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Das Sanierungsprogramm "Turbine" soll Air Berlin helfen, hunderte Millionen Euro zu sparen. In diesem Jahr sollen 15 Jets verkauft werden.

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Air Berlin: Fluglinie mit Herz - und Nöten

Für Air Berlin ging es lange abwärts, mit dem Aktienkurs, den Finanzen – und der Stimmung. In diesem Jahr dürfte sich entscheiden, ob Deutschlands zweitgrößte Fluglinie zu retten ist. Und von wem.

Im Hirn der „Airline mit Herz“ wurde ein neuer Teppich verlegt. Er ist grau. Auch sonst sucht man lange nach Farben. Es ist recht dunkel im Operations Control Center, der Verkehrszentrale von Air Berlin. Ibrahim Gülcan steht vor dem Bildschirm und hat die Welt seiner Airline vor Augen. Er blickt auf Karten von Europa und Nordafrika, darauf sind kleine Punkte zu erkennen, die sich kaum merklich bewegen. Sie sind mit Kürzeln versehen. Jedes steht für eines der bis zu 100 Flugzeuge, die Air Berlin gleichzeitig in der Luft hat. Gülcan kennt sie quasi alle persönlich. „Jedes Flugzeug hat seinen eigenen Charakter“, sagt er.

Ibrahim Gülcan, groß, schlank, dunkles Haar, ist eigentlich gelernter Stahlbetonbauer. Er hat sich aber über Jahre eingearbeitet in die Arithmetik von Passagierströmen, Flugwetterkunde und die Komposition optimaler Routen. Er weiß zum Beispiel, dass erdverwachsene Niedersachsen im Schnitt mehr Kilo auf die Waage bringen als Berliner. Daher müssen Jets ab Münster/Osnabrück ein paar Liter mehr Kerosin tanken. So stieg Gülcan ins Führungsteam dieser großräumigen Verkehrszentrale auf.

Air Berlin erlaubt nicht oft einen Blick in das Innerste des Unternehmens. Besucher sind selten in dem Backsteinkomplex, zwei Kilometer vom Flughafen Tegel entfernt. Vor allem, seitdem die Fluglinie immer wieder mit dem Wort „Pleite“ in Verbindung gebracht wird.

Von 2008 bis 2011 hat Air Berlin jedes Geschäftsjahr mit Verlust abgeschlossen, 2012 blieb nur wegen eines Sondereffekts unterm Strich ein kleines Plus. Im Januar dieses Jahres begann schließlich ein Sanierungsprogramm, das den Titel „Turbine“ trägt und den Abbau von 900 Stellen vorsieht. So will die Führung 200 Millionen Euro in diesem Jahr einsparen. Es dauert noch ein paar Monate, bis absehbar ist, ob das klappt. In diesem Jahr dürfte sich entscheiden, ob Air Berlin überlebt. Darauf hoffen die 9000 Mitarbeiter. Aber nicht nur sie.

Denn nur wenn Air Berlin wieder schwarze Zahlen schreibt, verschafft die Airline auch dem neuen Flughafen BER langfristig seine Existenzberechtigung. Air Berlin befördert vor Lufthansa und Easyjet mit Abstand die meisten Passagiere in die Hauptstadt. Und heraus.

Vor 35 Jahren war das Unternehmen im US-Bundesstaat Oregon gegründet worden, damals mit nur zwei Flugzeugen. Als Airline der Alliierten durfte sie in Berlin starten und landen. Vor 22 Jahren kaufte sie schließlich der Düsseldorfer Luftfahrtmanager Joachim Hunold und baute sie zu einem Unternehmen mit mehr als 170 Flugzeugen aus. Doch seit gut fünf Jahren geht es für Air Berlin fast nur noch abwärts, mit dem Aktienkurs, mit den Finanzen – und der Stimmung. Nun sucht schon Hunolds Nach-Nachfolger nach der Ursache: Liegt es am Hirn des Unternehmens, also dem operativen Tagesgeschäft? Oder am Herzen, der Philosophie? Oder hat die Politik Schuld? Die Antwort darauf liegt irgendwo zwischen Berlin, London und Sylt, den wichtigsten Orten im Kosmos von Air Berlin.

Air Berlin: Die Nummer sieben im europäischen Luftfahrtgeschäft

Das Sanierungsprogramm "Turbine" soll Air Berlin helfen, hunderte Millionen Euro zu sparen. In diesem Jahr sollen 15 Jets verkauft werden.
Das Sanierungsprogramm "Turbine" soll Air Berlin helfen, hunderte Millionen Euro zu sparen. In diesem Jahr sollen 15 Jets verkauft werden.

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Ibrahim Gülcan geht durch die Verkehrszentrale am Saatwinkler Damm in Berlin-Tegel, er spricht mit leiser und klarer Stimme. Von hier aus koordiniert sein Team die bereits auf 155 Maschinen geschrumpfte Flotte – rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Gut 20 Mitarbeiter sitzen in Tischreihen vor jeweils zwei bis drei Monitoren. Vogelgezwitscher dringt durch die geöffneten Fenster herein. Aus einer Ecke kommt Gemurmel. An der Wand hängen zwei große Flachbildschirme. Der eine zeigt Balken, für jeden Flieger einen. Farben verraten den Status: getankt, bereit zum Start, in der Luft, verspätet, bereit zur Wartung. Auf dem anderen Schirm läuft CNN.

Die linke, fensterlose Hälfte der Verkehrszentrale ist praktisch leer. Eine Batterie Schließfächer steht hier, wie im Umkleideraum eines Fitnessstudios. Sonst ist da nur dieser graue Teppichboden. Es muss Platz geben für eine Airline, die wachsen will. Und das wollen sie eigentlich alle im Luftfahrtgeschäft. Hier wird der Kampf für das Fressen und gegen das Gefressenwerden noch geführt. Anders als in Branchen, die längst konsolidiert sind, wie Betriebswirte sagen, wie die Autoindustrie. Dort gibt es nur noch ein paar große, und ein paar kleine – dafür sehr exklusive – Hersteller. Air Berlin ist als Nummer sieben in Europa im Weltmaßstab weder besonders groß noch besonders exklusiv.

Über Jahre hatte die Gesellschaft andere Airlines gekauft. Kleine, wie dba und Belair, die heute kaum noch jemand kennt. Und große, wie im Jahr 2007 die LTU, die „Staatsfluglinie von NRW“ mit Sitz in Hunolds Heimatstadt Düsseldorf. Dass Hunold diese Airline mit 2800 Mitarbeitern kaufte, gilt unter Branchenexperten als sein größter Coup und größter Fehler zugleich. Kritiker sagen: Hunold war ja selbst lange bei LTU, war im Streit ausgeschieden und wollte mit dem Kauf nur Rache nehmen. Mit der Folge, dass Air Berlin heute unter den Schulden leidet. Hunold sagt: „Hätten wir damals nicht zugekauft und wären gewachsen, gäbe es Air Berlin gar nicht mehr.“

Vielleicht stimmt beides. In jedem Fall darf Air Berlin heute nicht mehr wachsen. Die Gesellschaft hat mehr als 700 Millionen Euro Schulden und muss deshalb schrumpfen. Sie wird auch 2013 wieder 15 Jets verkaufen.

Vor zwei Jahren war Schluss mit dem Wachstum, mehr ging einfach nicht. Ein Strategiewechsel musste her. Air Berlin suchte Hilfe – und fand sie bei Etihad Airways. Die Staatsfluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate kaufte ein großes Paket Air-Berlin-Aktien und pumpte seither dreistellige Millionenbeträge in die Gesellschaft. Die Bedingung: Hunold musste den Chefsessel nach 20 Jahren räumen. Und Air Berlin musste sparen.

Etihad ist zwar, gemessen an Passagierzahlen und Umsatz, deutlich kleiner als Air Berlin, hat aber Geld und wächst schnell. Am Montag legte die Airline vom Golf wieder ein Rekordergebnis fürs erste Halbjahr vor: 13 Prozent mehr Umsatz als 2012. Etihad macht derzeit auch anderen Airlines Offerten, Jet Airways aus Indien und Aer Lingus aus Irland. Irgendwann könnte Etihad sie alle schlucken, um den Rivalen Emirates aus dem Nachbaremirat Dubai abzuhängen. Das Geld dafür hat die Königsfamilie aus Abu Dhabi. Noch aber verhindern dies bilaterale Abkommen: Wenn eine ausländische Airline mehr als 30 Prozent einer deutschen kauft, könnte letztere ihre Landerechte hierzulande verlieren. Etihad hält daher nur 29,21 Prozent an Air Berlin.

Dies alles sind jedoch langfristige Überlegungen, mit denen sich Ibrahim Gülcans Crew nicht befassen muss. Seine Zentrale, das Hirn, sendet Befehle für Minuten und Stunden, nicht für Jahre. Es ist das Herz eines Körpers, auch eines Unternehmens, das sich um die ganz großen Fragen kümmert: Wer ist Freund und wer Feind? Mit wem gehen wir einen Bund fürs Leben ein? Wer sind wir und wie wollen wir sein? Air Berlins Herz schlug 20 Jahre – manche sagen, das tut es noch heute – im Beat des Joachim Hunold. Der sitzt gern und oft auf der Nordseeinsel Sylt. Dort hat er ein Haus. Unter anderem.

Die wichtigsten Entscheidungen, heißt es, traf Hunold in seinem „Wohnzimmer“, wie er es selbst nennt: dem Lokal Sansibar auf Sylt. Das ist so, wie Air Berlin wohl immer sein sollte. Dort sitzen an einem Montagmittag der Biker neben dem Spitzenpolitiker, das Rentnerpaar neben den Prominenten. Drinnen feiern Senioren einen runden Geburtstag. Es ist eine große Skihütte, sie steht nur mitten in den Dünen, keine 100 Meter vom Pulversandstrand entfernt.

BVB-Trainer Jürgen Klopp sei am Vortag da gewesen, sagt der Wirt. Auch der Bundesfinanzminister isst hier gern. Man kann sich mit einer riesigen Currywurst und Pommes für zwölf Euro abspeisen lassen oder bestellt ein Porterhouse Steak für 59 Euro. Dazu ein Pils für 4,20 Euro oder eine Flasche 2000er kalifornischen Cabernet Sauvignon Al Brounstein Diamond Creek Red Rock Terrace für 400.

Legenden ranken sich um den Weinkeller, den man nur erreichen kann, wenn man hinter der Theke eine enge Treppe nimmt. Wer dort an einem der beiden Holztische Platz nehmen darf, sitzt zwischen 1800 Weinen, fast 30 000 Flaschen. Hier soll Joachim Hunold geschwoft haben, aber auch gesessen und nachgedacht. Die Frage war: Wie bekommen wir die Sansibar in die Luft? Dieses Lokal, das scheinbar keine Schichten und Klassen kennt, jeden Jogginghosenträger behandelt, als wäre er ein Star – und damit großes Geld verdient.

"Airline mit Herz" auf Sparkurs

Das Sanierungsprogramm "Turbine" soll Air Berlin helfen, hunderte Millionen Euro zu sparen. In diesem Jahr sollen 15 Jets verkauft werden.
Das Sanierungsprogramm "Turbine" soll Air Berlin helfen, hunderte Millionen Euro zu sparen. In diesem Jahr sollen 15 Jets verkauft werden.

© dpa

Sansibar-Wirt Herbert Seckler, aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb, ein Genussmensch, Typ Hemdsärmel, Jeans und Turnschuh, hat seine ersten Mark beim Bordsteinsetzen im Straßenbau verdient. Mit 22 Jahren, 1974, zog er nach Sylt und eröffnete einen Kiosk am FKK-Strand. Über die Jahre baute er den zum Restaurant mit 400 Plätzen und angeschlossenem Versandhandel aus. Seckler sagt Sätze wie: „Wer zu uns kommt, soll für ein paar Stunden das Gefühl von Luxus, Freiheit, Spiritualität erfahren. Geh’ hinunter zum Strand. Probier’s halt mal aus.“ Secklers Sansibar hat „Exclusive-Partner“. Das sind – neben Air Berlin natürlich – American Express, Mercedes Benz und die Ferienanlage Wattwurm von nebenan.

Hunold übersetzte das Gefühl so: Er verpasste der Gesellschaft den Spruch „Airline mit Herz“, lässt seither Schokoherzen der Berliner Firma Rausch an Bord verteilen und ernannte mindestens 100 sogenannte „Markenbotschafter“. Das waren Prominente der Liga Johannes B. Kerner bis Peter Maffay, die mit ihren Familien quasi kostenlos fliegen durften – dazu heute aber keine Auskunft geben. Wer noch alles dieses Privileg genoss, verrät Air Berlin nicht. Viele Aktionäre jedenfalls vermissten bei dem Promiprogramm jeden Sansibar-Spirit.

Herbert Seckler, das Hirn und Herz, der Bauch und die Seele seines Lokals, hält auf der Terrasse aber fest: „Der Achim ist ein ganz feiner Kerl. Und mein Freund. In guten wie in schlechten Tagen.“ Dass „der Achim“ heute nicht mehr allein bestimmen könne, wohin die Reise mit Air Berlin gehe, sei schlimm für ihn. „Ist doch klar“, sagt Seckler. „Wie würden Sie sich denn fühlen?“

Hunold schleppt das schlimme Gefühl spätestens seit August 2011 mit sich herum. Seinen Rücktritt, der einer Zäsur gleichkam, kündigte er in einer vierteljährlichen Telefonkonferenz für Journalisten an, nachdem er fast eine Dreiviertelstunde lang den Quartalszahlensalat referiert hatte. Minuten später schoss der Kurs der Aktie in die Höhe. Doch nicht für lange.

Auf Hunold folgte sein Freund, der ehemalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Der strich die kostenlosen Promi-Flüge und einiges mehr. Selbst Vorstände fliegen heute dienstlich meist Holzklasse und fahren Mini. Doch der Aktienkurs fiel weiter. Dann stritt Mehdorn mit der Berliner Flughafengesellschaft, reichte Klage ein, damit ein Gericht feststellen möge, welche Verluste Air Berlin jeden Monat entstehen, weil die Airline nicht wie geplant ihr interkontinentales Drehkreuz am BER aufziehen kann. Auch das langte nicht.

Im Januar 2013 trat Hartmut Mehdorn ab – und tauchte im März als Chef der Berliner Flughäfen wieder auf. Dieser Tage wird behauptet, er habe Air Berlin 17 Millionen Euro geboten, damit die Klage zurückgezogen wird. Mehdorn nennt den Vorwurf der Mauschelei „unerhört“. Nun hat der Österreicher Wolfgang Prock-Schauer, ein Mann von Gnaden der Scheichs, die Aufgabe, Air Berlin gesundzuschrumpfen.

Und was macht Joachim Hunold? „Der zieht bis heute die Strippen“, behauptet ein kritischer Aktionärsvertreter. Ein Topmanager indes sagt: „Die Ära Hunold ist vorbei.“ Ganz weg ist er jedenfalls nicht, wie man etwa Anfang Juni bei der Aktionärshauptversammlung im Flughafenhotel Park Inn London-Heathrow beobachten konnte. Das Treffen findet immer in England statt, weil Hunold beim Börsengang vor acht Jahren beschlossen hatte, keine deutsche Aktiengesellschaft (AG), sondern eine britische Public Limited Company (plc) zu gründen – um Betriebsräte, Gewerkschaften, Presse und Aktionäre fernzuhalten, sagen Kritiker.

Als er auftaucht, kommt Bewegung in die kleine Runde am Stehtisch im Vorraum. „Achim kommt! Aaah, der Achim.“ Hunold, wie immer mit superkurz rasierten Haaren und gesund gebräunt, bleibt am freien Nachbartisch stehen und spricht mit seiner hohen, stets leicht heiseren Stimme die jüngste Führungskraft in dem Kreis an. „Na, hast du eine neue Frisur?“ Bevor der antworten kann, sagt er: „Oder eine neue Frau?“ Bellendes Herrenlachen.

Neben 30 Air-Berlin-Mitarbeitern und Managern finden nur 13 von mehreren Tausend Kleinaktionären den Weg in einen fensterlosen großen Raum in London. Hunold nimmt Platz auf dem Stuhl ganz nah an der rechten Wand, schlägt die Beine übereinander.

Dann schweigt er, fast zwei Stunden. Er schweigt, während Prock-Schauer, fast alle bohrenden Fragen der Aktionäre ruhig beantwortet: Zum Schuldenstand und zum Geschäftsmodell. Niemand spricht Hunold darauf an. Also schweigt er. Auch, als er formal wieder in den Verwaltungsrat, das Board, berufen wird, verzieht er keine Miene.

Es war vorher schon klar, da die Großaktionäre angekündigt hatten, noch einmal für ihn zu stimmen. „Wir brauchen ihn, weil er all die alten Geschichten kennt, die uns heute noch Probleme machen“, sagt ein Mitglied des Verwaltungsrats und meint damit vielleicht: Ein Hirn kann falsche Entscheidungen treffen. Ein Herz auch. Wenn man sie aber endgültig voneinander trennt, dann gibt es gar keine Entscheidungen mehr.

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