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Wirtschaft: Alcatel: Der Abschwung erreicht Frankreichs Telekomausrüster

Tiefer hätte der Sturz kaum sein können. Dramatischer auch nicht.

Tiefer hätte der Sturz kaum sein können. Dramatischer auch nicht. Im Mai versuchte Frankreichs Telekomausrüster Alcatel noch, den US-Konkurrenten Lucent zu übernehmen und sich so zur weltweiten Nummer eins der Branche aufzuschwingen. Jetzt reiht sich das hoch verschuldete Unternehmen ein in den scheinbar nicht enden wollenden Abschwung des gesamten Telekomsektors. Lucent und Nortel mussten im ersten Halbjahr bereits mit Umsatzeinbußen von 20 Prozent fertig werden. Infineon, die Halbleitertochter von Siemens, fuhr ebenfalls herbe Verluste ein. Auch die Telefongesellschaften selber, von der Deutschen Telekom über France Télécom und Telefónica bis zu KPN, haben in diesen Tagen nur Hiobsbotschaften zu verkünden. Der US-Wirtschaftsabschwung hat damit Europas Unternehmen erfasst.

Alcatel machte ihm zweiten Quartal einen Verlust von mehr als sechs Milliarden Mark, meldete das Unternehmen am Donnerstag. So schlimm hatte es keiner der Analysten kommen sehen. Bis zum Jahresende sollen nun mehr als 14 000 Stellen abgebaut werden. Insgesamt plant Alcatel, 18 Prozent der Belegschaft von 110 000 Mitarbeitern weltweit zu entlassen. Dadurch will der Konzern Kosten sparen und am Ende des Jahres vielleicht doch noch mit einem operativen Gewinn dastehen. Im Juni hatte der Konzern angekündigt, 90 Prozent der insgesamt 120 Fabriken abstoßen zu wollen. Alcatel wolle eine Firma ohne Fabriken werden, sagte Vorstandschef Serge Tchuruk.

Hätte die Fusion mit Lucent geklappt, wäre Alcatel zum Weltmarktführer der Netzausrüster aufgestiegen. Mit Lucent hätte Alcatel auch die berühmten Bell Labs übernommen, Forschungslaboratorien aus der Zeit des Lucent-Vorgängers AT & T, die eine Vielzahl von Nobelpreisträgern hervorgebracht haben. Weil es sich aber um ein Politikum handelte, wenn diese Kaderschmiede in ausländische Hände übergegangen wäre, baute sich in den USA Widerstand gegen den Deal auf. Auch das Pentagon soll sich um die Verschlüsselungstechnik besorgt gezeigt haben. Opportun war aber selbst der französischen Regierung eine Fusion nicht. Ohnehin war Alcatel immer abhängiger vom amerikanischen Markt geworden. Das kommt das Unternehmen nun teuer zu stehen. In den vergangenen zwei Jahren hatte Tchuruk insgesamt sieben amerikanische Hightech-Firmen aufgekauft. Verantwortlich dafür war sein in Dallas sitzender Stellvertreter, Krish Prabhu. Der Inder, der Tchuruk ursprünglich nachfolgen sollte, erklärte am Donnerstag in einem Interview - just an dem Tag, als Alcatel einen Rekordverlust bekannt gab - sich fortan seiner Familie widmen zu wollen. Obwohl Nortel und Lucent nach einem Chef suchten, wollte er nicht zu einem der Konkurrenten wechseln. Prabhu wird Mitglied des Aufsichtsrats. Der 63-jährige Alcatel-Chef Tchuruk, der in Frankreich im vorigen Jahr noch zum "besten Manager des Jahres" gewählt worden war, verliert damit einen seiner besten Mitarbeiter.

Betrüblicher als der gestrige Tag war in der Karriere Tchuruks nur der 17. September 1998. Damals legte Alcatel ebenfalls enttäuschende Zahlen vor, woraufhin der Börsenkurs um 38 Prozent einbrach und das Unternehmen zwei Drittel seines Werts verlor. Gestern kletterte der Kurs sogar etwas. Doch trotz des mutigen Umbaus des Unternehmens zum weltweit viertgrößten Telekomausrüster, der Nummer eins bei Hochgeschwindigkeits-Anschlüssen fürs Internet (ADSL) und Unterwasserkabeln sowie zur Nummer zwei bei der Glasfasertechnik, verlor der Kurs in den vergangenen zwölf Monaten rund 70 Prozent seines Wertes. Eine Trendwende erwartet Tchuruk erst im Laufe des nächsten Jahres.

Der ehrgeizige Franzose war 1995 an die Spitze des Konzerns Alcatel Alsthom getreten. Dieser befand sich damals in einer tiefen Krise. Bis Ende 2000 entließ Tchuruk brereits 25 000 Beschäftigte. 60 Tochterunternehmen in ganz Europa fielen seinen Restrukturierungsmaßnahmen bislang zum Opfer, weitere werden folgen.

mkl

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