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Wirtschaft: Alle wollen die Steuerreform – nur später

Koalition und Opposition erwarten keine Gesetzgebung vor der Bundestagswahl

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Berlin - Die Chancen für eine Unternehmenssteuerreform noch vor der Bundestagswahl 2006 stehen denkbar schlecht. Führende Vertreter von Koalition und Opposition warnten vor gesetzgeberischen Schnellschüssen – und das, obwohl sie sich in vielen Punkten einig sind. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte, keine Zeit zu verlieren.

Die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Christine Scheel (Grüne), bestätigte am Freitag zwar einen „Handlungsdruck“ bei den Steuern der Unternehmen in Deutschland. Allerdings verwies sie darauf, dass die rasche Realisierung „äußerst fraglich“ sei.

Vor einer Reform, wie sie Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zu forcieren versucht, sei noch eine Reihe Fragen zu klären, die nicht im Ermessen der Bundesregierung lägen. Dabei gehe es in erster Linie darum, dass „eine deutsche Reform europakonform sein muss“.

Obwohl die Steuersätze in vielen – vor allem osteuropäischen – Ländern niedriger als in Deutschland sind, bietet das hiesige Steuerrecht EU-weit die meisten Ausnahmeregelungen, die zur Senkung des zu versteuernden Gewinns führen.

Bei den laufenden Harmonisierungsgesprächen der EU-Finanzminister müsse es um eine „Orientierung an den niedrigeren Steuersätzen“ in Europa gehen, sagte Scheel. Das allerdings würde dazu führen, dass die deutschen Unternehmer in Zukunft weniger Verrechnungsmöglichkeiten hätten, als es heute der Fall ist. Das betreffe auch die Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen, deren Abschaffung die Verbände fordern. „Sinken die Steuersätze, werden die Mindeststeuern bedeutsamer“, sagte Scheel. Darüber müssten sich die Unternehmensverbände klar sein. „Für die Haushalte darf insgesamt kein Einnahme-Minus herauskommen“, forderte sie.

Eine Absage erteilte die Chefin des Finanzausschusses Plänen des Bundeskanzlers, kurzfristige die Steuern für reinvestierte Gewinne beim Mittelstand zu senken. „So etwas führt nur zu Mitnahmen“, sagte sie. Offen seien die Grünen hingegen für eine Erweiterung der so genannten Reinvestitionsrücklage. Diese steuerliche Rücklage können Unternehmen bis zu 500 000 Euro aus Veräußerungsgewinnen bereits jetzt bilden.

Für mehr Transparenz in der Debatte sollen noch in diesem Jahr aussagefähige Statistiken sorgen. Die Bundesregierung hat dazu die Finanzbehörden der Länder aufgefordert, die effektive Steuerbelastung typischer Unternehmen zu untersuchen. Dahinter steckt ein jahrelanger Streit um die wahre Steuerbelastung deutscher Firmen. Während Unternehmerverbände die Steuern im europäischen Vergleich als hoch ansetzen, argumentieren Gewerkschaften und zum Teil auch Wissenschaftler, die effektiv gezahlten Steuern lägen teilweise nur bei zehn Prozent des Gewinns.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte am Donnerstagabend bei einem Rededuell mit Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD), er sei für eine Absenkung der Steuersätze, wenn die Steuern dann auch wirklich gezahlt würden. „Aber gehen Sie mal davon aus: Vor 2006 passiert nichts mehr,“ sagte Koch. „Ich habe viel Sympathien für eine Steuerreform, aber keine dafür, Jahre darüber zu reden.“ Koalition und Opposition sollten ihre Modelle bis zur Bundestagswahl zu Ende denken, um dann schnell handeln zu können. Das Steuermodell der Union werde zwei Stufen haben müssen und sicher nicht vor 2007/08 zu sinkenden Sätzen führen.

Letztlich gehe es ihm nicht vorrangig um eine Steuerreform, sagte Koch „Die Steuerquote kann nicht niedriger sein, aber die Abgabenquote.“ Deutschland werde sich zudem nicht durch Steuerpolitik aus der Krise führen lassen. Die Bundesregierung habe sich aus Wachstumsbranchen wie der Kerntechnik oder der Gentechnologie weitgehend verabschiedet. „Wir laufen Gefahr, dass wir so lange über Innovationen reden, bis es die anderen machen“, sagte Koch. „Wir haben auf zu viele Dinge verzichtet, mit denen sich Geld verdienen lässt.“

Der neue BDI-Präsident Jürgen R. Thumann verlangte von der Bundesregierung am Freitag erneut grundlegende Reformen. „Wenn in der Steuerpolitik nicht schnell etwas geschieht, dann fließen wichtige Investitionen ins Ausland, dann schaffen viele deutsche Firmen neue Jobs nur noch dort statt hier“, sagte Thumann der „Bild“-Zeitung.

Oskar Lafontaine forderte, das Steuersystem so umzubauen, dass der investierende Unternehmer belohnt wird. „Hier läuft die gesamte politische Diskussion falsch“, kritisierte er.

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