu tun“, sagt ein Ausbilder aus der Gastronomie.

Insgesamt sieht der Berufsbildungsbericht die Lage am Ausbildungsmarkt „leicht positiv“. Die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge bis zum Stichtag 30. September 2017 stieg demnach mit mehr als 520 000 leicht an. Angebot und Nachfrage passten jedoch oft nicht zusammen: Die Zahl der unbesetzten Stellen wuchs um fast 13 Prozent auf etwa 49 000, so viele wie seit 1995 nicht mehr. Zugleich blieben knapp 24 000 Bewerber ohne Ausbildungsplatz. Immer mehr Betriebe bilden dem Bericht zufolge gar keine Lehrlinge mehr aus, obwohl sie dazu berechtigt wären. Ihre Quote stieg erstmals auf mehr als 80 Prozent. Vor allem kleinere Firmen würden dies nicht mehr tun, weil sie keine Azubis mehr finden würden. Das Bildungsministerium erklärte, den Bericht erst „in seiner vollständigen Form“ zu kommentieren. Die Beschlussfassung im Kabinett werde „demnächst“ stattfinden.

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