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Wirtschaft: Ärzte warnen vor schlechterer Patientenversorgung

Mediziner klagen über Kostendruck bei Arzneimitteln und sehen für bestimmte Krankheiten einen Mehrbedarf in Milliardenhöhe

Berlin - Auf Grund der „strikten Sparvorgaben“ durch die Politik sehen die Kassenärzte die Patientenversorgung in Gefahr. Noch bekomme jeder Kranke das, was er braucht, sagte der Vize-Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Leonhard Hansen, am Dienstag in Berlin. Allerdings befänden sich die Mediziner bereits in einem „schwierigen Spagat zwischen Kostendruck und Sicherstellung einer optimalen Versorgung“, sagte Hansen und warnte: „Wir schlittern mehr und mehr in Richtung Rationierung.“ Eine Einschätzung, der das Gesundheitsministerium sogleich widersprach: Unterversorgung oder Rationierung drohten nicht, sagte Sprecher Klaus Vater. Durch die Gesundheitsreform werde genau diese Gefahr vermieden.

Während Pharmakologen wie der Heidelberger Ulrich Schwabe bei Arzneimitteln noch jede Menge Sparpotenzial sehen, macht die Ärztelobby eine andere Rechnung auf. „Wären wir Zyniker, müssten wir sagen: Gott sei Dank kommen nicht alle Behandlungsbedürftigen zum Arzt“, so Hansen. Würden aber alle nach Leitlinien therapiert, ergebe sich allein bei sieben ausgewählten Krankheiten und „bei vorsichtigster Berechnungsweise“ ein Mehrbedarf von 2,24 Milliarden Euro.

Der dickste Brocken sind koronare Herzkrankheiten, laut Hansen der häufigste Grund für Frühverrentung: Für die derzeit 3,3 Millionen Patienten fehlten 864 Millionen Euro. Bei der Knochenkrankheit Osteoporose kommt die KBV auf eine Lücke von 590, bei der Therapie von Depressionen auf 442 Millionen Euro. Asthma-Kranke benötigten 123 Millionen Euro mehr, Alzheimer-Patienten 88 Millionen, und zur Therapie von Tumorschmerzen fehlten 80 Millionen Euro.

Um zu zeigen, wie medizinischer Fortschritt ins Geld geht, haben die Ärzte auch den Mehrbedarf für eine seltene Krankheit namens Mucopolysaccharidose berechnet. 232 Patienten mit dieser Diagnose gibt es in Deutschland, jeder fünfte ist neuerdings behandelbar. Kostenbedarf für 2004: 56,2 Millionen Euro. „Da wird einem schwindlig“, sagt Hansen. Und dass man angesichts solcher Dimensionen wohl schon bald nicht mehr um die ethische Diskussion herumkomme, was und in welcher Form auf Kosten der Allgemeinheit behandelt werden müsse.

Einsparpotenzial jedenfalls gebe es bei den Ärzten kaum noch, behauptet der KBV-Vize. „Die Sparzitrone Arzneimittelverordnungen ist fast ausgequetscht.“ Bei der Verschreibung günstiger Nachahmerpräparate etwa, der so genannten Generika, seien deutsche Ärzte längst „Weltmeister“. Allerdings seien die Preise dafür immer noch viel zu hoch – in den USA kosteten Generika gerade mal die Hälfte.

In diesem Zusammenhang appellierte Hansen an die Politiker, die Pharmaindustrie stärker an die Kandare zu nehmen. Im Streit um die Zulässigkeit von Festbeträgen auch für patentgeschützte Arznei etwa müsse die Regierung hart bleiben. Wenn die Ministerin hier noch einknicke, müssten dies womöglich andere ausbaden: die Patienten.

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