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Wirtschaft: Albert Müller

Geb. 1941

In der Kunst ein Berserker. In der Liebe ein Romantiker. Denn was man bekommt, ist nie genug. Die Hölle? Die ist in der Anhalter Straße, Vorderhaus, oberster Stock links, hinter einer unauffälligen Holztür.

Das Atelier ist die Wohnung, ist das Atelier, ist die Unterwelt, denn die wirklichen Künstler leben in der Hölle. Einige Hochstapler kokettieren damit, dort kurz auf Besuch gewesen zu sein. Das sind die, die sich am Fegefeuer der Eitelkeiten wärmen. Albert Müller war nicht eitel, er war besessen.

Kein anderer Mensch hätte dort leben können. In diesen Asservatenkammern des Aufgeklaubten. Kein Raum, der als solcher belassen worden wäre. In der Küche, im Flur, im Schlafzimmer, überall Abfälle, Rohstoffe für neue Arbeiten, geschmolzenes Wachs, Aschereste.

Auf dem Boden Fabrizio Plessis „Traumwelt“, daneben ein unausgepacktes Hemd. Auf dem Tisch: Eingebrannte Schuhsohlen, ein Flachmann Jägermeister, Reval, zwei, drei Päckchen filterlose Zigaretten am Tag.

In der Ecke der Feuerlöscher. Zwei seiner Wohnungen sind ausgebrannt. Nicht seine Schuld. Der Hauptraum: Das Wohnzimmer, die Dunkelkammer, sein Labor.

Das immer gleiche Experiment: Steine, Hölzer, Materialien werden arrangiert auf dem Boden, Wachs wird gekocht. Es stinkt. Qualmt. Das Wachs wird ausgegossen, das Bodenrelief übermantelt. Eine neue Haut. Die dann mit Benzin abgefackelt wird. Neues Wachs, neuer Brand. Zwei Meter steigen die Flammen hoch. Alles wird rußschwarz. Dieser Moment, wenn alles ins Feuer hochschießt, und das Material am Boden mutiert, ist Zauber, ist Alchemie.

Ein Magier, der seine Skulpturen aus dem Feuer schuf. Immer und immer wieder. Ein unlöschbarer Brandherd. Das alles spielte sich ab in einer gutbürgerlichen Wohnung mit Parkettboden. Der glich nach Jahren einem ausgebrannten Vulkangrund. Immer wieder musste er seine Wohnungen verlassen. Beim großen Brand, kurz vor der Jahrtausendwende, verbrannte fast sein gesamter Bestand. Nicht er, ein Kurzschluss hatte ihn ausgelöst. Und wie ein Berserker fing er wieder von vorn an, in einer neuen Wohnung.

Kunst ist: Ambiente verändern. Immer, überall. Kein Ding an seinem Ort lassen. Den Betrachter verstören: Man betrat die Wohnungen Albert Müllers, sauber, unschuldig, und verließ sie dreckig, verdüstert.

In der Ecke leere Geigenkästen. Daneben eine schwarz gebrannte Mumie. Der Körper am Boden festklebend. Immer wieder war der Corpus mit Bienenwachs überzogen worden, neu in Sackleinen gewickelt, abgeflammt. Festklebend am Boden. Der Transport würde sie zerstören.

Auf einem kleinen Tisch, rund, blau, der eigentlich nur ein umgedrehter Topf ist, das wichtigste Utensil: Nachfüllgas für die Feuerzeuge, die er im Dutzend bei sich trug. Bier. Branntwein. Und in der Ecke, wie ein kalter Kachelofen, der Fernsehapparat.

Die Kindheit war behütet. Ein kleinbürgerliches Elternhaus. Katholisch erzogen. Strenggläubig. Er war stolz darauf, in die Marianische Jünglingskongregation aufgenommen worden zu sein. Ein Jugendbund der Jesuiten. Seine erste Skulptur, eine Madonna. Prämiert und ausgestellt.

Bei den Mitschülern galt er als zurückgeblieben, er konnte nicht über ihre Witze lachen, er blieb für sich.

Meisterschüler an der Kunsthochschule. Er sieht Dutschke zum Verwechseln ähnlich, macht sich selbst zum Rädelsführer. „Erst der Gang über die Grenze ist der Schritt hin zur Kunst.“

Köpfe. Massiv modelliert. Als müssten sie durch die Wand. Frauenakte, kräftig, ausufernd. Seine neue Göttin, die Venus von Willendorf, 30000 Jahre alt, eine Fruchtbarkeitsfigur. Die erste Skulptur der Menschheitsgeschichte, die er immer wieder neu schuf. Ein Abtrünniger des Glaubens, der jetzt der Liebe huldigte, wo immer er sie fand. Die Religiosität und der Affekt dagegen wurden stilbildend.

Das Vorbild: Giacometti. Die schlanken Skulpturen aus einem Guss. Den Raum durchschreiten, wie Giacomettis Figuren das tun. Gehetzte. Oder ihn erfüllen mit Volumen. Wie er das tat. Ein Bildhauer, das heißt: Modelle, Akte, schöne Frauen im Atelier. Unsinn. Jedes Ding kann zum Modell werden und verliert so seine Banalität. Skulpturen setzen den Dingen Denkmäler, allen Dingen.

Eine ungebremste Schaffensfreude Anfang der siebziger Jahre. Frohe Bilder. Farbig. Die verkauften sich gut. Bronzearbeiten: Doppelköpfe. Einander zugewandt, ineinander verwachsen.

Als Mann war er ein Romantiker. „Ich bin voll Sehnsucht. Voll einer unstillbaren Sehnsucht.“ Die Göttin der Liebe hat viele Namen und viele Gesichter. Und Albert Müller diente ihr rastlos.

Ein Mann, der gut ist zu den Frauen. Der Blumen bringt. Große Sträuße, große Gesten. Ein Hardcore-Romantiker. Denn das, was man bekommt, ist nie genug. Nie gut genug. Der unaufhebbare Widerspruch: Die Distanz musste gewahrt bleiben. Sonst war keine Verehrung möglich. Die Angebetete, die sich herablässt zu einem wie ihm, entwertet sich, verdient Strafe. Ein dummes Beziehungsspiel. Eine Falle. Eine Tragödie für beide. Er war gutherzig. Auf seine Weise. Verlässlich durchaus. Und einer, der die Frauen schlecht behandelte.

Die Köpfe wurden zu Masken, nicht zu unterscheiden, ob von Toten oder von Lebenden. Der Weg von der Skulptur zum Relief. Vom Gegenständlichen ins Abstrakte. Abstrakt? Sind Gedanken abstrakt, wenn sie Gestalt gewinnen?

Die Wahrnehmung von Form ist eine sinnliche Gabe. Formen ins Flächenhafte umzudenken, ist ein Kraftakt der Rationalität. Seine Reliefs sind unfigürlich, nichts zu sehen auf den ersten Blick. Nur Material, Lavawachs, breitgestrichen, brüchig, Kraterboden, kalt geworden, und mittendrin, freigeschabt, durch die Farbe hervorgehoben, auf den zweiten Blick erst zu erkennen, die Gestalt, feuerrot, das Knie angewinkelt, als wollte sie aus der Hölle hineintreten ins Leben.

Die Serie der Nackenschläge. Der leidenschaftliche Bergsteiger bricht sich immer wieder das- selbe Bein, der Langläufer wird zum Fußgänger. Der Motorradunfall. Der Ausbruch der Krankheit. Die Psychiatrie.

Viele Künstler sind manisch depressiv.

Die endogenen Krankheitsstoffe. Die exogenen Befeuerungsmittel. Ein Spiegeltrinker.

Temperiert leben! Gab es je Künstler, die Abstinenzler waren?

Wer die Bremsen der Wahrnehmung nicht löst, wird immer auf der Standspur kriechen. Alkohol und Nikotin. Und die gelegentlichen Manien. Da sind die Drogen schon in dir. Und die Depression, die folgt, schürt nur die Schöpfungswut, sofern sie überstanden wird.

Manisch sein, heißt Herr der Welt sein. Schöpfergott. Das ist verschleißend für die Ungläubigen. Und zugleich faszinierend. Denn der Manische wird durchlässig für andere, eine seltsame Osmose, alles springt einen an – und verlässt einen. Denn in einer Manie ist nichts von Dauer, sie ist trügerisch, gaukelt falsche Talente vor, macht einsam.

Er wurde düsterer im Alter, und eindringlicher. Die Reliefs im Dutzend an der Wand seines Wohnzimmers. Eine Grabkammer. Vereinzelt: ein Relief in einer Anwaltskanzlei auf weißer Wand, chic. Aber was hat so eine Arbeit in einer Kanzlei zu suchen?

Er konnte nicht Verkäufer seiner selbst sein. Und was sind Galeristen denn schon anderes als Zuhälter? Er war da nicht diplomatisch, zügelte nicht die Wut auf den Betrieb: Die Künstler werden immer zahlreicher, die Kenner sterben aus.

Da gehörte er nicht hin, da sah er sich nicht. Da wollte er hin, natürlich. Er wollte Erfolg haben.

Er war ein Spieler, der nicht verlieren konnte. Der sein Gegenüber beim Schach mit Psychologie auszutricksen versuchte, weil er die Stärke anderer nicht ertrug. Er wollte gewinnen. Da ging es nicht um Geld. Er war der Sieger.

Aber er verlor an allen Fronten. Der Alltag: Kunstunterricht an den Schulen. Den er irgendwann quittierte, denn je älter er wurde, desto unbürgerlicher führte er sich auf. Die Liebe: Manche Frauen suchen sich solche Künstler, weil sie nie genug Kinder kriegen können. Sie umsorgen sie, leiden an ihnen und laufen ihnen davon.

Aber eins blieb: die Sehnsucht nach der Göttin, die er ehelichen wollte. Immer und immer wieder.

Seine letzte Heimat: Die Traube, regiert von Thea. Kneipenwirtin. Seine letzte Göttin. Aber auch sie konnte ihn zum Ende hin nur schwer ertragen, seinem Genie zum Trotz. Künstler können Paradiese schaffen. Und sie können die Hölle sein, für sich selbst und für andere.

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