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Abwanderung: Immer weiter rübermachen

20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Abwanderung aus Ostdeutschland noch nicht gestoppt. Auch die Geburtenzahlen sinken.

Berlin - Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall ziehen mehr Menschen von Ost- nach Westdeutschland als umgekehrt. Im vergangenen Jahr wanderten 136 500 Menschen nach Westen, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Vom Westen in den Osten zogen dagegen nur 85 500. Unter dem Strich verloren die ostdeutschen Bundesländer in einem Jahr damit 51 000 Bewohner. Im Jahr zuvor waren es 54 800. Insgesamt zogen seit 1991 etwa 1,1 Millionen Einwohner vom Osten in den Westen Deutschlands. Wanderungen von und nach Berlin erfasst die Statistik nicht.

Wichtigster Grund für die Wanderungsbewegung sind die nach wie vor schlechteren Rahmenbedingungen in Ostdeutschland. Nach einer Studie des Münchner Ifo-Instituts liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf im Osten nur bei rund 71 Prozent des Westniveaus, und die Arbeitslosigkeit ist etwa doppelt so hoch. Zudem sind die Firmen laut Ifo kleiner, kaum exportorientiert und vergleichsweise schwach bei Forschung und Entwicklung. Rund ein Fünftel der Binnennachfrage im Osten wird durch Zahlungen vom Bund, den westlichen Ländern und den Sozialversicherungen finanziert.

Ökonomen warnen allerdings vor einer pauschalen Betrachtung. „Es gibt nicht den Osten“, sagte Alexander Kubis vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), dem Tagesspiegel. In einigen Regionen und Branchen sei Ostdeutschland wettbewerbsfähiger als der Westen der Republik – etwa in der Chemieindustrie. Andere Wirtschaftszweige – etwa die Halbleiter- und die Automobilindustrie in Sachsen – seien von der Rezession ebenso hart getroffen worden wie in anderen Regionen. Gleichwohl seien das insgesamt niedrigere Einkommensniveau und die schlechteren Ausbildungschancen gerade für jüngere Ostdeutsche Gründe, nach Westen zu ziehen. Mit Sorge sieht der IWH-Experte deshalb die demografische Entwicklung. „Die größten Probleme kommen erst noch“, sagte Kubis. Weil die starken Nachkriegsjahrgänge bald in Rente gingen, viele Jüngere den Osten verließen und die Geburtenrate niedrig sei, werde sich der Fachkräftemangel künftig verschärfen. „Im Westen ist der Geburtenknick nicht so dramatisch“, sagte Kubis.

Gut jeder fünfte Wegziehende aus den neuen Ländern siedelte nach Bayern um. Niedersachsen liegt auf Platz zwei, gefolgt von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Nach absoluten Zahlen kamen die meisten Abwanderer aus Sachsen, die wenigsten aus Brandenburg. Gemessen an der Einwohnerzahl war hingegen in Mecklenburg-Vorpommern die Abwanderung am stärksten.

Erstmals verloren die Ost-Länder 2008 gleich viele Männer und Frauen. In allen Jahren zuvor waren mehr Frauen abgewandert. „Frauen hatten nach der Wende deutlich schlechtere Ausbildungs- oder Aufstiegschancen und haben es im Westen versucht“, erklärt IWH-Forscher Kubis die Entwicklung. Inzwischen hätten sich Ost und West hier angeglichen.

Gesamtwirtschaftlich sei die deutsch- deutsche Konvergenz allerdings nicht absehbar. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 sollen die neuen Bundesländer finanzpolitisch eigentlich weitgehend auf eigenen Beinen stehen. Kubis ist skeptisch: „Der Osten wird weiter von enorm hohen Transferleistungen aus dem Westen angewiesen sein.“

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