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Wirtschaft: Adler mit Atemnot

Auf den neuen Kanzler wartet viel Arbeit. Doch Geldmangel und Reformgegner engen seinen Spielraum stark ein

Von Carsten Brönstrup,

Cordula Eubel

und Antje Sirleschtov

Noch eine Woche bis zur Wahl – und danach wird im Land alles anders. Das zumindest stellen uns der Kanzler und der Kandidat in Aussicht. Doch mit konkreten Reformversprechen halten sie sich zurück. Nicht nur aus Angst vor dem Wähler. Beide wissen, dass die Kassenlage des Staates noch nie so dramatisch war wie heute. Wegen des kargen Wachstums wird sich daran so schnell nichts ändern. Um die Kriterien des Maastricht-Vertrages auch nur annähernd einzuhalten, müssen Bund, Länder und Gemeinden bis 2004 rund 20 Milliarden Euro sparen – eine kaum lösbare Aufgabe.

Deshalb steht eine lange Reihe von Reformen in der kommenden Wahlperiode an. Der Staat muss seine Ausgaben drücken und die Sozialsysteme umbauen, damit die Lohnnebenkosten sinken. Arbeitslosenversicherung, Arbeitsämter, Gesundheit. womöglich die Rente – das sind die zentralen Baustellen. Weil keine Reform etwas kosten darf, ist zähes und kompetentes Minister-Personal erforderlich. Bei den wahrscheinlichen Koalitions-Konstellationen hat dabei je nach Politikfeld mal ein rot-grüner Minister, mal ein schwarz-gelber Kandidat bessere Chancen auf Durchsetzung seiner Ideen.

Kann Gerhard Schröder nach der Wahl die Koalition fortsetzen, setzt er bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik personell auf Kontinuität. Auf Hans Eichel, dem er mit dem Sparkurs viel Lob zu verdanken hat, mag er nicht verzichten. Bei einer CDU-Regierung ist unklar, wer Finanzminister würde. Friedrich Merz ist zwar – inoffiziell – als Finanzminister gesetzt, und das Staatsgeld zusammenhalten könnte er wohl ähnlich gut wie Eichel. Doch jeder weiß, dass Merz lieber Fraktionschef bliebe. Also könnte Hermann-Otto Solms von der FDP ins Spiel kommen.

Ein Kanzler Schröder würde auch bei den Ressorts Wirtschaft und Arbeit auf bewährte Leute zurückgreifen. Wirtschaftsminister Werner Müller soll und will weiterhin amtieren, ebenso Arbeitsminister Walter Riester. Nachdem der Kanzler in den vergangenen Monaten dessen Bereich Arbeitsmarkt zum Chefthema gemacht hatte, glaubten viele, Riester sei abgemeldet. Doch vergangene Woche bestätigte Schröder beim TV-Duell klar: Der Ex-IG-Metall-Vize wird Minister. Offenbar will sich Schröder so die Gunst der Gewerkschaften für anstehende Arbeitsmarkt-Grausamkeiten sichern. Ein Ersatz für Riester ist in der SPD nicht in Sicht. Florian Gerster, früher als Gesundheits- oder Arbeitsminister gehandelt, muss die Bundesanstalt für Arbeit leiten. Und VW-Personalchef Peter Hartz hat keine Lust auf Politik.

Wird Edmund Stoiber Kanzler, kommt Lothar Späth als Wirtschafts- und Arbeitsminister zum Zuge. Das hat der Kandidat zur Bedingung für seinen Antritt gemacht. Die Gerüchte, denen zufolge Späth doch kein Minister werden will, ließ diese Klarstellung aber nicht verstummen. Bei der Wirtschaft kommt der Schwabe gut an. Die Gewerkschaften, deren Ja zu Arbeitsmarkt-Reformen unverzichtbar scheint, haben sich allerdings schon auf ihn eingeschossen.

Rätseln um das Gesundheits-Ressort

Dagegen scheint eine Unionsregierung beim Thema Gesundheit die besseren Karten in puncto Personal zu haben. Horst Seehofer kennt das Terrain bereits, weil er das Ressort unter Helmut Kohl leitete. Deshalb hat er bei den mächtigen Lobbyisten, besonders bei Pharma-Industrie und Ärzten, gute Karten und kann sie für einen Umbau des Systems ins Boot holen. Dass FDP-Lautsprecher Jürgen W. Möllemann seine Ambitionen auf das Ministeramt wird durchsetzen können, gilt als unwahrscheinlich.

Noch völlig offen ist bei der SPD, wer den Gesundheitssektor betreuen würde. Ob die glücklose Ulla Schmidt noch einmal antreten darf, bezweifeln viele – sie konnte die Finanzprobleme der Kassen nicht lösen. Gelegentlich zu hören ist der der NRW-Gesundheitsministerin Birgit Fischer. Als ihr größtes Manko gilt aber, dass sie über die Landesgrenzen hinaus kaum bekannt ist.

Und der Kanzler selbst? Ihm wirft Kandidat Stoiber stets vor, Deutschland sei das Wachstums-Schlusslicht in Europa. Tatsächlich wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) unter Schröder im Schnitt nur um zwei Prozent, Helmut Kohl kommt auf nahezu den gleichen Wert. Schlusslicht im Wachstumsvergleich aller Kanzler ist Helmut Schmidt – er brachte es im Mittel nur auf 1,7 Prozent. Um die Sorgen des Landes zu lösen, wären eher Zuwächse wie bei Brandt (4,0) oder Erhard (4,4) nötig. (Bildmontage: Mario Roth)

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