zum Hauptinhalt
Alexander Erdland, Chef des Versicherungsverbands.

© Doris Spiekermann-Klaas

Alexander Erdland im Interview: "Ein Grexit würde keine Krise auslösen"

Sollte sich Griechenland gegen den Reformkurs aussprechen, muss es aus der Euro-Zone austreten, sagt Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft - und das wäre halb so schlimm.

Herr Erdland, sollte Griechenland die Euro-Zone verlassen?

Es wäre besser, wenn man eine für beide Seiten tragfähige Lösung findet. Und ich warne vor einer Mogelpackung. Der Verbleib von Griechenland in der Euro-Zone darf nicht zum Selbstzweck werden. Entscheidend für die weitere Stabilisierung der Euro-Länder sind Reformbereitschaft und Verlässlichkeit. Es muss klar sein: Spricht sich die griechische Regierung gegen den Reformkurs aus, ist das auch eine Entscheidung gegen den Euro. Dann müssen die europäischen Partner den Konsequenzen ins Auge blicken. Denn die Entscheidung weiter aufzuschieben, machte die Sache nicht besser – sondern nur schlimmer.

Wie stark sind die deutschen Versicherer in Griechenland engagiert?

Kaum noch. Wir haben unsere Lehren aus dem ersten Schuldenschnitt gezogen. Aber natürlich haben wir ein Interesse an stabilen Kapitalmärkten.

Wie viel haben Sie damals verloren?

Vor dem Schuldenschnitt im Jahr 2012 waren die deutschen Versicherer mit rund vier Milliarden Euro bei Staatsanleihen in Griechenland engagiert. Heute ist das Engagement kaum noch messbar – bei Kapitalanlagen von insgesamt 1,4 Billionen Euro.

Könnte ein Grexit eine Finanzkrise auslösen wie seinerzeit die Lehman-Pleite?

Nein. Seit der Finanzkrise des Jahres 2008 ist vieles getan worden, um die Stabilität der Banken und des Finanzsektors zu verbessern. Außerdem gab es bei Lehman eine Vielzahl von privaten Anlegern, die betroffen waren. Im Fall Griechenlands ist das anders. Hier stehen ja vor allem staatliche und öffentliche Kredite auf dem Spiel, also eher das Geld der Steuerzahler als das der Anleger.

Die Versicherer leiden unter den niedrigen Zinsen. Könnte die Europäische Zentralbank die Zinsen anheben, wenn Länder wie Griechenland den Euro abgeben?

Die EZB hat ja vor allem die Inflation im Blick, und die ist – trotz kleiner Anstiege – immer noch niedrig. Die Zentralbank wird erklärtermaßen ihren massiven Ankauf von Staatsanleihen fortsetzen – was wir scharf kritisieren. Wir rechnen damit, dass die Zinsen niedrig bleiben, auch wenn es zwischendurch immer mal wieder kleine Aufwärtsbewegungen gibt.

Wie hoch ist die durchschnittliche Verzinsung, die Kunden derzeit für ihre Lebensversicherungen bekommen?

Die durchschnittliche Gesamtverzinsung beträgt aktuell noch 3,9 Prozent auf den Sparanteil. Verglichen mit dem, was Sie auf der Bank bekommen, ist das nicht schlecht.

Aber es wird weniger. Ihre alten, hochverzinsten Wertpapiere laufen aus, und neue Kapitalanlagen bringen deutlich weniger.

Natürlich sinken die Renditen, wir können die Mathematik nicht außer Kraft setzen. Aber wir sehen ja nicht tatenlos zu. Die Versicherer haben neue Produkte auf den Markt gebracht mit modifizierten Garantien. Das verschafft uns Flexibilität in der Anlage der Kundengelder. Wir streuen unsere Kapitalanlagen breiter, nehmen auch weitere Anlageklassen in unsere Portfolios und senken Kosten. Vieles verändert sich, aber eines bleibt gleich: Die Lebensversicherung ist die einzige private Altersvorsorge, die eine lebenslange Rente zahlt – egal, wie alt jemand wird.

Mit Aktien hätte der GDV gut verdienen können - wenn er welche hätte

Mit Aktien hätte man gut verdienen können. Leider haben Sie so gut wie keine!

Die Aktienquoten der Versicherer sind sehr unterschiedlich, aber richtig ist, dass eine hohe Aktienquote nicht zu unserem Geschäftsmodell passt. Wir brauchen planbare laufende Erträge für unsere Kunden. Um sie vor der Niedrigzinsphase zu schützen, bauen wir übrigens seit 2011 eine Zinszusatzreserve auf. In diesem Topf sind inzwischen über 20 Milliarden Euro.

Aber viele Versicherer haben Probleme, das Geld zurückzulegen.

Ja, weil der Maßstab nicht stimmt. Die Höhe der Zinszusatzreserve orientiert sich bei einer Lebensversicherung, die zum Beispiel einen Garantiezins von vier Prozent hat, an der Differenz zur laufenden durchschnittlichen Verzinsung erstklassiger Staatsanleihen über die jeweils letzten zehn Jahre. Angenommen, die liegt bei 3,2 Prozent, dann muss der Versicherer 0,8 Prozentpunkte absichern. Leider bringen diese Staatsanleihen von Jahr zu Jahr weniger Zinsen, deshalb steigt die Differenz zu Ungunsten der Versicherer. Wir halten die Zinszusatzreserve für richtig, aber der Anpassungsmechanismus ist reformbedürftig. Darüber reden wir mit der Finanzaufsicht Bafin.

Die Bafin will die Versicherer „in Manndeckung nehmen“, wie es hieß, der Internationale Währungsfonds sieht deutsche Gesellschaften in Gefahr. Wie viele Unternehmen stehen vor der Pleite?

Mir ist kein Fall bekannt. Kurz- und mittelfristig ist die Branche stabil.

Wie lang ist mittelfristig?

Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA spricht im jüngsten Stresstest von acht bis elf Jahren. Auch der IWF sieht Probleme langfristig, bei anhaltend niedrigen Zinsen. Hier steuern die Lebensversicherer mit weiteren Vorsorgemaßnahmen gegen, um auch auf lange Sicht stark zu sein. Denn der Bedarf steigt. Die gesetzliche Rente deckt ja inzwischen noch nicht einmal mehr die Hälfte des Gehalts. Und das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern wird sich noch weiter verschlechtern. 2060 werden auf 100 Erwerbstätige bis zu 60 Rentner kommen, das kann die gesetzliche Rentenversicherung nicht stemmen.

Im Arbeitsministerium wird über eine verpflichtende Betriebsrente nachgedacht. Zu Recht?

Ich bin gegen Pflichtlösungen. Das soll jeder Arbeitgeber für seinen Betrieb entscheiden. Aber wir unterstützen jeden Arbeitgeber, der sich dafür entscheidet.

Wir führen Rentenbeiträge ab, viele haben noch eine Lebensversicherung, eine Riester-Rente oder sorgen über den Arbeitgeber vor. Fragt sich, wovon man dann noch die Miete zahlen soll oder die Ausbildung der Kinder.

Die Menschen wissen derzeit doch oft gar nicht genau, wie es um ihre Altersvorsorge bestellt ist. Wir plädieren deshalb für einen online abrufbaren Überblick nach dem Muster der Renteninformation, auf dem aber nicht nur die gesetzliche Rente, sondern auch die Ansprüche aus privaten Lebensversicherungen, Riester-Renten und Betriebsrenten auf einen Blick zusammengefasst sind. Nur dann kann man sehen, wie hoch der weitere Vorsorgebedarf ist. Die Bereitschaft, etwas für das Alter zurückzulegen, hat in den vergangenen Jahren nämlich nachgelassen. Als die Riester- und die Rürup-Renten eingeführt worden sind, stand das Thema auf der politischen Agenda ganz weit oben. Das ist heute anders. Wir haben zwar über 10,8 Millionen Riester-Versicherungsverträge, aber 30 Millionen Menschen könnten eine abschließen.

Die Riester-Rente lohnt sich vor allem für Eltern

Alexander Erdland, Chef des Versicherungsverbands.
Alexander Erdland, Chef des Versicherungsverbands.

© Doris Spiekermann-Klaas

Vielleicht ist die Riester-Rente einfach nicht attraktiv genug? Die Produkte sind teuer und bringen kaum Rendite!

Das stimmt so pauschal nicht. Die Riester-Rente muss auf lange Zeit gerechnet werden und lohnt sich zum Beispiel besonders für Geringverdiener und Menschen mit Kindern. An einer Vereinfachung, einer Senkung von Kosten ist zu arbeiten, auch mit Blick auf die Zulagenverwaltung. Die Transparenz der Produkte wird demnächst steigen, es wird ein Produktinformationsblatt geben mit allen wichtigen Angaben. Die staatlichen Zulagen sind aber seit 2002 nicht angepasst worden. Der Staat darf nicht nur an Investitionen in Infrastruktur denken, er muss sich auch um die Menschen kümmern.

Von wegen Infrastruktur: Wie interessant ist das für Ihre Branche?

Wir möchten hier gern mehr investieren, aber dazu brauchen wir Leitplanken. Kleine Versicherer werden nicht zu Projektfinanzierern, die Projekte beurteilen und auf den Weg bringen. Sie sind darauf angewiesen, dass es standardisierte Formate gibt – Fonds oder Pools –, bei denen sie einsteigen können. Zudem brauchen wir Versicherer Rechts- und Bestandssicherheit, die Rahmenbedingungen dürfen nicht mit den Regierungen wechseln.

In welcher Größenordnung wollen Sie investieren?

Wir haben heute sechs Milliarden Euro in Infrastrukturprojekten, ohne Energie. Wir könnten das auf ein, zwei Prozent unserer Gesamtanlagen, also auf 13 bis 26 Milliarden Euro, steigern.

Zu welchem Preis?

Es muss ein vernünftiges Verhältnis aus Risiko und Rendite geben, mit Zinsen, die für unsere Kunden attraktiv sind. Leider gibt es bislang kaum Projekte. Wir hätten gern endlich eine Liste mit Vorhaben, die wir dann auch konkret prüfen könnten.

Der Staat kann sich derzeit billig Geld beschaffen. Warum soll er nicht selber bauen? Das wäre doch billiger.

Den Ländern sind die Hände gebunden wegen der Schuldenbremse. Zudem legen Privatinvestoren größten Wert auf eine zügige Abwicklung im Rahmen der Kostenplanung und sind daher bessere Projektmanager. Wir würden das gern unter Beweis stellen.

Beim BER wird darüber nachgedacht, einen privaten Investor ins Boot zu holen, wäre das nicht was für Sie?

Wir sind doch nicht der Rettungsanker für Projekte, die in den Brunnen gefallen sind.

Alexander Erdland (63) kommt eigentlich vom Land. Die Eltern hatten einen Bauernhof im westfälischen Oelde, um den sich Erdland auch heute noch kümmert, wenn er Zeit findet. Die ist aber knapp, denn der promovierte Staats- und Wirtschaftswissenschaftler leitet nicht nur den Finanzdienstleistungskonzern Wüstenrot & Württembergische in Stuttgart, seit November 2012 ist er auch Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der Verband mit Sitz in Berlin vertritt rund 460 Versicherer. Mit rund 427 Millionen Versicherungsverträgen, Kapitalanlagen von 1,45 Billionen Euro und 533 000 Beschäftigten ist die Branche ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Das Interview führte Heike Jahberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false