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Adventssonntage: Ladenöffnungsurteil: Mit der höchsten Instanz

Die großzügige Regelung zur Ladenöffnung an Sonntagen im Land Berlin ist teilweise verfassungswidrig. Welche Auswirkungen hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Der Sonntagsschutz war bisher ein Randthema im Verfassungsrecht. Mit ihrem Spruch vom Dienstag haben die Richter es wiederbelebt. „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“, hieß es im Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung, der über Artikel 140 Grundgesetz auch Bestandteil der Verfassung der Bundesrepublik geworden ist. Der Sonntagsschutz ist ein Unikum in den EU-Verfassungen, mit mehr als 100 Jahren Rechtstradition. Ursprung war das Anliegen von Sozialdemokraten und Kirchen, Arbeitspausen für den Kirchenbesuch und zum Ausruhen zu schaffen. Juristisch betrachtet ist der Sonntag eine sogenannte Institutsgarantie, die sich mit einem Auftrag des Staates verbindet. Das Verfassungsgericht hatte dem Artikel in früheren Urteilen die Funktion zugesprochen, sowohl Ausgleich vom Alltag zu ermöglichen als auch der „religiösen und seelischen Erhebung“ zu dienen.

Was bedeutet der Sonntagsschutz für den Ladenschluss?

Traditionell hat der Gesetzgeber erhebliche Spielräume. Der freie Sonntag müsse die Regel bleiben, Ausnahmen seien zulässig, hatte das Gericht mehrfach entschieden. Auch am Streichen des Buß- und Bettages störte sich das Gericht ausdrücklich nicht. Nur ein „Kernbestand“ des Sonntags müsse unantastbar bleiben.

Was hat der Sonntagsschutz mit Religion zu tun?

Mit dem Urteil vom Dienstag haben die Verfassungsrichter erstmals entschieden, dass der Sonntagsschutz auch subjektive Rechte begründet und man ihn als Argument nehmen kann, im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe zu ziehen. Hier waren es die Kirchen, die sich auf die Religionsfreiheit beriefen. Es liege zwar kein direkter Eingriff vor, allerdings gebiete die Religionsfreiheit, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung zu sichern, hieß es. Dem Sonntagsschutz sei „ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, der mit einer dezidiert sozialen, weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergeht“. Vor diesem Hintergrund seien Sonntagsöffnungen nur Aufgrund von Shopping- oder Umsatzinteressen der Geschäfte unzulässig. Besonders wenn die Läden mehrere Sonntage nacheinander öffnen dürften, sei die kritische Grenze überschritten.

Warum hat Berlin das bundesweit liberalste Gesetz?

Berlin war 2006 das erste Bundesland, das ein liberales Ladenöffnungsgesetz verabschiedete. An Werktagen fiel der Ladenschluss komplett weg und auch bei den Sonntagen wurde die weitreichendste Regelung getroffen. „Wir haben lange um die Kompetenz dafür gekämpft“, sagte am Dienstag der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Erst durch die Föderalismusreform war die Hoheit über den Ladenschluss vom Bund auf die Länder übergegangen. Der wirtschaftsfreundlichen Entscheidung des rot-roten Senats stimmten seinerzeit auch der Großteil der Opposition, der CDU und der FDP, zu. Lediglich die Grünen und einige Abgeordnete der CDU stimmten dagegen. Der Senat wollte mit dem Gesetz die Wirtschaftskraft der Stadt und die Funktion als Dienstleistungsmetropole stärken. Auch wollte man die Attraktivität im internationalen Tourismus erhöhen. „Wir waren damit ja auch erfolgreich“, sagte Wowereit. Leute, die sonst vielleicht nach London oder New York zum Shopping gefahren wären, seien in den vergangenen Jahren auch nach Berlin gekommen.

Über Bedenken der Kirchen und der Gewerkschaften setzte sich der Senat hinweg. Der Schutz des Sonntags sei genügend beachtet ebenso wie die Belange der Kirchen. Ausdrücklich verwies man seinerzeit darauf, dass beispielsweise Sonn- und Feiertage wie Karfreitag, Ostern, Totensonntag oder die beiden eigentlichen Weihnachtsfeiertage ausgeschlossen seien.

Wie wirkt sich das Urteil auf die anderen Bundesländer aus?

Theoretisch haben auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg alle vier Adventssonntage für den Handel freigegeben. Diese Gesetze sind nun verfassungswidrig. Denn die Einwände der Karlsruher Richter richten sich vor allem gegen eine flächendeckende Ladenöffnung an mehreren Sonntagen hintereinander. Seit der Föderalismusreform von 2006 haben alle Länder bis auf Bayern den Ladenschluss durch Gesetze geregelt. Zumeist sind nur an vier Sonn- und Feiertagen Ladenöffnungen ausnahmsweise erlaubt (siehe Grafik).

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte am Dienstag, es gebe keinen Grund, jetzt pauschal alle Ladenöffnungsgesetze auf den Prüfstand zu stellen. Sie sagte aber auch, dass sich an dem Urteil weitere Überlegungen zur Ausweitung der Ladenöffnungszeiten orientieren müssten.

Die beiden großen Kirchen in Norddeutschland äußerten die Erwartung, dass nach dem Urteil auch die „Bäderregelungen“ in den Tourismusregionen geprüft werden müssten. Die Bäderregelung in Mecklenburg-Vorpommern erlaubt in Tourismusregionen eine Ladenöffnung an bis zu 44 Sonntagen im Jahr, in Schleswig-Holstein an 45 Sonntagen und mehreren Feiertagen.

Auch Frankreich hat über Sonntagsöffnungen gestritten. Mit welchem Ergebnis?

Um seine Idee großzügiger sonntäglicher Ladenöffnungszeiten zu rechtfertigen, erzählt Frankreichs Präsident gern folgende Anekdote. Michelle Obama war zu Besuch in Paris und wollte Klamotten für ihre Töchter erstehen. Doch es war Sonntag. So griff Nicolas Sarkozy zum Telefon und veranlasste den Inhaber eines Geschäfts für luxuriöse Kinderkleidung, seine Boutique ausnahmsweise für die First Lady der USA zu öffnen.

Inzwischen sollte sich solch ein Anruf erübrigen. Durch ein neues Gesetz sind die sonntäglichen Geschäftszeiten weiter liberalisiert worden. Im Prinzip waren sie davor schon unbegrenzt, ein eigentliches Ladenschlussgesetz gibt es nicht. Jedes Geschäft kann an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr öffnen, vorausgesetzt der Inhaber arbeitet allein. Beschäftigt er Angestellte, greift das Arbeitsrecht. Das garantiert jedem Arbeitnehmer einen wöchentlichen Ruhetag, in der Regel den Sonntag. Davon gab es schon immer Ausnahmen etwa für Bäckereien oder Metzgereien, die ihren Ruhetag dann an einem anderen Tag einlegten. Geschäfte in großen urbanen Zonen oder Touristenzentren genossen ebenfalls Ausnahmen. Diese sind durch das neue Gesetz erweitert worden. Die großen Pariser Kaufhäuser konnten bisher schon an bestimmten Feiertagen und den Sonntagen vor Weihnachten öffnen.

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