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Wirtschaft: Alles auf Anfang

Nach dem Hochwasser ziehen die neuen Länder Bilanz: Die Schäden gehen in die Milliarden, der Wiederaufbau wird Jahre dauern.

Von Carsten Brönstrup

Otto Töffels bekommt allmählich wieder Boden unter die Füße. Der Wirt des Gasthofs „Brauner Hirsch“ in Schönebeck (Sachsen-Anhalt) kann sich nun an die Renovierung seines Eichenparketts machen. Die schmutzigbraune Elbe hatte seinen Festsaal vor Tagen geflutet und nun eine hässliche Kruste auf dem Boden und an den Wänden hinterlassen. Dank eines Schecks von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller über 15 000 Euro aber kann der graumelierte Gastronom Töffels nun damit anfangen, den Schmutz abzukratzen und den Pinsel zu schwingen, damit bald wieder hungrige Touristen sein Ausflugslokal ansteuern.

Töffels ist der erste Unternehmer in den flutgeschädigten neuen Bundesländern, der von der Soforthilfe aus Berlin profitiert. Zwei Milliarden Euro hat der Bund insgesamt an schneller Unterstützung für Unternehmen, Bauern und Privathaushalte bereitgestellt. Doch diese Summe ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn das allmählich abfließende Wasser der Elbe gibt nun den Blick frei auf Schäden von kaum vorstellbarem Ausmaß. Straßen, Schienen, Häuser, Brücken, Firmengebäude, Maschinen, Autos – alles wurde fortgespült oder durch den reißenden Strom schwer beschädigt. Vergangene Woche wollten die Experten eine erste Bilanz ziehen – doch sie können nur ahnen, wie hoch der finanzielle Schaden tatsächlich ist. Klar sind nur zwei Dinge: Trotz Spenden und Staatshilfen müssen Private für die Beseitigung der Schäden Millionen aus eigener Tasche aufbringen. Und das Hochwasser hat den mühsamen Aufbau Ost binnen Stunden um Jahre zurückgeworfen.

Schon die erste Bilanz, die Ingenieure, Architekten, Manager und Politiker in diesen Tagen ziehen, ist verheerend. Auf bis zu 25 Milliarden Euro summieren sich die Zerstörungen vorsichtigen Schätzungen zufolge. Zwar haben sich die Elbe und ihre Nebenflüsse über acht deutsche Bundesländer ergossen – am schwersten betroffen war aber ausgerechnet der Osten. So taxiert allein Sachsen den Schaden auf 16,5 Milliarden Euro. Und mit jedem Zentimeter, den das Wasser zurückweicht, steigen die Beträge.

Land unter im Mittelstand

Verschont hat die Welle nichts. Nicht nur Straßen, Brücken und Schienen haben die Flüsse vernichtet, Leitungen, Kabel und Kläranlagen unbrauchbar gemacht. 1800 Handwerksbetriebe im Freistaat müssen vorerst Hämmer und Hobel ruhen lassen, in Sachsen-Anhalt können 4000 Firmen nicht mehr arbeiten. Festplatten in Computern sind abgesoffen, die Rekonstruktion der oft wertvollen Daten kostet bis zu 4000 Euro. Die Bauern haben für 267 Millionen Euro Getreide und Vieh verloren, zerstörte Scheunen und Ställe nicht einmal eingerechnet. Hunderte Häuser sind unbewohnbar, bei einigen ist die Statik so schwer beschädigt, dass der Abrissbagger kommen muss. Und selbst die Laubenpieper hat es erwischt. 250 der 4025 Kleingarten-Anlagen in Sachsen sind nur noch eine Schlammwüste – darüber wollen einige Hobby-Gärtner aufgeben.

Was Bürger, Wirtschaft und Kommunen jetzt am ehesten brauchen, ist klar: Geld. Davon hat der Staat reichlich zur Verfügung gestellt. Auf rund zehn Milliarden Euro summieren sich die mittlerweile beschlossenen Hilfen aus den öffentlichen Haushalten. Der Bund hat mit den sieben Milliarden Euro aus der verschobenen Steuerreform und den höheren Körperschaftsteuern einen Fonds Aufbauhilfe aufgelegt. Mit einer Hälfte davon baut der Bund seine Infrastruktur wieder auf und hilft Firmen und Bürgern. Mit der anderen unterstützt die Regierung Länder und Kommunen. Außerdem hat Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) noch eine Milliarde Euro im Verkehrsetat freigeschaufelt. Da mochte auch die EU nicht nachstehen und sagte weitere 1,2 Milliarden Euro zu. Hinzu kommen noch günstige Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und Steuererleichterungen.

Die privaten Spenden der Deutschen nehmen sich verglichen damit mickrig aus. Jedoch war der Geber-Eifer selten so groß: 200 Millionen Euro an privatem Geld sind mittlerweile auf die Konten der großen Hilfsorganisationen geflossen, die Summe wächst stündlich. Deutlich mehr müssen die Versicherungen zahlen. Zwar haben die Sachverständigen noch nicht alle Schäden gesichtet. Die Allianz erwartet jedoch nur 550 Millionen Euro Belastung durch die Flut, die ersten Schecks sind schon unterschrieben. Ihre Konkurrenten dürften allenfalls noch einmal so viel beisteuern, schätzt der Branchenverband GDV – denn die Allianz dominiert den Markt in den neuen Ländern.

Trotz dieser enormen Summen wissen die Menschen: Das Geld reicht nicht, viele haben nicht einmal eine Versicherung, die Hochwasser-Schäden abdeckt. Privatleute müssen ihr Erspartes opfern, viele Unternehmer, die nach der Wende als Existenzgründer gestartet sind, sind zur Aufgabe gezwungen – ihre Finanzdecke ist noch immer zu dünn. Banken und Sparkassen haben immerhin angeboten, Zinsen und Tilgung zu stunden. Zu einem Schuldenerlass für überflutete Unternehmen konnten sie sich indes noch nicht durchringen.

Gigantische Kapitalvernichtung

Für den Aufbau Ost wären tausendfache Pleiten ein weiterer Rückschlag. Ohnehin dümpeln die neuen Länder auch in diesem Jahr nur dahin, Experten erwarten für das Bruttoinlandsprodukt zwischen Ostsee und Erzgebirge in diesem Jahr nur ein Plus von 0,5 Prozent. Nun kommt nicht nur die immense Vernichtung von Kapital hinzu. In der Produktion herrscht vielerorts noch Stillstand, weil Anlagen überflutet sind, Rohstoffe nicht geliefert werden können oder Vorprodukte nicht rechtzeitig fertig werden. „Ich befürchte, dass ein Teil der Firmen nicht wieder aufmachen wird“, sagte Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Das Verschwinden kleiner Firmen werde „ein dauerhafter Effekt“ sein. Der Wiederaufbau der Infrastruktur könne nur einen geringen Beitrag leisten. „Wer glaubt, das bringt den Osten dauerhaft nach oben, der irrt“, befand Pohl.

Hoffnung gibt es allein für die Bauwirtschaft. Die Branche, in den vergangenen Jahren von einer heftigen Strukturkrise geschüttelt, könnte vom Wiederaufbau der Infrastruktur profitieren. Einen „zwar nur temporären, aber doch beachtlichen Schub“ erhofft sich Gerd Haßel von der ING BHF-Bank in Frankfurt (Main) dadurch, und auch andere Volkswirte erhoffen sich so einen Wachstumsschub. Voraussetzung: Der Staat dürfe die Zusatzausgaben nicht an anderer Stelle durch Kürzungen wieder hereinholen. Doch IWH-Chef Pohl ist skeptisch. Dadurch werde nur „das Tempo des Abschwungs der Branche verringert“, winkt er ab.

Auch vor Otto Töffels liegen harte Zeiten. Der Gastwirt vom „Braunen Hirschen“ wird das ramponierte Parkett wohl herausreißen müssen, das soll 200 000 Euro kosten. Mit dem Scheck vom Wirtschaftsminister aus Berlin will er jetzt erst einmal die dringendsten Reparaturen bezahlen. Für den Fortbestand des Unternehmens, sagt er, seien aber weitere Hilfen nötig.

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