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Großanleger. Die Allianz ist einer der größten Kapitalanleger der Welt und muss Hunderte Milliarden Euro Kundengelder sicher und profitabel zugleich anlegen.

© dpa

Allianz-Chef Michael Diekmann im Interview: "Mein Sohn denkt, ich bin der Chef der Allianz-Arena"

Reicht die Rente? Wie finanzieren wir künftig die Pflege? Wie viel Risiko ist für eine passable Rendite vertretbar? Allianz-Chef Michael Diekmann über Zukunftsfragen und Familie.

Ob die Personalabteilung so jemanden wie ihn heute noch einstellen würde? Michael Diekmann (59) kommt zwar aus einer Unternehmerfamilie. Sein Vater betrieb in Bad Salzuflen ein Straßen- und Brückenbauunternehmen. Der Sohn ging jedoch an die Uni und blieb dort erst einmal. Neun Jahre, also 18 Semester studierte er in Göttingen Philosophie und Jura, verlegte dann einen Kanu-Reiseführer und kam schließlich 1988 zur Allianz. Dort stieg Diekmann beständig auf, seit 2003 ist er Chef des Konzerns. Dem Unternehmen geht es prächtig. Der Konzern verdiente 2013 unterm Strich sechs Milliarden Euro, 15 Prozent mehr als im Vorjahr.

Herr Diekmann, Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig schwärmt, dass die Älteren noch nie so gesund und so fit waren wie heute. Fühlen Sie sich angesprochen?

Absolut. Ich werde ja Ende des Jahres 60 Jahre alt. Früher war ich immer der Jüngste, und dann merkt man auf einmal, das ist nicht mehr so. Aber 60 fühlt sich an wie 50.

Wollen Sie deshalb weitermachen? Normalerweise bekommen die Vorstandschefs bei der Allianz nach dem 60. Geburtstag nur noch Jahresverträge, bei Ihnen soll der Vertrag um zwei Jahre verlängert werden.

Das sagen Sie.

In 15 Jahren wird fast jeder Dritte älter als 65 sein, sind wir darauf vorbereitet?

Nein. Früher war die Familie der Kern der Gesellschaft, aber die traditionelle Familienstruktur wird seltener. Die Leute werden mobiler, ziehen weg. Die Städte wachsen, das Land verliert Einwohner. Menschen leben häufiger allein.

Und haben niemanden, der sie pflegt.

Ja. Das ist ein Riesenproblem. Es fehlen öffentliche Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte. Derzeit arbeiten hier viele Menschen aus anderen europäischen Ländern, aber die gehen wieder weg, wenn die Wirtschaft in ihren Heimatländern anzieht. Facharbeitskräfte fehlen. Im Familienministerium heißt es, man müsse Frauen wieder ins Berufsleben zurückführen und die Produktivität steigern. In vielen Unternehmen sieht die Realität aber ganz anders aus. Da geht es nicht um noch schnelleres Arbeiten, sondern oft eher um Stressabbau.

Herr des Geldes. Michael Diekmann ist seit 2003 Vorstandsvorsitzender der Allianz.
Herr des Geldes. Michael Diekmann ist seit 2003 Vorstandsvorsitzender der Allianz.

© IMAGO

Auch bei der Allianz?

Klar. Früher gab es eine natürliche Pause, wenn man eine Akte bearbeitet hatte. Heute geht alles elektronisch. Im Minutenrhythmus kommen neue Anforderungen. Wie soll das jemand schaffen, der arbeitet, Eltern pflegt, ein Kind erzieht und sich dann vielleicht sogar noch ehrenamtlich engagiert? Ich habe selbst einen fünfjährigen Jungen, ich weiß, was das bedeutet.

Ihr viertes Kind.

Ja. Bei den ersten drei Kindern war ich viel unterwegs, aber jetzt, bei meinem Jüngsten, gebe ich mir Mühe. Man muss sich schon intensiv kümmern – vor allem, wenn man in der Stadt lebt –, um ein soziales Leben aufzubauen. Das ganze Programm: Freunde besuchen, Sport machen und was sonst noch dazugehört, das fordert Zeit.

Was sagen denn die Eltern der anderen Kinder, wenn plötzlich der Allianz-Chef vor der Tür steht und seinen Sohn vorbeibringt?

Das ist normal. Man wird so behandelt, wie man selber auftritt. Viele Leute wissen gar nicht, dass ich Chef der Allianz bin. Mein Sohn übrigens auch nicht.

Was denkt der denn?

Dass ich Chef der Allianz-Arena bin, also des Fußballstadions, in dem der FC Bayern spielt.

Frau Schwesig möchte eine Familienarbeitszeit einführen, die Vater und Mutter flexibel untereinander aufteilen können. Würden Sie das bei der Allianz einführen?

Wir unterstützen flexible Lösungen, qualifizierte Mitarbeiter erwarten das heute auch. Aber man darf nicht vergessen, dass das auch Kosten verursacht. Unterm Strich ist dafür mehr Personal nötig. Wir brauchen eine Mindestbesetzung, um für die Kunden ansprechbar zu sein.

Müssten die Deutschen länger arbeiten als bis zum 67. Geburtstag?

Die Rente mit 67 ist richtig. Versicherungsmathematisch kommt das genau hin – noch. Denn die Grenze verschiebt sich weiter nach hinten, in Richtung 70.

"Jeder Investor weiß, dass man ein Risiko eingehen muss"

Wie passt die Rente mit 63 dazu? Ist das Wohlfühlpolitik zulasten der Jungen?

Wenn es nur einige wenige Menschen beträfe, würde ich sagen, das muss eine Gesellschaft leisten können. Aber die Gefahr besteht doch, dass die Voraussetzungen immer weiter gelockert werden. Es bleibt ja nicht bei dem berühmten Dachdecker, der nach 45 Jahren einfach nicht mehr kann. Und so kommen plötzlich Summen zusammen, die wir uns ganz bestimmt nicht leisten können.

Dass die Menschen immer älter werden, stellt auch die private Altersvorsorge vor Probleme. 2060 wird – statistisch gesehen – jeder Mensch 25 Jahre lang seine Rente beziehen. Früher waren das mal zehn Jahre. Wie soll das finanziert werden?

Wir haben im Moment drei Herausforderungen: die Langlebigkeit, das Niedrigzinsumfeld und die Regulierung.

Sie meinen die neuen Eigenkapitalvorschriften Solvency II?

Ja, für die Versicherungswirtschaft. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Risiko minimiert wird. Jeder Investor weiß aber, dass man ein gewisses Risiko eingehen muss, um Rendite zu machen. Wenn Risiken damit bestraft werden, dass man diese Investments mit viel Eigenkapital unterlegen muss, dann geht das auf Kosten der Rendite. Zehnjährige Bundesschatzbriefe bringen 1,6 Prozent, nach Abzug der Inflation also nichts. Deswegen suchen wir nach anderen Anlageformen, die ähnlich sicher sind, aber rentabler. Wir möchten stärker in Infrastrukturprojekte investieren, in Windparks, Straßen oder Flughäfen. Für diese Projekte halten wir eine neue Anlageklasse für sinnvoll. Es gibt Stellen wie zum Beispiel die KfW oder die EU-Investitionsbank, die das organisieren könnten.

Warum machen Sie das nicht selbst?

Wir könnten das, aber kleinere Versicherer nicht. Außerdem gibt es noch nicht genug an privat finanzierten Projekten. Dabei wäre es einfach: Die Versicherungsbranche sucht nach langfristigen, sicheren Anlagen, und zugleich haben wir in Deutschland einen riesigen Investitionsbedarf. Das Problem ist aber, dass private Investoren bei öffentlichen Projekten nicht gern gesehen sind, deshalb müsste der Staat moderierend eingreifen. Um daraus eine richtige Anlageklasse zu machen, müsste man über Verbriefungen ...

... das Verpacken von Kreditforderungen in Wertpapiere ....

... nachdenken, die die Europäische Investitionsbank oder andere Kapitalsammelstellen machen könnten.

Die Europäische Zentralbank propagiert Verbriefungen jetzt wieder, obwohl diese Papiere damals wegen der faulen Hypothekenkredite, die in ihnen versteckt waren, die Finanzkrise erst angefacht haben.

Ja, aber daran waren nicht die Verbriefungen schuld, sondern die Ratings, die die Risiken nicht vernünftig widergespiegelt hatten. Damals wurden zum Beispiel zweifelhafte Studenten- und Auto- und Wohnungskredite wild durcheinandergemixt. Dies hier wäre eine ganz andere Herangehensweise. Bei der Infrastruktur geht es um Projekte, die man genau kennt. Man würde lediglich unterschiedliche Regionen und Projekte mischen.

Wie legen Sie die Milliarden ansonsten an?

Wir gehen verstärkt in reale Werte, in Immobilien und Aktien. Bei den Aktien nicht nur wegen der Kursgewinne, sondern auch wegen der Dividenden.

Aktien sind inzwischen ziemlich teuer.

Wir sind langfristig investiert. Wir haben genug Polster und sind nicht gezwungen, in einem Notfall Aktien zu verkaufen.

Wie sehr wollen Sie den Aktienanteil ausbauen?

Weil die Kurse steigen, funktioniert der Ausbau schon automatisch. Aber das reicht uns nicht. Wir haben derzeit Kapitalanlagen von mehr als 500 Milliarden Euro. Wenn wir von einem Ausbau sprechen, dann geht es um ein Prozent, also fünf Milliarden Euro. Oder, wenn man die Geschäfte hedgt, also absichert, sind es vielleicht zehn Milliarden Euro. Viel mehr können wir uns mit Blick auf die neue Regulierung auch nicht erlauben.

Die Regierung plant eine Reform der Lebensversicherung. Sie will die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven einschränken.

Es geht nicht um eine Einschränkung, sondern um eine gerechtere Verteilung. Das Gesetz, das damals gemacht wurde, ist in seinen Auswirkungen nicht gerecht. Danach haben Kunden, die ausscheiden, einen Anspruch auf eine Beteiligung an stillen Reserven von Zinsträgern. Durch die lange Niedrigzinsphase sind die Buchgewinne bei den festverzinslichen Wertpapieren in die Höhe geschossen. Aber diese Gewinne stehen nur auf dem Papier. Wenn die Versicherer diese stillen Reserven vorzeitig realisieren müssen, fehlt das Geld den Kunden, die bleiben.

Die Allianz zahlt ihren Kunden derzeit eine Gesamtverzinsung von 4,5 Prozent. Werden Sie das auch 2014 schaffen?

Wenn sich nicht noch etwas Grundlegendes ändert, dann könnte sich die Gesamtverzinsung in ähnlichem Rahmen bewegen. Das wird aber zum Jahresende zu entscheiden sein.

Das Gespräch führte Heike Jahberg.

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