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Agentur für Arbeit: Mitarbeiter flüchten aus Jobcentern

Den Jobcentern, die für die Betreuung der fast sieben Millionen Empfänger von Hartz IV in Deutschland zuständig sind, laufen die Mitarbeiter davon. Wegen der ungeklärten Zukunft der Behörden ist die Fluktuation unter den Beschäftigten enorm hoch.

Berlin - „Die Wechselquote liegt zwischen 20 und 30 Prozent“, sagte Anja Huth, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit, dem Tagesspiegel. Das heißt: Übers Jahr gesehen sucht sich im schlechtesten Fall fast jeder dritte Mitarbeiter einen neuen Job.

Das beeinträchtigt die Arbeit. Denn die Neuen, die an die Stelle der erfahrenen Kollegen treten, müssen erst einmal geschult werden. In Crashkursen von vier bis sechs Wochen sollen sie für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen fit gemacht werden. Das ist wenig, um den Umgang mit der oft schwierigen Klientel zu lernen. Auch die Hartz-IV-Empfänger und die Unternehmen müssen sich immer wieder auf neue Betreuer in den Ämtern einstellen. „Kaum haben die Firmen einen Ansprechpartner im Jobcenter, dem sie vertrauen, dann steht schon wieder jemand Neues vor der Tür“, kritisiert Sprecherin Huth.

Schuld an der Misere ist die Politik. Denn die große Koalition hat es in dieser Legislaturperiode nicht geschafft, eine Neuregelung für die Jobcenter zu beschließen. Das ist aber nötig, damit die Behörden, in denen Kommunen und die Bundesagentur unter einem Dach kooperieren, weitermachen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Dezember 2007 die Mischverwaltung für verfassungswidrig erklärt. Kann sich die Politik nicht auf eine Reform der Jobcenter oder auf eine Änderung des Grundgesetzes, wie sie Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) propagiert, einigen, müssen die Jobcenter am 31. Dezember 2010 dichtmachen.

Kein Wunder, dass die Mitarbeiter das Weite suchen. Eigene Angestellte haben die Arbeitsgemeinschaften nicht. Von den rund 60 000 Menschen, die in den Jobcentern arbeiten, kommen etwa 36 000 von der Bundesagentur. Knapp 20 000 sind bei den Kommunen unter Vertrag. Auch von Zeitarbeitsfirmen und der Telekom kommt Personal. Die Personalservicegesellschaft Vivento schickt Ex-Telekom-Beamte bei Bedarf in die Jobcenter.

346 Jobcenter gibt es in Deutschland – davon allein zwölf in Berlin, mit insgesamt 5346 Beschäftigten. Die Arbeitsgemeinschaften sind eines der Herzstücke der letzten Arbeitsmarktreformen. Sie sollen eine Betreuung der Hartz-IV-Empfänger aus einer Hand sicherstellen, die Langzeitarbeitslosen müssen nicht mehr zwischen Sozialamt und Arbeitsagentur hin und her pendeln.

Neben den Arbeitsgemeinschaften gibt es noch zwei weitere Organisationsmodelle: In den 69 Optionskommunen übernehmen Städte oder Kreise die Vermittlung allein, in 22 Kommunen erfüllen Arbeitsagenturen und Gemeinden ihre verschiedenen Aufgaben getrennt voneinander. Nach einer Untersuchung des „Instituts Arbeit und Qualifikation“ der Uni Duisburg-Essen ist das aber keine gute Lösung. Das Versprechen der Hartz-Reformen, „ganzheitliche Dienstleistungen aus einer Hand zu erbringen, kann in der getrennten Aufgabenwahrnehmung nicht eingelöst werden“, heißt es in einem Gutachten vom Mai dieses Jahres.

Weil die Zukunft der Jobcenter ungewiss ist, haben viele der dort Beschäftigten nur einen befristeten Vertrag. Das betrifft beinahe 14 000 der Vermittler. Verständlich, dass sie sich um feste Jobs an anderer Stelle bemühen. Aber auch gut qualifizierte feste Mitarbeiter versuchen, in zukunftssichere Stellen bei der Bundesagentur zu wechseln. Sie haben Angst, dass nach dem Jahr 2010 die Betreuung der Hartz-IV-Empfänger wieder Sache der Kommunen wird und es für sie dort gar keinen oder nur einen schlechter bezahlten Arbeitsplatz gibt.

Die Gewerkschaften fürchten, dass mit einer hohen Fluktuation auch die Qualität der Aufgabenerledigung leidet. „Ein Langzeitarbeitsloser muss meist über längere Zeit intensiv betreut werden, der Vermittler muss ein gewisses Vertrauensverhältnis zu ihm aufbauen. Wenn da der Ansprechpartner wechselt, ist das auch für die Vermittlung der Betroffenen nicht förderlich“, sagte Wilhelm Adamy, Bereichsleiter Arbeitsmarktpolitik beim DGB, dem Tagesspiegel. „Angesichts der Unsicherheit und der enormen Belastung“ sei es verständlich, dass sich ein Teil der Mitarbeiter beruflich neu orientiere, meint der Arbeitsmarktexperte. „Es ist ärgerlich, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode die rechtliche Absicherung der Jobcenter nicht hinbekommt und die Ergebnisse der Begleitforschung nicht einmal diskutiert hat“, kritisiert der Gewerkschafter.

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