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Wirtschaft: Absprung verpasst - Das große Spiel mit den Aktien hat jeden von uns längst eingeholt (Kommentar)

Es gibt eigentlich nur noch sehr wenige Menschen, mit denen ich mich gerne unterhalte. Der Axel ist einer davon.

Es gibt eigentlich nur noch sehr wenige Menschen, mit denen ich mich gerne unterhalte. Der Axel ist einer davon. Erst neulich hat er mir wieder erzählt, wie sein kleiner dicker Bankbeamter ihm einen Aktien-Tipp zuschanzte: Eine dieser neuen Internet-Firmen geht an die Börse, gleich kaufen, nicht weitersagen. Normalerweise, bei anderen Leuten, weiß ich dann schon, wie die Geschichte weitergeht: Du, ich habe nur für ein paar hundert Mark gekauft, mein Gott, hätte ich nur mehr angelegt, um 7000 Prozent ist die nach oben geschossen, was meinst Du, soll ich jetzt verkaufen ...? Beim Axel sah die Sache wie immer anders aus, seine Firma ist nicht so durchgestartet, im Gegenteil. Die letzte Auskunft des kleinen dicken Bankers war, er solle sich keine Sorgen machen um sein Geld, die Firma habe nur erste Anlaufschwierigkeiten. Axel, das wird schon.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde den Umgang mit Menschen, die, sagen wir mal, im Leben gelegentlich ein wenig stolpern, höchst anregend. Was gibt es Amüsanteres, wenn jemand ausführlichst von seinen Urlaubskatastrophen berichtet: Gepäck weg, Kreditkarte gesperrt und dann war plötzlich das Kind verschwunden.

Im Zusammenhang mit der Börse hörte man bis vor kurzem dauernd von Menschen, bei denen alles großartig läuft. Die reich werden, die plötzlich Häuser kaufen oder Schiffe bauen, die sich charakterlich verändern. Und ich kannte fast niemanden, eigentlich nur einen (Axel), bei dem es nicht so großartig lief. Gut, in den letzten Wochen hat sich die Lage ein wenig verändert, da las man von Milliardären, die über Nacht ein paar Millionen verloren haben. Aber wirklich befreit hat mich das auch nicht aus meinem Dilemma, in dem ich stecke.

Ich bin nämlich weder das eine noch das andere: Ich spiele nicht an der Börse, gehöre aber auch nicht zu denen, die es ablehnen, etwa aus moralischen Gründen, dann wäre es leichter. Nee, rein von der Theorie her wäre ich gerne bei den Spekulanten dabei, bei den Siegern. Aber irgendwie habe ich den Absprung verpasst. Vor der Asienkrise sagte meine Bank, wir würden Ihnen da ein Aktienpaket empfehlen. Nee, dachte ich, wenn eine Bank schon mal was empfiehlt. Während der Asienkrise sagte meine Bank, jetzt nicht. Ok, sagte ich. Nach der Asienkrise sagte meine Bank, jetzt ... Ich dachte schlapp: Wäre es früher nicht besser gewesen?

Kennen Sie dieses blöde Gefühl? Immer nur gewartet zu haben. Weiß man doch, wie das sonst so im Leben ist: Je länger man wartet, desto weniger macht man es. Einmal war ich ganz nahe dran. Ein älterer Kollege kam von einer Taiwan-Recherche zurück, fragte, ob ich für 3000 Mark Aktien einer ganz gesunden Gummifabrik kaufen will. Ja, sagte ich. Doch dann, meinte der Vorsichtige, wir sollen noch warten. Nun ja, heute hat sich der Wert dieser Gummi-Aktien versiebenfacht. Ich habe meinen Kollegen in Verdacht, dass er ohne mich zugeschlagen hat.

Weil ich immer nur gewartet habe, darf ich hier jetzt schreiben in dieser Börsenkolumne. Als einer, der von außen auf die Finanzwelt blickt. Von außen. Und der sich dabei inzwischen eher heimlich fragt, wann er nun angreift. Der Neue Markt, hat Axel gesagt, soll bald wieder interessant werden.Der Autor ist Redakteur dieser Zeitung.

Stephan Lebert

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