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Bedrohte Tierart: Die Bundesregierung will Insekten schützen, indem weniger Pestizide eingesetzt und die Schutzgebiete ausgedehnt werden.

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Agrarpaket der Bundesregierung: "Es soll wieder summen und brummen"

Julia Klöckner und Svenja Schulze einigen sich auf ein Maßnahmenpaket für Tierwohl, Insekten- und Naturschutz. Die SPD ist sauer, die Bauern auch.

Die Ministerinnen sitzen nebeneinander wie beste Freundinnen. Sie hören einander zu, nicken zustimmend, wenn die Kollegin spricht. „Wir verbringen viel Zeit miteinander“, sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). „Wir arbeiten eng zusammen“, betont Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Fast hätten sie es sogar geschafft, im Partnerlook aufzutreten, doch dann beißen sich die Rottöne in Klöckners Blazer und Schulzes Kleid doch.

Man ist freundlich zueinander: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (rechts) und Agrarministerin Julia Klöckner (Mitte) in ungewohnter Einigkeit. Mit auf der Pressekonferenz: Bundesforschungsministerin Anja Karliczek.
Man ist freundlich zueinander: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (rechts) und Agrarministerin Julia Klöckner (Mitte) in ungewohnter Einigkeit. Mit auf der Pressekonferenz: Bundesforschungsministerin Anja Karliczek.

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Zu viel Harmonie hätte vielleicht auch nicht gepasst. Denn Konflikte gab es in der Vergangenheit reichlich – beim Tierwohllabel, beim Düngerecht, dem Einsatz der Fördergelder in der Landwirtschaft oder beim Umgang mit Pestiziden. Während Klöckner stets auch die Interessen der Bauern im Blick hat, geht es Schulze vor allem um die Natur. Doch der Druck, Ökologie und Ökonomie zusammenzubringen, wächst.

Klöckner und Schulze haben die Sommerpause genutzt und sich auf Maßnahmen für mehr Umwelt- und Tierschutz geeinigt. Am Mittwoch billigte das Bundeskabinett das Agrarpaket, das aus drei Teilen besteht: dem Aktionsprogramm Insektenschutz, dem Tierwohllabel und der Umschichtung der Agrarförderung hin zu mehr Umweltschutz. Doch schon jetzt ist klar, dass es Widerstände im Bundestag geben wird – vor allem beim Tierschutzlabel.

Tierschutzlabel: Pflicht oder Kür?

Das geplante Gütesiegel ist eines der Kernprojekte Klöckners. Das dreistufige Tierwohllabel soll zeigen, ob Schweine – später sollen auch Geflügel und Rinder einbezogen werden – von ihrer Aufzucht bis zur Schlachtung besser behandelt worden sind als gesetzlich vorgeschrieben. Um Konflikte mit EU-Recht zu vermeiden, will Klöckner eine freiwillige Lösung und die Bauern beim Umbau ihrer Ställe unterstützen. Schulze hatte lange auf einer verpflichtenden Kennzeichnung bestanden.

ie SPD-Politikerin lenkte jetzt aber ein, weil ihr Ministerium ein weitgehendes Mitspracherecht bei den Labelkriterien bekommen soll. Doch ihre Fraktion ist weiter auf Konfrontationskurs. „Wir machen die auf Freiwilligkeit basierende Hochglanzpolitik der Ministerin nicht mit“, kritisierten SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch und der agrarpolitische Sprecher der Fraktion, Rainer Spiering, am Mittwoch Klöckners Plan. Die Grünen-Bundestagsfraktion bringt nach Tagesspiegel-Informationen in der nächsten Woche einen Antrag auf ein verpflichtendes Tierwohlabel in den Bundestag ein, auch in der CSU gibt es Vorbehalte gegen das Agrarpaket.

Wie haben sie vorher gelebt? Das Tierwohllabel soll Verbrauchern bei der Wahl im Supermarkt helfen.
Wie haben sie vorher gelebt? Das Tierwohllabel soll Verbrauchern bei der Wahl im Supermarkt helfen.

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Klöckners Weg, das Label zunächst auf freiwilliger Basis einzuführen, sich aber im nächsten Jahr auf EU-Ebene für eine verpflichtende Kennzeichnung einzusetzen, stößt nicht nur in der SPD, sondern auch bei Umweltschützern auf Kritik. "Für eine langfristige Planung brauchen Bäuerinnen und Bauern eine gesetzliche Verankerung der Kennzeichnung, sonst kann der Umbau nicht gelingen", mahnt Silvia Bender vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der Tierschutzbund kritisiert, dass die Voraussetzungen für die Einstiegsstufe des geplanten Labels zu niedrig sind. "Die bisher bekannten Kriterien der ersten Stufe verdienen den Beinamen "Tierwohl" nicht", findet der Präsident des Tierschutzbundes, Thomas Schröder.

Niedersachsen, das eine verpflichtende Haltungskennzeichnung fordert, warnte vor einem Stillstand. "Wir starten jetzt mit einem freiwilligen Label, da die Einführung eines verpflichtenden Labels Zeit benötigt", sagte Agrarministerin Barbara Otte-Kinast dem Tagesspiegel. "Bis dahin darf es aber keinen Stand-Still geben. Die Verbraucher möchten beim Kauf Orientierung, die wir gerne anbieten."

In den Läden gibt es vor allem Billigfleisch

„Es ist gut, dass sich die Bundesregierung endlich auf die Einführung des Tierwohllabels geeinigt hat", meint dagegen Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Das geplante, freiwillige dreistufige Tierwohllabel könne aber nur ein erster Schritt sein. "Die Bundesregierung muss Wort halten und das Tierwohllabel so schnell wie möglich verpflichtend machen – und sich auch auf EU-Ebene für die verpflichtende Kennzeichnung einsetzen."

Auslaufmodell: Der Einsatz von Glyphosat soll reduziert werden.
Auslaufmodell: Der Einsatz von Glyphosat soll reduziert werden.

© REUTERS

Die Verbraucherschützer veröffentlichten am Mittwoch das Ergebnis eines Marktchecks zum Fleischkauf im Laden. Während Bundesagrarministerin Klöckner noch um ihr Tierwohllabel kämpft, macht der Handel nämlich bereits seit April Nägel mit Köpfen. Verbraucher können beim Fleischkauf anhand der Haltungskennzeichnung sehen, ob das abgepackte Fleisch gerade einmal den gesetzlichen Mindeststandards (Stufe eins) entspricht oder die Tiere mehr Platz (Stufe zwei), Kontakt zu Außenluft (Stufe drei) oder „Premium“-Verhältnisse (Stufe vier) hatten.

Die Verbraucherschützer hatten gut 1600 Produkte untersucht, Fazit: Bei Discountern und Supermärkten überwiegt das Fleisch der Stufe eins, „weniger als zehn Prozent des Fleischangebotes waren mit Stufe 3 und 4 gekennzeichnet“, kritisiert Britta Schautz, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Berlin.

75 Prozent weniger Glyphosat - zum Schutz der Insekten

Punkt zwei auf der Regierungsliste: der Insektenschutz. Hier sind sich Schulze, Klöckner und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) einig: „Was den Insekten schadet, schadet auch den Menschen“, sagt Schulze. "Es muss wieder mehr summen und brummen". Das Insektensterben sei dramatisch, warnen alle Ministerinnen.

Ein Aktionsprogramm Insektenschutz soll helfen: Für das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat soll im Jahr 2023 Schluss in Deutschland sein. Im Dezember 2022 läuft die Zulassung auf EU-Ebene aus, mit einer Verlängerung rechnet Klöckner nicht: „Glyphosat ist politisch gesehen ein totes Pferd“. Bayer-Vorstand Liam Condon übte heftige Kritik an dem Ausstiegsvorhaben der großen Koalition. "Der Beschluss ignoriert das seit Jahrzehnten bestehende wissenschaftliche Urteil unabhängiger Zulassungsbehörden auf der ganzen Welt, dass Glyphosat bei ordnungsgemäßer Anwendung sicher ist", gibt Condon zu bedenken. Bayer hatte im vergangenen Jahr den US-Glyphosathersteller Monsanto übernommen und sieht sich mit einer Klagewelle wegen vermeintlicher Gesundheitsgefahren konfrontiert.

Eine Frage der Haltung: Im Supermarkt überwiegt Billigfleisch.
Eine Frage der Haltung: Im Supermarkt überwiegt Billigfleisch.

© dpa

Die Bundesregierung will jedoch nicht nur ein Auslaufdatum für Glyphosat beschließen, sondern schon vorher den Einsatz reduzieren. Schon vor dem Komplettausstieg sollen durch Anwendungsverbote für Privatleute, in Gewässernähe oder in Parks 75 Prozent der Glyphosat-Menge eingespart werden. Dem Grünen-Politiker Harald Ebner reicht das nicht: "Statt endlich einen konkreten Plan für den längst versprochenen Glyphosat-Ausstieg vorzulegen, haben Julia Klöckner und Svenja Schulze heute bloß angekündigt, ihn weiter zu verschleppen. Und zwar auf weit nach ihrer eigenen Amtszeit. Ob bis dahin überhaupt etwas passiert, steht in den Sternen."

Mehr Schutzflächen für Insekten

Um Insekten zu schützen, sollen Landwirte zudem verpflichtet werden, Rückzugsflächen für Insekten zu schaffen. Biotope will die Regierung um „artenreiches Grünland“ und „Streuobstwiesen“ erweitern. In den Schutzgebieten soll der Einsatz von Herbiziden und biodiversitätsschädigenden Insektiziden verboten werden. Der Bauernbund Brandenburg ist empört: Insbesondere das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten sei ein eklatanter Vertrauensbruch gegenüber der Landwirtschaft, sagt Vorstand Thomas Kiesel, Ackerbauer aus Barsikow im Ruppiner Land. Jahrelang hätten Umweltpolitiker und Umweltbehörden die großzügige Ausdehnung von Schutzgebieten in landwirtschaftliche Flächen hinein als unverbindliche Fachplanungen gerechtfertigt, mit denen für die betroffenen Landwirte höchstens attraktive Förderungsangebote verbunden wären. Jetzt kämen enteignungsgleiche Auflagen, kritisiert Kiesel.

Neben strengeren Regeln für Pestizide und mehr Schutzgebieten will der Bund auch Geld locker machen. Der Bund gibt Bauern 50 Millionen Euro, um den Insektenschutz zu fördern. Weitere 50 Millionen Euro – überwiegend aus Karliczeks Etat – fließen in die Insektenforschung und das -monitoring.

Bauern sollen für Naturschutz bezahlt werden

Bauern bekommen Geld aus zwei Töpfen. Aus der sogenannten ersten Säule erhält jeder Bauer eine Direktzahlung, die an die Fläche gebunden ist. Mit Geld aus der zweiten Säule werden Natur- und Tierschutzanstrengungen belohnt. Die Regierung will die Fördergelder für Landwirte für das kommende Jahr umschichten. Statt 4,5 Prozent sollen sechs Prozent der Mittel als Honorierung für Umwelt- oder Tierschutzanstrengungen der Landwirte gezahlt werden. Das wären 75 Millionen Euro. Allerdings geht dadurch den Landwirten eine direkte Unterstützung von 4,50 Euro pro Hektar als Direktauszahlung verloren.

Geteiltes Echo

Das Agrarpaket der Bundesregierung stößt auf ein geteiltes Echo. „Dieses Paket ist für die Bauern toxisch“, kritisiert Bauernpräsident Joachim Rukwied. Dagegen geht der grünen Agrarpolitikerin Renate Künast der Reformeifer nicht weit genug. "Die Regierung baut nur ein Potemkinsches Dorf", sagte die Ex-Bundesagrarministerin dem Tagesspiegel. "Dieser Deal soll das alte Agrarsystem retten". Das freiwillige Tierwohllabel bringe nichts, bei Pestiziden würden sich Schulze und Klöckner ans Glyphosat nicht wirklich rantrauen.

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